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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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I. Hauptstück.
uns andere Stücke lebhafter vorkommen, und dieses
kann uns veranlassen, eine und eben die Sache für zwo
verschiedene Sachen anzusehen, oder hinwiederum zwo
verschiedene Sachen für eine zu halten, oder eine für
die andere zu nehmen.
Es ist für sich klar, daß
das Gedächtniß dazu beyträgt, wenn wir uns der Em-
pfindung, wie wir sie das erstemal hatten, nicht mehr
ganz errinnern.

§. 12. Sodann ist es möglich, daß eine Empfin-
dung, wovon wir uns nicht aller Theile bewußt sind,
nachgehends in uns auflebt, und uns auch einige von
denen Stücken zu Sinne bringt, deren wir uns bey der
Empfindung selbst nicht bewußt waren, oder hinwieder-
um andere wegbleiben, deren wir uns bey der Empfin-
dung wohl bewußt waren. Der Begriff der Sache
wird dadurch offenbar gleichsam verunstaltet, und die
Urtheile, die wir bey der Empfindung über die Sache
fällten, wollen sich mit dem aufgelebten Begriffe der
Sache nicht mehr durchaus reimen. Denn dieser Be-
griff sowohl als der, den wir bey der Empfindung der
Sache hatten, stellen sie von verschiedenen Seiten vor.
Und wenn auch beyden Seiten weiter nichts fehlt, als
daß sie die Sache nicht ganz vorstellen, so können sie
widersprechend scheinen, ohne daß sie es in der That
sind.

§. 13. Das erst betrachtete mehr oder mindere Be-
wußtseyn der einzeln Theile einer Vorstellung, kömmt
aber nicht nur bey den Empfindungen der äußern Sin-
nen vor, sondern es dehnt sich überhaupt auf das ganze
Gedankenreich aus, und bringt darinn ähnliche Ver-
wirrungen hervor. Vorzüglich aber äußern sich diese
Folgen: 1. Bey Beurtheilung der Grade und des
Werths der Dinge, wobey man noch keinen bestimm-
ten Maaßstab hat, wie z. E. bey Beurtheilung der
Schönheit und Vollkommenheit einer Sache. Jn sol-

chen

I. Hauptſtuͤck.
uns andere Stuͤcke lebhafter vorkommen, und dieſes
kann uns veranlaſſen, eine und eben die Sache fuͤr zwo
verſchiedene Sachen anzuſehen, oder hinwiederum zwo
verſchiedene Sachen fuͤr eine zu halten, oder eine fuͤr
die andere zu nehmen.
Es iſt fuͤr ſich klar, daß
das Gedaͤchtniß dazu beytraͤgt, wenn wir uns der Em-
pfindung, wie wir ſie das erſtemal hatten, nicht mehr
ganz errinnern.

§. 12. Sodann iſt es moͤglich, daß eine Empfin-
dung, wovon wir uns nicht aller Theile bewußt ſind,
nachgehends in uns auflebt, und uns auch einige von
denen Stuͤcken zu Sinne bringt, deren wir uns bey der
Empfindung ſelbſt nicht bewußt waren, oder hinwieder-
um andere wegbleiben, deren wir uns bey der Empfin-
dung wohl bewußt waren. Der Begriff der Sache
wird dadurch offenbar gleichſam verunſtaltet, und die
Urtheile, die wir bey der Empfindung uͤber die Sache
faͤllten, wollen ſich mit dem aufgelebten Begriffe der
Sache nicht mehr durchaus reimen. Denn dieſer Be-
griff ſowohl als der, den wir bey der Empfindung der
Sache hatten, ſtellen ſie von verſchiedenen Seiten vor.
Und wenn auch beyden Seiten weiter nichts fehlt, als
daß ſie die Sache nicht ganz vorſtellen, ſo koͤnnen ſie
widerſprechend ſcheinen, ohne daß ſie es in der That
ſind.

§. 13. Das erſt betrachtete mehr oder mindere Be-
wußtſeyn der einzeln Theile einer Vorſtellung, koͤmmt
aber nicht nur bey den Empfindungen der aͤußern Sin-
nen vor, ſondern es dehnt ſich uͤberhaupt auf das ganze
Gedankenreich aus, und bringt darinn aͤhnliche Ver-
wirrungen hervor. Vorzuͤglich aber aͤußern ſich dieſe
Folgen: 1. Bey Beurtheilung der Grade und des
Werths der Dinge, wobey man noch keinen beſtimm-
ten Maaßſtab hat, wie z. E. bey Beurtheilung der
Schoͤnheit und Vollkommenheit einer Sache. Jn ſol-

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[224/0230] I. Hauptſtuͤck. uns andere Stuͤcke lebhafter vorkommen, und dieſes kann uns veranlaſſen, eine und eben die Sache fuͤr zwo verſchiedene Sachen anzuſehen, oder hinwiederum zwo verſchiedene Sachen fuͤr eine zu halten, oder eine fuͤr die andere zu nehmen. Es iſt fuͤr ſich klar, daß das Gedaͤchtniß dazu beytraͤgt, wenn wir uns der Em- pfindung, wie wir ſie das erſtemal hatten, nicht mehr ganz errinnern. §. 12. Sodann iſt es moͤglich, daß eine Empfin- dung, wovon wir uns nicht aller Theile bewußt ſind, nachgehends in uns auflebt, und uns auch einige von denen Stuͤcken zu Sinne bringt, deren wir uns bey der Empfindung ſelbſt nicht bewußt waren, oder hinwieder- um andere wegbleiben, deren wir uns bey der Empfin- dung wohl bewußt waren. Der Begriff der Sache wird dadurch offenbar gleichſam verunſtaltet, und die Urtheile, die wir bey der Empfindung uͤber die Sache faͤllten, wollen ſich mit dem aufgelebten Begriffe der Sache nicht mehr durchaus reimen. Denn dieſer Be- griff ſowohl als der, den wir bey der Empfindung der Sache hatten, ſtellen ſie von verſchiedenen Seiten vor. Und wenn auch beyden Seiten weiter nichts fehlt, als daß ſie die Sache nicht ganz vorſtellen, ſo koͤnnen ſie widerſprechend ſcheinen, ohne daß ſie es in der That ſind. §. 13. Das erſt betrachtete mehr oder mindere Be- wußtſeyn der einzeln Theile einer Vorſtellung, koͤmmt aber nicht nur bey den Empfindungen der aͤußern Sin- nen vor, ſondern es dehnt ſich uͤberhaupt auf das ganze Gedankenreich aus, und bringt darinn aͤhnliche Ver- wirrungen hervor. Vorzuͤglich aber aͤußern ſich dieſe Folgen: 1. Bey Beurtheilung der Grade und des Werths der Dinge, wobey man noch keinen beſtimm- ten Maaßſtab hat, wie z. E. bey Beurtheilung der Schoͤnheit und Vollkommenheit einer Sache. Jn ſol- chen

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/230>, abgerufen am 23.11.2024.