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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem sinnlichen Schein.
sichtbares Bild an, worauf solche Undulationen gleich-
sam eingeprägt wären. Wir müssen es bey dem Hö-
ren bewenden lassen, und können nur noch die Empfin-
dung der Töne mit der Anzahl der undulirenden Schlä-
ge vergleichen, welche den Schall fortpflanzen.

§. 71. Die Empfindung der Wärme würde noch
dermalen sich selbst überlassen seyn, wenn man nicht in
den neuern Zeiten bemerkt hätte, daß die Wärme noch
auf eine andere Art, nämlich durch die ausdehnende
Kraft, kenntlich und der Ausmessung fähig ist. Nach-
dem man aber dieses gefunden, so lassen sich die Grund-
sätze vom Gleichgewichte und dem Beharrungsstande
dabey anwenden, und selbst die Empfindung der Wär-
me und Kälte auf eine mathematische Theorie bringen.
Das Sonnenlicht, welches zugleich empfindlich erwärmt,
und durch Gläser in beliebiger Verhältniß stärker und
schwächer gemacht werden kann, giebt ebenfalls Versu-
che an die Hand, wodurch die Theorie der Wärme sich
erweitern läßt.

§. 72. Dem Gefühl haben wir die drey Grundbe-
griffe der Ausdehnung, Solidität und Beweglich-
keit
zu danken, auf welchen die wahre physische Spra-
che beruht. Mit diesen sind die Begriffe des festen,
harten, weichen, zähen, flüßigen etc.
in naher Ver-
bindung, und lassen sich durch Theorie und Versuche
nach ihren Graden und Modificationen sehr ausführ-
lich entwickeln. Das Gefühl ist unter allen Sinnen
der unmittelbarste, und führt daher an sich schon näher
zu dem, was die Körper sind. Denn das Auge sieht
sie nur vermittelst des Lichtes, das Ohr bedarf der Luft,
um das Hörbare in ihrer zitternden Bewegung zu em-
pfinden. Der Geruch empfindet nur die Ausflüsse, und
der Geschmack nur die salzichten Theile. Demnach
stellen uns diese vier Sinnen nur die Modificationen
der Körper vor. Hingegen haben wir den Begriff des

etwas,
R 2

Von dem ſinnlichen Schein.
ſichtbares Bild an, worauf ſolche Undulationen gleich-
ſam eingepraͤgt waͤren. Wir muͤſſen es bey dem Hoͤ-
ren bewenden laſſen, und koͤnnen nur noch die Empfin-
dung der Toͤne mit der Anzahl der undulirenden Schlaͤ-
ge vergleichen, welche den Schall fortpflanzen.

§. 71. Die Empfindung der Waͤrme wuͤrde noch
dermalen ſich ſelbſt uͤberlaſſen ſeyn, wenn man nicht in
den neuern Zeiten bemerkt haͤtte, daß die Waͤrme noch
auf eine andere Art, naͤmlich durch die ausdehnende
Kraft, kenntlich und der Ausmeſſung faͤhig iſt. Nach-
dem man aber dieſes gefunden, ſo laſſen ſich die Grund-
ſaͤtze vom Gleichgewichte und dem Beharrungsſtande
dabey anwenden, und ſelbſt die Empfindung der Waͤr-
me und Kaͤlte auf eine mathematiſche Theorie bringen.
Das Sonnenlicht, welches zugleich empfindlich erwaͤrmt,
und durch Glaͤſer in beliebiger Verhaͤltniß ſtaͤrker und
ſchwaͤcher gemacht werden kann, giebt ebenfalls Verſu-
che an die Hand, wodurch die Theorie der Waͤrme ſich
erweitern laͤßt.

§. 72. Dem Gefuͤhl haben wir die drey Grundbe-
griffe der Ausdehnung, Soliditaͤt und Beweglich-
keit
zu danken, auf welchen die wahre phyſiſche Spra-
che beruht. Mit dieſen ſind die Begriffe des feſten,
harten, weichen, zaͤhen, fluͤßigen ꝛc.
in naher Ver-
bindung, und laſſen ſich durch Theorie und Verſuche
nach ihren Graden und Modificationen ſehr ausfuͤhr-
lich entwickeln. Das Gefuͤhl iſt unter allen Sinnen
der unmittelbarſte, und fuͤhrt daher an ſich ſchon naͤher
zu dem, was die Koͤrper ſind. Denn das Auge ſieht
ſie nur vermittelſt des Lichtes, das Ohr bedarf der Luft,
um das Hoͤrbare in ihrer zitternden Bewegung zu em-
pfinden. Der Geruch empfindet nur die Ausfluͤſſe, und
der Geſchmack nur die ſalzichten Theile. Demnach
ſtellen uns dieſe vier Sinnen nur die Modificationen
der Koͤrper vor. Hingegen haben wir den Begriff des

etwas,
R 2
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[259/0265] Von dem ſinnlichen Schein. ſichtbares Bild an, worauf ſolche Undulationen gleich- ſam eingepraͤgt waͤren. Wir muͤſſen es bey dem Hoͤ- ren bewenden laſſen, und koͤnnen nur noch die Empfin- dung der Toͤne mit der Anzahl der undulirenden Schlaͤ- ge vergleichen, welche den Schall fortpflanzen. §. 71. Die Empfindung der Waͤrme wuͤrde noch dermalen ſich ſelbſt uͤberlaſſen ſeyn, wenn man nicht in den neuern Zeiten bemerkt haͤtte, daß die Waͤrme noch auf eine andere Art, naͤmlich durch die ausdehnende Kraft, kenntlich und der Ausmeſſung faͤhig iſt. Nach- dem man aber dieſes gefunden, ſo laſſen ſich die Grund- ſaͤtze vom Gleichgewichte und dem Beharrungsſtande dabey anwenden, und ſelbſt die Empfindung der Waͤr- me und Kaͤlte auf eine mathematiſche Theorie bringen. Das Sonnenlicht, welches zugleich empfindlich erwaͤrmt, und durch Glaͤſer in beliebiger Verhaͤltniß ſtaͤrker und ſchwaͤcher gemacht werden kann, giebt ebenfalls Verſu- che an die Hand, wodurch die Theorie der Waͤrme ſich erweitern laͤßt. §. 72. Dem Gefuͤhl haben wir die drey Grundbe- griffe der Ausdehnung, Soliditaͤt und Beweglich- keit zu danken, auf welchen die wahre phyſiſche Spra- che beruht. Mit dieſen ſind die Begriffe des feſten, harten, weichen, zaͤhen, fluͤßigen ꝛc. in naher Ver- bindung, und laſſen ſich durch Theorie und Verſuche nach ihren Graden und Modificationen ſehr ausfuͤhr- lich entwickeln. Das Gefuͤhl iſt unter allen Sinnen der unmittelbarſte, und fuͤhrt daher an ſich ſchon naͤher zu dem, was die Koͤrper ſind. Denn das Auge ſieht ſie nur vermittelſt des Lichtes, das Ohr bedarf der Luft, um das Hoͤrbare in ihrer zitternden Bewegung zu em- pfinden. Der Geruch empfindet nur die Ausfluͤſſe, und der Geſchmack nur die ſalzichten Theile. Demnach ſtellen uns dieſe vier Sinnen nur die Modificationen der Koͤrper vor. Hingegen haben wir den Begriff des etwas, R 2

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/265>, abgerufen am 23.11.2024.