Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.IX. Hauptstück. Demnach bringt es die Natur der Sache und der Zeich-nung mit, daß das Hauptwort, so dem Beywort vor- gesetzt wird, dasselbe vergleichungsweise bestimme. Aus diesem Grunde aber scheint es dem Genio der Sprache zuwider, wenn man etwan Hauptwörter mit solchen Beywörtern zusammensetzt, die ein Vorwort fordern, und mittelst dieses Vorworts eine ordentliche Constru- ction haben, z. E. rußgeschwärzt, anstatt: mit Ruß geschwärzt, so auch gottgeliebt, an statt: von Gott geliebt. Dergleichen grammatische El- lipsen scheinen zu hart, und machen solche Wörter den Lesern anstößig, da man hingegen diejenigen gelten läßt, wo das Beywort keines Vorwortes oder höchstens nur einer gewissen Fallendung bedarf, wie z. E. in den Wörtern: gnadenreich, demuthsvoll, sorglos, fruchtbringend, etc. Man kann aber auch bey sol- chen Wörtern ausgelassene Ellipsen gedenken, und an statt gnadenreich, den Ausdruck: reich an Gna- den, setzen. Und so scheint es, daß es nur auf den Mangel der Gewohnheit ankomme, wenn man Wör- ter von der erstern Art in der Sprache nicht gelten läßt. Denn durch die Gewohnheit sehen wir solche Wörter fast nicht anders als Wurzelwörter an, deren Bedeu- tung sich aus der Ableitungsart entweder gar nicht oder wenigstens sehr mühsam erkennen läßt, weil wir nicht gewöhnt sind, im Reden die Begriffe erst durch Schlüs- se mit den Wörtern zu verbinden, oder sie uns durch die Vorstellung und das Bewußtseyn der Etymologie und Ellipsen zu Sinne zu legen. §. 326. Das andere Beyspiel, so wir noch anfüh- sche
IX. Hauptſtuͤck. Demnach bringt es die Natur der Sache und der Zeich-nung mit, daß das Hauptwort, ſo dem Beywort vor- geſetzt wird, daſſelbe vergleichungsweiſe beſtimme. Aus dieſem Grunde aber ſcheint es dem Genio der Sprache zuwider, wenn man etwan Hauptwoͤrter mit ſolchen Beywoͤrtern zuſammenſetzt, die ein Vorwort fordern, und mittelſt dieſes Vorworts eine ordentliche Conſtru- ction haben, z. E. rußgeſchwaͤrzt, anſtatt: mit Ruß geſchwaͤrzt, ſo auch gottgeliebt, an ſtatt: von Gott geliebt. Dergleichen grammatiſche El- lipſen ſcheinen zu hart, und machen ſolche Woͤrter den Leſern anſtoͤßig, da man hingegen diejenigen gelten laͤßt, wo das Beywort keines Vorwortes oder hoͤchſtens nur einer gewiſſen Fallendung bedarf, wie z. E. in den Woͤrtern: gnadenreich, demuthsvoll, ſorglos, fruchtbringend, ꝛc. Man kann aber auch bey ſol- chen Woͤrtern ausgelaſſene Ellipſen gedenken, und an ſtatt gnadenreich, den Ausdruck: reich an Gna- den, ſetzen. Und ſo ſcheint es, daß es nur auf den Mangel der Gewohnheit ankomme, wenn man Woͤr- ter von der erſtern Art in der Sprache nicht gelten laͤßt. Denn durch die Gewohnheit ſehen wir ſolche Woͤrter faſt nicht anders als Wurzelwoͤrter an, deren Bedeu- tung ſich aus der Ableitungsart entweder gar nicht oder wenigſtens ſehr muͤhſam erkennen laͤßt, weil wir nicht gewoͤhnt ſind, im Reden die Begriffe erſt durch Schluͤſ- ſe mit den Woͤrtern zu verbinden, oder ſie uns durch die Vorſtellung und das Bewußtſeyn der Etymologie und Ellipſen zu Sinne zu legen. §. 326. Das andere Beyſpiel, ſo wir noch anfuͤh- ſche
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IX. Hauptſtuͤck.
Demnach bringt es die Natur der Sache und der Zeich-
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geſetzt wird, daſſelbe vergleichungsweiſe beſtimme. Aus
dieſem Grunde aber ſcheint es dem Genio der Sprache
zuwider, wenn man etwan Hauptwoͤrter mit ſolchen
Beywoͤrtern zuſammenſetzt, die ein Vorwort fordern,
und mittelſt dieſes Vorworts eine ordentliche Conſtru-
ction haben, z. E. rußgeſchwaͤrzt, anſtatt: mit
Ruß geſchwaͤrzt, ſo auch gottgeliebt, an ſtatt:
von Gott geliebt. Dergleichen grammatiſche El-
lipſen ſcheinen zu hart, und machen ſolche Woͤrter den
Leſern anſtoͤßig, da man hingegen diejenigen gelten laͤßt,
wo das Beywort keines Vorwortes oder hoͤchſtens nur
einer gewiſſen Fallendung bedarf, wie z. E. in den
Woͤrtern: gnadenreich, demuthsvoll, ſorglos,
fruchtbringend, ꝛc. Man kann aber auch bey ſol-
chen Woͤrtern ausgelaſſene Ellipſen gedenken, und an
ſtatt gnadenreich, den Ausdruck: reich an Gna-
den, ſetzen. Und ſo ſcheint es, daß es nur auf den
Mangel der Gewohnheit ankomme, wenn man Woͤr-
ter von der erſtern Art in der Sprache nicht gelten laͤßt.
Denn durch die Gewohnheit ſehen wir ſolche Woͤrter
faſt nicht anders als Wurzelwoͤrter an, deren Bedeu-
tung ſich aus der Ableitungsart entweder gar nicht oder
wenigſtens ſehr muͤhſam erkennen laͤßt, weil wir nicht
gewoͤhnt ſind, im Reden die Begriffe erſt durch Schluͤſ-
ſe mit den Woͤrtern zu verbinden, oder ſie uns durch
die Vorſtellung und das Bewußtſeyn der Etymologie
und Ellipſen zu Sinne zu legen.
§. 326. Das andere Beyſpiel, ſo wir noch anfuͤh-
ren wollen, nehmen wir von den Mittelwoͤrtern her, de-
ren Gebrauch man im Deutſchen allgemeiner und viel-
faͤltiger zu machen geſucht hat, als er bis dahin gewe-
ſen war. Man kann aus Vergleichung der alten und
neuen gelehrten Sprachen leicht ſehen, daß die deut-
ſche
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