Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Hauptstück.
gen würde der angenommene Satz noch immer nur das
Ansehen einer, wiewohl sehr großen Wahrscheinlichkeit
gehabt haben. Damit aber begnügten sich die Mathe-
matiker nicht: sondern da eine Kugel sehr viele eigene
Merkmale und Verhältnisse hat, so suchten sie vornehm-
lich diese durch die Erfahrung bekräftigt zu finden. Hie-
zu gab nun der immer runde Schatten der Erde bey
den Mondsfinsternissen den ersten Anlaß, und nachge-
hends brachte man nicht nur ihre Größe, sondern in den
neuern Zeiten auch ihre Sphäroidität heraus. Da jeder
Begriff seine eigene Merkmale hat (Alethiol. §. 176.),
so merken wir hier überhaupt an, daß, wenn A, B ist,
es immer an sich betrachtet möglich sey, auch
die eigenen Merkmale des
B in dem Begriffe
oder Sache
A zu finden. Es ist unstreitig, daß es
noch viele Fälle giebt, wo man statt der Mühe, Argu-
mente ohne Auswahl aufzuhäufen, und einen Satz da-
durch nur wahrscheinlich zu machen, sich viel nützlicher
die Mühe geben würde, solche eigene Merkmale aufzu-
suchen, das will sagen, den Begriff B so weit zu entwi-
ckeln, bis man auf Sätze kömmt, die sich allgemein um-
kehren lassen. So weiß man z. E. daß die genauere
Entwicklung der Theorie von den Centralkräften in der
Mechanik den Astronomen Sätze angegeben hat, welche,
mit ihren Erfahrungen und Observationen verglichen,
uns die Gesetze der Bewegung jeder Weltkörper um die
Sonne bekannt, und die Berechnung des Laufs der Co-
meten möglich und leicht gemacht haben.

§. 168. Wir haben in erst angestellter Untersuchung
die erste Figur der Schlüsse gebraucht, und dabey muß
der Satz, A ist B, welcher durch seine Folgen erwiesen
oder wenigstens wahrscheinlich gemacht werden solle, bis
dahin als eine Hypothese angesehen werden. Man ge-
braucht aber auch öfters die zweyte Figur dazu, und
zwar nicht in der Absicht, einen Schlußsatz zu ziehen,

weil

V. Hauptſtuͤck.
gen wuͤrde der angenommene Satz noch immer nur das
Anſehen einer, wiewohl ſehr großen Wahrſcheinlichkeit
gehabt haben. Damit aber begnuͤgten ſich die Mathe-
matiker nicht: ſondern da eine Kugel ſehr viele eigene
Merkmale und Verhaͤltniſſe hat, ſo ſuchten ſie vornehm-
lich dieſe durch die Erfahrung bekraͤftigt zu finden. Hie-
zu gab nun der immer runde Schatten der Erde bey
den Mondsfinſterniſſen den erſten Anlaß, und nachge-
hends brachte man nicht nur ihre Groͤße, ſondern in den
neuern Zeiten auch ihre Sphaͤroiditaͤt heraus. Da jeder
Begriff ſeine eigene Merkmale hat (Alethiol. §. 176.),
ſo merken wir hier uͤberhaupt an, daß, wenn A, B iſt,
es immer an ſich betrachtet moͤglich ſey, auch
die eigenen Merkmale des
B in dem Begriffe
oder Sache
A zu finden. Es iſt unſtreitig, daß es
noch viele Faͤlle giebt, wo man ſtatt der Muͤhe, Argu-
mente ohne Auswahl aufzuhaͤufen, und einen Satz da-
durch nur wahrſcheinlich zu machen, ſich viel nuͤtzlicher
die Muͤhe geben wuͤrde, ſolche eigene Merkmale aufzu-
ſuchen, das will ſagen, den Begriff B ſo weit zu entwi-
ckeln, bis man auf Saͤtze koͤmmt, die ſich allgemein um-
kehren laſſen. So weiß man z. E. daß die genauere
Entwicklung der Theorie von den Centralkraͤften in der
Mechanik den Aſtronomen Saͤtze angegeben hat, welche,
mit ihren Erfahrungen und Obſervationen verglichen,
uns die Geſetze der Bewegung jeder Weltkoͤrper um die
Sonne bekannt, und die Berechnung des Laufs der Co-
meten moͤglich und leicht gemacht haben.

§. 168. Wir haben in erſt angeſtellter Unterſuchung
die erſte Figur der Schluͤſſe gebraucht, und dabey muß
der Satz, A iſt B, welcher durch ſeine Folgen erwieſen
oder wenigſtens wahrſcheinlich gemacht werden ſolle, bis
dahin als eine Hypotheſe angeſehen werden. Man ge-
braucht aber auch oͤfters die zweyte Figur dazu, und
zwar nicht in der Abſicht, einen Schlußſatz zu ziehen,

