sind. Jn der That wissen auch nur diese auf eine posi- tive Art, wie viele Mühe, Behutsamkeit und Erkennt- nißkräfte erfordert werden, die Wahrheit immer genau zu finden, und wie leicht man zurücke bleibt. Eine Reihe zusammenhängender Schlüsse gleicht einer weit- läuftigen Rechnung, und man kann beyden das saluo errore calculi beyfügen, weil doch das Uebersehen so leicht ist.
§. 143. Da die Affecten uns die Dinge gewöhnlich nur von einer Seite vorstellen, und das Bewußtseyn der übrigen verdunkeln, so ist es auch möglich, mit Aen- derung des Affects gleichsam andere Seiten der Sa- chen herauszukehren oder ins Licht zu bringen, oder sie mit ganz andern Augen anzusehen. Vermuthlich hat man aus diesem Grunde mit gewissen und öfters bloß theoretischen Wahrheiten, vermittelst willkührlicher Belohnungen und Strafen, Affecten ver- bunden, wogegen andere, welchen solche Wahrheiten eben nicht so einleuchtend vorkommen, die so genannte Freyheit zu philosophiren behaupten, um sich da- durch den Weg zu bahnen, ihre Meynungen vortragen zu dürfen. Cartesius schützte die Nothwendigkeit vor, auf seine eigene Meynung ein Mistrauen zu set- zen, oder vorerst an allem zu zweifeln, um dadurch de- sto unpartheyischer die Wahrheit zu suchen. Jn der That liegt auch in der gemeinen Erkenntniß Schein und Wahres und Jrriges durch einander gemengt, und es muß behutsam aus einander gelesen werden, wenn man Stücke daraus in eine wissenschaftliche Erkenntniß verwandeln will (§. 105.). Dieß will aber allerdings noch nicht sagen, daß die Freyheit zu philosophiren nicht äußerst gemisbraucht werden könne, weil jeder, dem entweder herrschende oder auch unter- drückte Leidenschaften die Sachen nur von einer und gewöhnlich irrigen und übertriebenen Seite so vorstel-
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Von dem moraliſchen Schein.
ſind. Jn der That wiſſen auch nur dieſe auf eine poſi- tive Art, wie viele Muͤhe, Behutſamkeit und Erkennt- nißkraͤfte erfordert werden, die Wahrheit immer genau zu finden, und wie leicht man zuruͤcke bleibt. Eine Reihe zuſammenhaͤngender Schluͤſſe gleicht einer weit- laͤuftigen Rechnung, und man kann beyden das ſaluo errore calculi beyfuͤgen, weil doch das Ueberſehen ſo leicht iſt.
§. 143. Da die Affecten uns die Dinge gewoͤhnlich nur von einer Seite vorſtellen, und das Bewußtſeyn der uͤbrigen verdunkeln, ſo iſt es auch moͤglich, mit Aen- derung des Affects gleichſam andere Seiten der Sa- chen herauszukehren oder ins Licht zu bringen, oder ſie mit ganz andern Augen anzuſehen. Vermuthlich hat man aus dieſem Grunde mit gewiſſen und oͤfters bloß theoretiſchen Wahrheiten, vermittelſt willkuͤhrlicher Belohnungen und Strafen, Affecten ver- bunden, wogegen andere, welchen ſolche Wahrheiten eben nicht ſo einleuchtend vorkommen, die ſo genannte Freyheit zu philoſophiren behaupten, um ſich da- durch den Weg zu bahnen, ihre Meynungen vortragen zu duͤrfen. Carteſius ſchuͤtzte die Nothwendigkeit vor, auf ſeine eigene Meynung ein Mistrauen zu ſet- zen, oder vorerſt an allem zu zweifeln, um dadurch de- ſto unpartheyiſcher die Wahrheit zu ſuchen. Jn der That liegt auch in der gemeinen Erkenntniß Schein und Wahres und Jrriges durch einander gemengt, und es muß behutſam aus einander geleſen werden, wenn man Stuͤcke daraus in eine wiſſenſchaftliche Erkenntniß verwandeln will (§. 105.). Dieß will aber allerdings noch nicht ſagen, daß die Freyheit zu philoſophiren nicht aͤußerſt gemisbraucht werden koͤnne, weil jeder, dem entweder herrſchende oder auch unter- druͤckte Leidenſchaften die Sachen nur von einer und gewoͤhnlich irrigen und uͤbertriebenen Seite ſo vorſtel-
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Von dem moraliſchen Schein.
ſind. Jn der That wiſſen auch nur dieſe auf eine poſi-
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nißkraͤfte erfordert werden, die Wahrheit immer genau
zu finden, und wie leicht man zuruͤcke bleibt. Eine
Reihe zuſammenhaͤngender Schluͤſſe gleicht einer weit-
laͤuftigen Rechnung, und man kann beyden das ſaluo
errore calculi beyfuͤgen, weil doch das Ueberſehen ſo
leicht iſt.
§. 143. Da die Affecten uns die Dinge gewoͤhnlich
nur von einer Seite vorſtellen, und das Bewußtſeyn
der uͤbrigen verdunkeln, ſo iſt es auch moͤglich, mit Aen-
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oder ſie mit ganz andern Augen anzuſehen.
Vermuthlich hat man aus dieſem Grunde mit gewiſſen
und oͤfters bloß theoretiſchen Wahrheiten, vermittelſt
willkuͤhrlicher Belohnungen und Strafen, Affecten ver-
bunden, wogegen andere, welchen ſolche Wahrheiten
eben nicht ſo einleuchtend vorkommen, die ſo genannte
Freyheit zu philoſophiren behaupten, um ſich da-
durch den Weg zu bahnen, ihre Meynungen vortragen
zu duͤrfen. Carteſius ſchuͤtzte die Nothwendigkeit
vor, auf ſeine eigene Meynung ein Mistrauen zu ſet-
zen, oder vorerſt an allem zu zweifeln, um dadurch de-
ſto unpartheyiſcher die Wahrheit zu ſuchen. Jn der
That liegt auch in der gemeinen Erkenntniß Schein
und Wahres und Jrriges durch einander gemengt,
und es muß behutſam aus einander geleſen werden,
wenn man Stuͤcke daraus in eine wiſſenſchaftliche
Erkenntniß verwandeln will (§. 105.). Dieß will
aber allerdings noch nicht ſagen, daß die Freyheit zu
philoſophiren nicht aͤußerſt gemisbraucht werden koͤnne,
weil jeder, dem entweder herrſchende oder auch unter-
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/319>, abgerufen am 16.07.2024.
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