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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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II. Hauptstück.
ist nicht nur an Helligkeit, sondern an Weiße verschie-
den. Es fragt sich demnach, bey welchem Lichte die
Körper ihre natürliche Farbe zeigen? Die weiße Far-
be des Lichtes wird dazu gewählt, und ungeacht noch
ganz unbestimmt ist, wie sie weiß seyn soll, so wird sie
dennoch bey Beurtheilung der wahren Farbe der Kör-
per zum Grunde gelegt. Die scheinbare Figur der
Körper hat ähnliche Abwechslungen. Man muß jede
Seite gerade vor sich anschauen, wenn man ihre na-
türliche
Gestalt sehen will, und auf diese werden jede
Abwechslungen bezogen, welche sich äußern, wenn man
sie schief anschaut. Jn Ansehung der Speisen bemer-
ken wir ähnliche Abwechslungen, und wer die feinern
Unterschiede verschiedener Weine empfinden will, muß
darauf denken, die Zunge und den Gaumen nicht durch
Kostung scharfer, bitterer oder anderer Speisen und
Getränke unempfindlich zu machen, oder dadurch die
Empfindungen zu vermengen, und so auch den Wein
nicht in Fässer gießen, worinn die Hefen und folg-
lich der Erdgust von andern ganz verschiedenen Arten
Weins ist.

§. 59. Wenn die Ursachen des relativen Scheins
bekannt sind, so kann man denselben voraus wissen,
oder dessen Rechnung tragen. Widrigenfalls verfällt
man sehr leicht in den Fehler, daß man ihn als von der
Sache selbst, oder von den Sinnen oder von beyden
herrührend ansieht. So z. E. sieht man das Licht der
Sonne für gelber an, als es an sich ist, weil die Luft,
durch die es geht, von den blauen Stralen desto mehr
auffängt, je grösser der Weg der Sonnenstralen durch
die Luft, und je näher folglich die Sonne dem Horizont
ist. Denn am Horizonte scheint sie nicht nur gelb,
sondern roth, und der Wiederglanz dieser rothen Stra-
len in den Wolken ist es, was die Morgen-und Abend-
röthe ausmacht. Man würde unrichtig denken, wenn

man

II. Hauptſtuͤck.
iſt nicht nur an Helligkeit, ſondern an Weiße verſchie-
den. Es fragt ſich demnach, bey welchem Lichte die
Koͤrper ihre natuͤrliche Farbe zeigen? Die weiße Far-
be des Lichtes wird dazu gewaͤhlt, und ungeacht noch
ganz unbeſtimmt iſt, wie ſie weiß ſeyn ſoll, ſo wird ſie
dennoch bey Beurtheilung der wahren Farbe der Koͤr-
per zum Grunde gelegt. Die ſcheinbare Figur der
Koͤrper hat aͤhnliche Abwechslungen. Man muß jede
Seite gerade vor ſich anſchauen, wenn man ihre na-
tuͤrliche
Geſtalt ſehen will, und auf dieſe werden jede
Abwechslungen bezogen, welche ſich aͤußern, wenn man
ſie ſchief anſchaut. Jn Anſehung der Speiſen bemer-
ken wir aͤhnliche Abwechslungen, und wer die feinern
Unterſchiede verſchiedener Weine empfinden will, muß
darauf denken, die Zunge und den Gaumen nicht durch
Koſtung ſcharfer, bitterer oder anderer Speiſen und
Getraͤnke unempfindlich zu machen, oder dadurch die
Empfindungen zu vermengen, und ſo auch den Wein
nicht in Faͤſſer gießen, worinn die Hefen und folg-
lich der Erdguſt von andern ganz verſchiedenen Arten
Weins iſt.

§. 59. Wenn die Urſachen des relativen Scheins
bekannt ſind, ſo kann man denſelben voraus wiſſen,
oder deſſen Rechnung tragen. Widrigenfalls verfaͤllt
man ſehr leicht in den Fehler, daß man ihn als von der
Sache ſelbſt, oder von den Sinnen oder von beyden
herruͤhrend anſieht. So z. E. ſieht man das Licht der
Sonne fuͤr gelber an, als es an ſich iſt, weil die Luft,
durch die es geht, von den blauen Stralen deſto mehr
auffaͤngt, je groͤſſer der Weg der Sonnenſtralen durch
die Luft, und je naͤher folglich die Sonne dem Horizont
iſt. Denn am Horizonte ſcheint ſie nicht nur gelb,
ſondern roth, und der Wiederglanz dieſer rothen Stra-
len in den Wolken iſt es, was die Morgen-und Abend-
roͤthe ausmacht. Man wuͤrde unrichtig denken, wenn

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[252/0258] II. Hauptſtuͤck. iſt nicht nur an Helligkeit, ſondern an Weiße verſchie- den. Es fragt ſich demnach, bey welchem Lichte die Koͤrper ihre natuͤrliche Farbe zeigen? Die weiße Far- be des Lichtes wird dazu gewaͤhlt, und ungeacht noch ganz unbeſtimmt iſt, wie ſie weiß ſeyn ſoll, ſo wird ſie dennoch bey Beurtheilung der wahren Farbe der Koͤr- per zum Grunde gelegt. Die ſcheinbare Figur der Koͤrper hat aͤhnliche Abwechslungen. Man muß jede Seite gerade vor ſich anſchauen, wenn man ihre na- tuͤrliche Geſtalt ſehen will, und auf dieſe werden jede Abwechslungen bezogen, welche ſich aͤußern, wenn man ſie ſchief anſchaut. Jn Anſehung der Speiſen bemer- ken wir aͤhnliche Abwechslungen, und wer die feinern Unterſchiede verſchiedener Weine empfinden will, muß darauf denken, die Zunge und den Gaumen nicht durch Koſtung ſcharfer, bitterer oder anderer Speiſen und Getraͤnke unempfindlich zu machen, oder dadurch die Empfindungen zu vermengen, und ſo auch den Wein nicht in Faͤſſer gießen, worinn die Hefen und folg- lich der Erdguſt von andern ganz verſchiedenen Arten Weins iſt. §. 59. Wenn die Urſachen des relativen Scheins bekannt ſind, ſo kann man denſelben voraus wiſſen, oder deſſen Rechnung tragen. Widrigenfalls verfaͤllt man ſehr leicht in den Fehler, daß man ihn als von der Sache ſelbſt, oder von den Sinnen oder von beyden herruͤhrend anſieht. So z. E. ſieht man das Licht der Sonne fuͤr gelber an, als es an ſich iſt, weil die Luft, durch die es geht, von den blauen Stralen deſto mehr auffaͤngt, je groͤſſer der Weg der Sonnenſtralen durch die Luft, und je naͤher folglich die Sonne dem Horizont iſt. Denn am Horizonte ſcheint ſie nicht nur gelb, ſondern roth, und der Wiederglanz dieſer rothen Stra- len in den Wolken iſt es, was die Morgen-und Abend- roͤthe ausmacht. Man wuͤrde unrichtig denken, wenn man

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/258>, abgerufen am 23.11.2024.