dungen die schwächern verdunkeln, daß man sich ihrer nicht bewußt ist. Auch die Affecten können unempfind- lich machen, wie etwan in der Hitze des Treffens em- pfangene Wunden nicht geachtet werden. Alle diese Ursachen, die den Grad der Empfindlichkeit des Gefühls ändern, werden durch die Vergleichung mit ähnlichen vorhingehabten Empfindungen, und dadurch, daß sie sich auf mehrere Objecte ausbreiten (§. 36.) entdeckt und beurtheilt.
§. 43. Jn den meisten Fällen, wo wir Anstand ha- ben, ob wir wirkliche Dinge empfinden, oder ob wir die empfinden, die uns der Eindruck in die Sinnen da zu seyn glauben macht, ist es rathsam und thunlich, an- dere Sinnen zu Hülfe zu nehmen, und aus den Um- ständen und dem Zusammenhang der Dinge in der Welt hergenommene und dahin dienende Schlüsse zu gebrauchen. Man glaubt z. E. eine Person dem An- sehen nach zu kennen, und versichert sich durch die Re- den, ob sie es ist oder nicht? Man glaubt in einem Glase Wasser zu sehen, der Geruch verräth, daß es ge- brannt ist. Man glaubt einen Freund zu sehen, man weiß aber gewisser, daß er abwesend ist, etc.
§. 44. Die bisherigen Betrachtungen leiten uns unvermerkt zu der Betrachtung des physischen Scheins, wo nämlich der Eindruck in die Sinnen in der That durch äußerliche Gegenstände verursacht wird. Dieser Schein hat unzählige Stuffen, wodurch er endlich an den organischen gränzt. Der Anfang dieser Stuffen ist, wo die Sache durchaus so ist, wie sie empfunden wird, und wobey folglich Wahrheit und Schein zusam- mentrifft. So z. E. scheint uns eine Kugel in jeden Umständen rund, wenn sie durchaus beleuchtet oder selbst licht ist. Von dieser Stuffe an gerechnet sind die übri- gen, wobey die Sache von dem Schein verschieden ist, und wo sich in die Empfindung andere bloß von den
Sinnen
II. Hauptſtuͤck.
dungen die ſchwaͤchern verdunkeln, daß man ſich ihrer nicht bewußt iſt. Auch die Affecten koͤnnen unempfind- lich machen, wie etwan in der Hitze des Treffens em- pfangene Wunden nicht geachtet werden. Alle dieſe Urſachen, die den Grad der Empfindlichkeit des Gefuͤhls aͤndern, werden durch die Vergleichung mit aͤhnlichen vorhingehabten Empfindungen, und dadurch, daß ſie ſich auf mehrere Objecte ausbreiten (§. 36.) entdeckt und beurtheilt.
§. 43. Jn den meiſten Faͤllen, wo wir Anſtand ha- ben, ob wir wirkliche Dinge empfinden, oder ob wir die empfinden, die uns der Eindruck in die Sinnen da zu ſeyn glauben macht, iſt es rathſam und thunlich, an- dere Sinnen zu Huͤlfe zu nehmen, und aus den Um- ſtaͤnden und dem Zuſammenhang der Dinge in der Welt hergenommene und dahin dienende Schluͤſſe zu gebrauchen. Man glaubt z. E. eine Perſon dem An- ſehen nach zu kennen, und verſichert ſich durch die Re- den, ob ſie es iſt oder nicht? Man glaubt in einem Glaſe Waſſer zu ſehen, der Geruch verraͤth, daß es ge- brannt iſt. Man glaubt einen Freund zu ſehen, man weiß aber gewiſſer, daß er abweſend iſt, ꝛc.
§. 44. Die bisherigen Betrachtungen leiten uns unvermerkt zu der Betrachtung des phyſiſchen Scheins, wo naͤmlich der Eindruck in die Sinnen in der That durch aͤußerliche Gegenſtaͤnde verurſacht wird. Dieſer Schein hat unzaͤhlige Stuffen, wodurch er endlich an den organiſchen graͤnzt. Der Anfang dieſer Stuffen iſt, wo die Sache durchaus ſo iſt, wie ſie empfunden wird, und wobey folglich Wahrheit und Schein zuſam- mentrifft. So z. E. ſcheint uns eine Kugel in jeden Umſtaͤnden rund, wenn ſie durchaus beleuchtet oder ſelbſt licht iſt. Von dieſer Stuffe an gerechnet ſind die uͤbri- gen, wobey die Sache von dem Schein verſchieden iſt, und wo ſich in die Empfindung andere bloß von den
Sinnen
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II. Hauptſtuͤck.
dungen die ſchwaͤchern verdunkeln, daß man ſich ihrer
nicht bewußt iſt. Auch die Affecten koͤnnen unempfind-
lich machen, wie etwan in der Hitze des Treffens em-
pfangene Wunden nicht geachtet werden. Alle dieſe
Urſachen, die den Grad der Empfindlichkeit des Gefuͤhls
aͤndern, werden durch die Vergleichung mit aͤhnlichen
vorhingehabten Empfindungen, und dadurch, daß ſie
ſich auf mehrere Objecte ausbreiten (§. 36.) entdeckt und
beurtheilt.
§. 43. Jn den meiſten Faͤllen, wo wir Anſtand ha-
ben, ob wir wirkliche Dinge empfinden, oder ob wir die
empfinden, die uns der Eindruck in die Sinnen da zu
ſeyn glauben macht, iſt es rathſam und thunlich, an-
dere Sinnen zu Huͤlfe zu nehmen, und aus den Um-
ſtaͤnden und dem Zuſammenhang der Dinge in der
Welt hergenommene und dahin dienende Schluͤſſe zu
gebrauchen. Man glaubt z. E. eine Perſon dem An-
ſehen nach zu kennen, und verſichert ſich durch die Re-
den, ob ſie es iſt oder nicht? Man glaubt in einem
Glaſe Waſſer zu ſehen, der Geruch verraͤth, daß es ge-
brannt iſt. Man glaubt einen Freund zu ſehen, man
weiß aber gewiſſer, daß er abweſend iſt, ꝛc.
§. 44. Die bisherigen Betrachtungen leiten uns
unvermerkt zu der Betrachtung des phyſiſchen Scheins,
wo naͤmlich der Eindruck in die Sinnen in der That
durch aͤußerliche Gegenſtaͤnde verurſacht wird. Dieſer
Schein hat unzaͤhlige Stuffen, wodurch er endlich an
den organiſchen graͤnzt. Der Anfang dieſer Stuffen
iſt, wo die Sache durchaus ſo iſt, wie ſie empfunden
wird, und wobey folglich Wahrheit und Schein zuſam-
mentrifft. So z. E. ſcheint uns eine Kugel in jeden
Umſtaͤnden rund, wenn ſie durchaus beleuchtet oder ſelbſt
licht iſt. Von dieſer Stuffe an gerechnet ſind die uͤbri-
gen, wobey die Sache von dem Schein verſchieden iſt,
und wo ſich in die Empfindung andere bloß von den
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/248>, abgerufen am 21.07.2024.
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