Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite


Zehntes Hauptstück.
Von
dem Hypothetischen der Sprache.

§. 329.

Da die Wörter und ihre Verbindung Zeichen von
unsern Begriffen und deren Verbindung sind, so
daß wir durch das Bewußtseyn und Empfinden der
Zeichen das Bewußtseyn der Begriffe erneuern, und
dadurch die wiederholte Empfindung der Dinge selbst
großentheils entbehrlich machen, so hat die Sprache un-
streitig einen vielfachen und merklichen Einfluß in die
Art und Gestalt unserer gesammten Erkenntniß. Wir
haben in dem ersten Hauptstücke hierüber bereits ver-
schiedene allgemeinere Betrachtungen angestellt, die wir
noch umständlicher aus einander zu setzen haben. Sie
betreffen vornehmlich das Hypothetische in der Spra-
che, und dieses ist durchaus allen Sprachen gemein.
Daß ein Wort vielmehr diese als eine andere Sache
bedeute, kömmt schlechthin darauf an, daß man es da-
zu gewählt hat, und die letzten Gründe, die man in den
Sprachlehren geben kann, beziehen sich endlich schlecht-
hin auf den Gebrauch zu reden, als welcher auch
noch in den größten Anomalien vorgewandt wird.

§. 330. Es dehnt sich aber dieses Hypothetische
nicht nur auf jede Wörter und jede Wortfügungen, und
folglich so weit als die Sprache aus, sondern so will-
kührlich es auch an sich ist, so muß man fast durchaus
dabey bleiben, wenn man nicht eine neue Sprache vor-
bringen, noch andern unverständlich werden will, und
es lassen sich ohne strengern Beweis einer Nothwendig-
keit nicht wohl Aenderungen darinn vornehmen, unge-

acht
N 5


Zehntes Hauptſtuͤck.
Von
dem Hypothetiſchen der Sprache.

§. 329.

Da die Woͤrter und ihre Verbindung Zeichen von
unſern Begriffen und deren Verbindung ſind, ſo
daß wir durch das Bewußtſeyn und Empfinden der
Zeichen das Bewußtſeyn der Begriffe erneuern, und
dadurch die wiederholte Empfindung der Dinge ſelbſt
großentheils entbehrlich machen, ſo hat die Sprache un-
ſtreitig einen vielfachen und merklichen Einfluß in die
Art und Geſtalt unſerer geſammten Erkenntniß. Wir
haben in dem erſten Hauptſtuͤcke hieruͤber bereits ver-
ſchiedene allgemeinere Betrachtungen angeſtellt, die wir
noch umſtaͤndlicher aus einander zu ſetzen haben. Sie
betreffen vornehmlich das Hypothetiſche in der Spra-
che, und dieſes iſt durchaus allen Sprachen gemein.
Daß ein Wort vielmehr dieſe als eine andere Sache
bedeute, koͤmmt ſchlechthin darauf an, daß man es da-
zu gewaͤhlt hat, und die letzten Gruͤnde, die man in den
Sprachlehren geben kann, beziehen ſich endlich ſchlecht-
hin auf den Gebrauch zu reden, als welcher auch
noch in den groͤßten Anomalien vorgewandt wird.

§. 330. Es dehnt ſich aber dieſes Hypothetiſche
nicht nur auf jede Woͤrter und jede Wortfuͤgungen, und
folglich ſo weit als die Sprache aus, ſondern ſo will-
kuͤhrlich es auch an ſich iſt, ſo muß man faſt durchaus
dabey bleiben, wenn man nicht eine neue Sprache vor-
bringen, noch andern unverſtaͤndlich werden will, und
es laſſen ſich ohne ſtrengern Beweis einer Nothwendig-
keit nicht wohl Aenderungen darinn vornehmen, unge-

