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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem Wahrscheinlichen.
gebrauchen, und folglich ihre Sparsamkeit darinn zum
maximo wird. Setzt man aber die Rechnung weiter
fort, so ergiebt sichs, daß von allen 9 Flächen jede zwo
aneinanderstoßende einerley Neigungswinkel gegen ein-
ander haben, und folglich die Bienen einerley Mecha-
nismum
gebrauchen, sowohl den prismatischen als den
pyramidischen Theil ihrer Cellen mit der größten Spar-
samkeit zu bauen. Eine Schicklichkeit, die man um
desto weniger erwarten konnte, weil bey mehrern Ab-
sichten fast immer eine der andern Abbruch thut. Wir
können übrigens in Ansehung des Beharrungsstan-
des
noch anmerken, daß eine entwickelte Theorie dessel-
ben zu der Teleologie und deren Brauchbarkeit nicht
wenig dient, besonders wenn darinn die Bedingungen
erörtert werden, unter welchen ein Beharrungsstand
möglich ist. Denn dieses giebt umgekehrte Sätze, die
sich sodann auf die Welt anwenden lassen, und zugleich
Aufhäufungen von Argumenten ersparen (§. 168.).

§. 233. Die historische Gewißheit beruht großen-
theils auf der Glaubwürdigkeit der Nachrichten, die
wir davon haben. Denn was wir von den Verände-
rungen in der Welt selbst sehen oder empfinden, oder
aus ihren Folgen und Ursachen schließen können, macht
einen geringen Theil der Geschichte aus. Die Beur-
theilung der Richtigkeit und Zuverläßigkeit einer Nach-
richt beruht aber 1. theils auf der Untersuchung der Sa-
che selbst, so ferne sie erzählt wird. Sie soll nichts wi-
dersprechendes enthalten, und so auch nichts das meta-
physisch oder physisch unmöglich ist. 2. Theils auf
der Vergleichung der Nachricht mit den Umständen, die
sie voraussetzt, und mit den Folgen, die die Sache, falls
sie wahr ist, haben muß. 3. Auf der Untersuchung
der Glaubwürdigkeit des Zeugen, Aussagers oder
Nachsagers, ob er die Wahrheit sagen könne, und
ob er sie sagen wolle? Die Aufmerksamkeit, das

Ge-

Von dem Wahrſcheinlichen.
gebrauchen, und folglich ihre Sparſamkeit darinn zum
maximo wird. Setzt man aber die Rechnung weiter
fort, ſo ergiebt ſichs, daß von allen 9 Flaͤchen jede zwo
aneinanderſtoßende einerley Neigungswinkel gegen ein-
ander haben, und folglich die Bienen einerley Mecha-
niſmum
gebrauchen, ſowohl den prismatiſchen als den
pyramidiſchen Theil ihrer Cellen mit der groͤßten Spar-
ſamkeit zu bauen. Eine Schicklichkeit, die man um
deſto weniger erwarten konnte, weil bey mehrern Ab-
ſichten faſt immer eine der andern Abbruch thut. Wir
koͤnnen uͤbrigens in Anſehung des Beharrungsſtan-
des
noch anmerken, daß eine entwickelte Theorie deſſel-
ben zu der Teleologie und deren Brauchbarkeit nicht
wenig dient, beſonders wenn darinn die Bedingungen
eroͤrtert werden, unter welchen ein Beharrungsſtand
moͤglich iſt. Denn dieſes giebt umgekehrte Saͤtze, die
ſich ſodann auf die Welt anwenden laſſen, und zugleich
Aufhaͤufungen von Argumenten erſparen (§. 168.).

§. 233. Die hiſtoriſche Gewißheit beruht großen-
theils auf der Glaubwuͤrdigkeit der Nachrichten, die
wir davon haben. Denn was wir von den Veraͤnde-
rungen in der Welt ſelbſt ſehen oder empfinden, oder
aus ihren Folgen und Urſachen ſchließen koͤnnen, macht
einen geringen Theil der Geſchichte aus. Die Beur-
theilung der Richtigkeit und Zuverlaͤßigkeit einer Nach-
richt beruht aber 1. theils auf der Unterſuchung der Sa-
che ſelbſt, ſo ferne ſie erzaͤhlt wird. Sie ſoll nichts wi-
derſprechendes enthalten, und ſo auch nichts das meta-
phyſiſch oder phyſiſch unmoͤglich iſt. 2. Theils auf
der Vergleichung der Nachricht mit den Umſtaͤnden, die
ſie vorausſetzt, und mit den Folgen, die die Sache, falls
ſie wahr iſt, haben muß. 3. Auf der Unterſuchung
der Glaubwuͤrdigkeit des Zeugen, Ausſagers oder
Nachſagers, ob er die Wahrheit ſagen koͤnne, und
ob er ſie ſagen wolle? Die Aufmerkſamkeit, das

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[395/0401] Von dem Wahrſcheinlichen. gebrauchen, und folglich ihre Sparſamkeit darinn zum maximo wird. Setzt man aber die Rechnung weiter fort, ſo ergiebt ſichs, daß von allen 9 Flaͤchen jede zwo aneinanderſtoßende einerley Neigungswinkel gegen ein- ander haben, und folglich die Bienen einerley Mecha- niſmum gebrauchen, ſowohl den prismatiſchen als den pyramidiſchen Theil ihrer Cellen mit der groͤßten Spar- ſamkeit zu bauen. Eine Schicklichkeit, die man um deſto weniger erwarten konnte, weil bey mehrern Ab- ſichten faſt immer eine der andern Abbruch thut. Wir koͤnnen uͤbrigens in Anſehung des Beharrungsſtan- des noch anmerken, daß eine entwickelte Theorie deſſel- ben zu der Teleologie und deren Brauchbarkeit nicht wenig dient, beſonders wenn darinn die Bedingungen eroͤrtert werden, unter welchen ein Beharrungsſtand moͤglich iſt. Denn dieſes giebt umgekehrte Saͤtze, die ſich ſodann auf die Welt anwenden laſſen, und zugleich Aufhaͤufungen von Argumenten erſparen (§. 168.). §. 233. Die hiſtoriſche Gewißheit beruht großen- theils auf der Glaubwuͤrdigkeit der Nachrichten, die wir davon haben. Denn was wir von den Veraͤnde- rungen in der Welt ſelbſt ſehen oder empfinden, oder aus ihren Folgen und Urſachen ſchließen koͤnnen, macht einen geringen Theil der Geſchichte aus. Die Beur- theilung der Richtigkeit und Zuverlaͤßigkeit einer Nach- richt beruht aber 1. theils auf der Unterſuchung der Sa- che ſelbſt, ſo ferne ſie erzaͤhlt wird. Sie ſoll nichts wi- derſprechendes enthalten, und ſo auch nichts das meta- phyſiſch oder phyſiſch unmoͤglich iſt. 2. Theils auf der Vergleichung der Nachricht mit den Umſtaͤnden, die ſie vorausſetzt, und mit den Folgen, die die Sache, falls ſie wahr iſt, haben muß. 3. Auf der Unterſuchung der Glaubwuͤrdigkeit des Zeugen, Ausſagers oder Nachſagers, ob er die Wahrheit ſagen koͤnne, und ob er ſie ſagen wolle? Die Aufmerkſamkeit, das Ge-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/401>, abgerufen am 24.11.2024.