Bewegungen der Theile des Gehirnes bis zum Schmer- zen stark werden können.
§. 133. Es gehen aber solche Bewegungen nicht so schlechthin nur gegen den Sitz der Seele zu, sondern es finden sich andere, die sich von da wiederum ausbreiten. Man könnte besonders von den widrigen Empfindun- gen gedenken, daß sie eine Art von Repercussion veran- lassen, die, wie es bey dem Schrecken, Entsetzen, Erstaunen, Verabscheuen, etc. geschieht, den ganzen Leib starren oder erschüttern macht. Solche gleichsam divergirende Bewegungen verursachen, daß bey den Empfindungen nicht alles objectiv ist, sondern daß sich der innere Zustand der Seele oder die Gemüthsverfas- sung in die durch die Empfindungen verursachten Vor- stellungen und Gedanken mit einmengt, und in densel- ben manchen leeren Schein für wahr ansehen macht, weil er schlechthin subjectiv ist (§. 100. 31.). Es mag auch Fälle geben, wo man den Unterschied des bloß Ob- jectiven und des mit eingemengten Subjectiven in den Empfindungen und Gedanken bemerkt, und gewisser- maßen empfindet. Dieses kann nämlich geschehen, wo man bey stärkern Graden der Affecten sich selbst noch genug besitzt, um auf die dadurch veranlaßte Revolu- tion in den Gedanken Achtung zu geben, und sie so wie man sie alsdann hat, mit denen zu vergleichen, die man über einerley Sachen ehemals bey ruhigem Gemü- the oder auch bey entgegengesetzten Leidenschaf- ten hatte. Man wird viele von diesen letztern Gedan- ken gleichsam aufsuchen müssen, und den Grad ihrer Erheblichkeit merklich geändert finden. Und wenn man sich gleich auch vorstellt, das Urtheil des Verstandes bey ruhigerm Gemüthe sey allerdings zuverläßiger, so hat man doch Mühe, es so anzunehmen, und findet den Verstand, und, man kann auch sagen, die mit dessen Gebrauche sich bewegenden feinern Fibern des Gehirns,
gleich-
Lamb. Organon II B. U
Von dem moraliſchen Schein.
Bewegungen der Theile des Gehirnes bis zum Schmer- zen ſtark werden koͤnnen.
§. 133. Es gehen aber ſolche Bewegungen nicht ſo ſchlechthin nur gegen den Sitz der Seele zu, ſondern es finden ſich andere, die ſich von da wiederum ausbreiten. Man koͤnnte beſonders von den widrigen Empfindun- gen gedenken, daß ſie eine Art von Repercuſſion veran- laſſen, die, wie es bey dem Schrecken, Entſetzen, Erſtaunen, Verabſcheuen, ꝛc. geſchieht, den ganzen Leib ſtarren oder erſchuͤttern macht. Solche gleichſam divergirende Bewegungen verurſachen, daß bey den Empfindungen nicht alles objectiv iſt, ſondern daß ſich der innere Zuſtand der Seele oder die Gemuͤthsverfaſ- ſung in die durch die Empfindungen verurſachten Vor- ſtellungen und Gedanken mit einmengt, und in denſel- ben manchen leeren Schein fuͤr wahr anſehen macht, weil er ſchlechthin ſubjectiv iſt (§. 100. 31.). Es mag auch Faͤlle geben, wo man den Unterſchied des bloß Ob- jectiven und des mit eingemengten Subjectiven in den Empfindungen und Gedanken bemerkt, und gewiſſer- maßen empfindet. Dieſes kann naͤmlich geſchehen, wo man bey ſtaͤrkern Graden der Affecten ſich ſelbſt noch genug beſitzt, um auf die dadurch veranlaßte Revolu- tion in den Gedanken Achtung zu geben, und ſie ſo wie man ſie alsdann hat, mit denen zu vergleichen, die man uͤber einerley Sachen ehemals bey ruhigem Gemuͤ- the oder auch bey entgegengeſetzten Leidenſchaf- ten hatte. Man wird viele von dieſen letztern Gedan- ken gleichſam aufſuchen muͤſſen, und den Grad ihrer Erheblichkeit merklich geaͤndert finden. Und wenn man ſich gleich auch vorſtellt, das Urtheil des Verſtandes bey ruhigerm Gemuͤthe ſey allerdings zuverlaͤßiger, ſo hat man doch Muͤhe, es ſo anzunehmen, und findet den Verſtand, und, man kann auch ſagen, die mit deſſen Gebrauche ſich bewegenden feinern Fibern des Gehirns,
gleich-
Lamb. Organon II B. U
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Von dem moraliſchen Schein.
Bewegungen der Theile des Gehirnes bis zum Schmer-
zen ſtark werden koͤnnen.
§. 133. Es gehen aber ſolche Bewegungen nicht ſo
ſchlechthin nur gegen den Sitz der Seele zu, ſondern es
finden ſich andere, die ſich von da wiederum ausbreiten.
Man koͤnnte beſonders von den widrigen Empfindun-
gen gedenken, daß ſie eine Art von Repercuſſion veran-
laſſen, die, wie es bey dem Schrecken, Entſetzen,
Erſtaunen, Verabſcheuen, ꝛc. geſchieht, den ganzen
Leib ſtarren oder erſchuͤttern macht. Solche gleichſam
divergirende Bewegungen verurſachen, daß bey den
Empfindungen nicht alles objectiv iſt, ſondern daß ſich
der innere Zuſtand der Seele oder die Gemuͤthsverfaſ-
ſung in die durch die Empfindungen verurſachten Vor-
ſtellungen und Gedanken mit einmengt, und in denſel-
ben manchen leeren Schein fuͤr wahr anſehen macht,
weil er ſchlechthin ſubjectiv iſt (§. 100. 31.). Es mag
auch Faͤlle geben, wo man den Unterſchied des bloß Ob-
jectiven und des mit eingemengten Subjectiven in den
Empfindungen und Gedanken bemerkt, und gewiſſer-
maßen empfindet. Dieſes kann naͤmlich geſchehen, wo
man bey ſtaͤrkern Graden der Affecten ſich ſelbſt noch
genug beſitzt, um auf die dadurch veranlaßte Revolu-
tion in den Gedanken Achtung zu geben, und ſie ſo wie
man ſie alsdann hat, mit denen zu vergleichen, die man
uͤber einerley Sachen ehemals bey ruhigem Gemuͤ-
the oder auch bey entgegengeſetzten Leidenſchaf-
ten hatte. Man wird viele von dieſen letztern Gedan-
ken gleichſam aufſuchen muͤſſen, und den Grad ihrer
Erheblichkeit merklich geaͤndert finden. Und wenn man
ſich gleich auch vorſtellt, das Urtheil des Verſtandes
bey ruhigerm Gemuͤthe ſey allerdings zuverlaͤßiger, ſo
hat man doch Muͤhe, es ſo anzunehmen, und findet den
Verſtand, und, man kann auch ſagen, die mit deſſen
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/311>, abgerufen am 23.11.2024.
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