weil
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0342" n="336"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
gen wu&#x0364;rde der angenommene Satz noch immer nur das<lb/>
An&#x017F;ehen einer, wiewohl &#x017F;ehr großen Wahr&#x017F;cheinlichkeit<lb/>
gehabt haben. Damit aber begnu&#x0364;gten &#x017F;ich die Mathe-<lb/>
matiker nicht: &#x017F;ondern da eine Kugel &#x017F;ehr viele eigene<lb/>
Merkmale und Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e hat, &#x017F;o &#x017F;uchten &#x017F;ie vornehm-<lb/>
lich die&#x017F;e durch die Erfahrung bekra&#x0364;ftigt zu finden. Hie-<lb/>
zu gab nun der immer runde Schatten der Erde bey<lb/>
den Mondsfin&#x017F;terni&#x017F;&#x017F;en den er&#x017F;ten Anlaß, und nachge-<lb/>
hends brachte man nicht nur ihre Gro&#x0364;ße, &#x017F;ondern in den<lb/>
neuern Zeiten auch ihre Spha&#x0364;roidita&#x0364;t heraus. Da jeder<lb/>
Begriff &#x017F;eine eigene Merkmale hat (Alethiol. §. 176.),<lb/>
&#x017F;o merken wir hier u&#x0364;berhaupt an, <hi rendition="#fr">daß, wenn</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">A, B</hi></hi> <hi rendition="#fr">i&#x017F;t,<lb/>
es immer an &#x017F;ich betrachtet mo&#x0364;glich &#x017F;ey, auch<lb/>
die eigenen Merkmale des</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">B</hi></hi> <hi rendition="#fr">in dem Begriffe<lb/>
oder Sache</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">A</hi></hi> <hi rendition="#fr">zu finden.</hi> Es i&#x017F;t un&#x017F;treitig, daß es<lb/>
noch viele Fa&#x0364;lle giebt, wo man &#x017F;tatt der Mu&#x0364;he, Argu-<lb/>
mente ohne Auswahl aufzuha&#x0364;ufen, und einen Satz da-<lb/>
durch nur wahr&#x017F;cheinlich zu machen, &#x017F;ich viel nu&#x0364;tzlicher<lb/>
die Mu&#x0364;he geben wu&#x0364;rde, &#x017F;olche eigene Merkmale aufzu-<lb/>
&#x017F;uchen, das will &#x017F;agen, den Begriff <hi rendition="#aq">B</hi> &#x017F;o weit zu entwi-<lb/>
ckeln, bis man auf Sa&#x0364;tze ko&#x0364;mmt, die &#x017F;ich allgemein um-<lb/>
kehren la&#x017F;&#x017F;en. So weiß man z. E. daß die genauere<lb/>
Entwicklung der Theorie von den Centralkra&#x0364;ften in der<lb/>
Mechanik den A&#x017F;tronomen Sa&#x0364;tze angegeben hat, welche,<lb/>
mit ihren Erfahrungen und Ob&#x017F;ervationen verglichen,<lb/>
uns die Ge&#x017F;etze der Bewegung jeder Weltko&#x0364;rper um die<lb/>
Sonne bekannt, und die Berechnung des Laufs der Co-<lb/>
meten mo&#x0364;glich und leicht gemacht haben.</p><lb/>
          <p>§. 168. Wir haben in er&#x017F;t ange&#x017F;tellter Unter&#x017F;uchung<lb/>
die er&#x017F;te Figur der Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e gebraucht, und dabey muß<lb/>
der Satz, <hi rendition="#aq">A</hi> i&#x017F;t <hi rendition="#aq">B,</hi> welcher durch &#x017F;eine Folgen erwie&#x017F;en<lb/>
oder wenig&#x017F;tens wahr&#x017F;cheinlich gemacht werden &#x017F;olle, bis<lb/>
dahin als eine Hypothe&#x017F;e ange&#x017F;ehen werden. Man ge-<lb/>
braucht aber auch o&#x0364;fters die zweyte Figur dazu, und<lb/>
zwar nicht in der Ab&#x017F;icht, einen Schluß&#x017F;atz zu ziehen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">weil</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0342] V. Hauptſtuͤck. gen wuͤrde der angenommene Satz noch immer nur das Anſehen einer, wiewohl ſehr großen Wahrſcheinlichkeit gehabt haben. Damit aber begnuͤgten ſich die Mathe- matiker nicht: ſondern da eine Kugel ſehr viele eigene Merkmale und Verhaͤltniſſe hat, ſo ſuchten ſie vornehm- lich dieſe durch die Erfahrung bekraͤftigt zu finden. Hie- zu gab nun der immer runde Schatten der Erde bey den Mondsfinſterniſſen den erſten Anlaß, und nachge- hends brachte man nicht nur ihre Groͤße, ſondern in den neuern Zeiten auch ihre Sphaͤroiditaͤt heraus. Da jeder Begriff ſeine eigene Merkmale hat (Alethiol. §. 176.), ſo merken wir hier uͤberhaupt an, daß, wenn A, B iſt, es immer an ſich betrachtet moͤglich ſey, auch die eigenen Merkmale des B in dem Begriffe oder Sache A zu finden. Es iſt unſtreitig, daß es noch viele Faͤlle giebt, wo man ſtatt der Muͤhe, Argu- mente ohne Auswahl aufzuhaͤufen, und einen Satz da- durch nur wahrſcheinlich zu machen, ſich viel nuͤtzlicher die Muͤhe geben wuͤrde, ſolche eigene Merkmale aufzu- ſuchen, das will ſagen, den Begriff B ſo weit zu entwi- ckeln, bis man auf Saͤtze koͤmmt, die ſich allgemein um- kehren laſſen. So weiß man z. E. daß die genauere Entwicklung der Theorie von den Centralkraͤften in der Mechanik den Aſtronomen Saͤtze angegeben hat, welche, mit ihren Erfahrungen und Obſervationen verglichen, uns die Geſetze der Bewegung jeder Weltkoͤrper um die Sonne bekannt, und die Berechnung des Laufs der Co- meten moͤglich und leicht gemacht haben. §. 168. Wir haben in erſt angeſtellter Unterſuchung die erſte Figur der Schluͤſſe gebraucht, und dabey muß der Satz, A iſt B, welcher durch ſeine Folgen erwieſen oder wenigſtens wahrſcheinlich gemacht werden ſolle, bis dahin als eine Hypotheſe angeſehen werden. Man ge- braucht aber auch oͤfters die zweyte Figur dazu, und zwar nicht in der Abſicht, einen Schlußſatz zu ziehen, weil

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/342
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/342>, abgerufen am 24.11.2024.