acht
N 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0207" n="201"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b">Zehntes Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi><lb/>
Von<lb/><hi rendition="#b">dem Hypotheti&#x017F;chen der Sprache.</hi></head><lb/>
          <p> <hi rendition="#c">§. 329.</hi> </p><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>a die Wo&#x0364;rter und ihre Verbindung Zeichen von<lb/>
un&#x017F;ern Begriffen und deren Verbindung &#x017F;ind, &#x017F;o<lb/>
daß wir durch das Bewußt&#x017F;eyn und Empfinden der<lb/>
Zeichen das Bewußt&#x017F;eyn der Begriffe erneuern, und<lb/>
dadurch die wiederholte Empfindung der Dinge &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
großentheils entbehrlich machen, &#x017F;o hat die Sprache un-<lb/>
&#x017F;treitig einen vielfachen und merklichen Einfluß in die<lb/>
Art und Ge&#x017F;talt un&#x017F;erer ge&#x017F;ammten Erkenntniß. Wir<lb/>
haben in dem er&#x017F;ten Haupt&#x017F;tu&#x0364;cke hieru&#x0364;ber bereits ver-<lb/>
&#x017F;chiedene allgemeinere Betrachtungen ange&#x017F;tellt, die wir<lb/>
noch um&#x017F;ta&#x0364;ndlicher aus einander zu &#x017F;etzen haben. Sie<lb/>
betreffen vornehmlich das Hypotheti&#x017F;che in der Spra-<lb/>
che, und die&#x017F;es i&#x017F;t durchaus allen Sprachen gemein.<lb/>
Daß ein Wort vielmehr die&#x017F;e als eine andere Sache<lb/>
bedeute, ko&#x0364;mmt &#x017F;chlechthin darauf an, daß man es da-<lb/>
zu gewa&#x0364;hlt hat, und die letzten Gru&#x0364;nde, die man in den<lb/>
Sprachlehren geben kann, beziehen &#x017F;ich endlich &#x017F;chlecht-<lb/>
hin auf den <hi rendition="#fr">Gebrauch zu reden,</hi> als welcher auch<lb/>
noch in den gro&#x0364;ßten Anomalien vorgewandt wird.</p><lb/>
          <p>§. 330. Es dehnt &#x017F;ich aber die&#x017F;es Hypotheti&#x017F;che<lb/>
nicht nur auf jede Wo&#x0364;rter und jede Wortfu&#x0364;gungen, und<lb/>
folglich &#x017F;o weit als die Sprache aus, &#x017F;ondern &#x017F;o will-<lb/>
ku&#x0364;hrlich es auch an &#x017F;ich i&#x017F;t, &#x017F;o muß man fa&#x017F;t durchaus<lb/>
dabey bleiben, wenn man nicht eine neue Sprache vor-<lb/>
bringen, noch andern unver&#x017F;ta&#x0364;ndlich werden will, und<lb/>
es la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich ohne &#x017F;trengern Beweis einer Nothwendig-<lb/>
keit nicht wohl Aenderungen darinn vornehmen, unge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 5</fw><fw place="bottom" type="catch">acht</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0207] Zehntes Hauptſtuͤck. Von dem Hypothetiſchen der Sprache. §. 329. Da die Woͤrter und ihre Verbindung Zeichen von unſern Begriffen und deren Verbindung ſind, ſo daß wir durch das Bewußtſeyn und Empfinden der Zeichen das Bewußtſeyn der Begriffe erneuern, und dadurch die wiederholte Empfindung der Dinge ſelbſt großentheils entbehrlich machen, ſo hat die Sprache un- ſtreitig einen vielfachen und merklichen Einfluß in die Art und Geſtalt unſerer geſammten Erkenntniß. Wir haben in dem erſten Hauptſtuͤcke hieruͤber bereits ver- ſchiedene allgemeinere Betrachtungen angeſtellt, die wir noch umſtaͤndlicher aus einander zu ſetzen haben. Sie betreffen vornehmlich das Hypothetiſche in der Spra- che, und dieſes iſt durchaus allen Sprachen gemein. Daß ein Wort vielmehr dieſe als eine andere Sache bedeute, koͤmmt ſchlechthin darauf an, daß man es da- zu gewaͤhlt hat, und die letzten Gruͤnde, die man in den Sprachlehren geben kann, beziehen ſich endlich ſchlecht- hin auf den Gebrauch zu reden, als welcher auch noch in den groͤßten Anomalien vorgewandt wird. §. 330. Es dehnt ſich aber dieſes Hypothetiſche nicht nur auf jede Woͤrter und jede Wortfuͤgungen, und folglich ſo weit als die Sprache aus, ſondern ſo will- kuͤhrlich es auch an ſich iſt, ſo muß man faſt durchaus dabey bleiben, wenn man nicht eine neue Sprache vor- bringen, noch andern unverſtaͤndlich werden will, und es laſſen ſich ohne ſtrengern Beweis einer Nothwendig- keit nicht wohl Aenderungen darinn vornehmen, unge- acht N 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/207
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/207>, abgerufen am 21.11.2024.