der Alethiologie als ein Beyspiel angeführt, und zugleich angezeigt, wo derselbe leichter und öfters vorkomme.
§. 303. Zu dem Verstand einer Redensart trägt je- des Wort und selbst auch die Ordnung der Wörter, und ihr Zusammenhang mit dem Vorhergehenden und Fol- genden, und überdieß noch der Accent in der Ausspra- che bey. Die Modification der Aussprache giebt dem Verstand der Rede nähere Bestimmungen. Sie zeigt auch in Reden, die übrigens gleichgültig scheinen wür- den, den Gemüthszustand des Redenden an, und lenkt die Aufmerksamkeit des Zuhörers durch jede Stuffen auf die verlangten Gegenstände. Man sehe die hierü- ber oben schon bey Anlaß der Accente (§. 99.) und der Jnterjectionen (§. 219.) gemachten Anmerkungen und Beyspiele. Da sich hiebey ein Unterschied zwischen dem mündlichen und geschriebenen Vortrage äußert, weil man im Schreiben nicht alle Modificationen der Aus- sprache durch Zeichen ausdrückt, so muß der Affect und überhaupt der Ton, mit welchem die geschriebene Rede gelesen werden solle, durch andere Mittel ersetzt werden. Und diese sind theils die Ordnung der Worte, theils rednerische Figuren, theils Beywörter, die den Affect und Ton der Rede bestimmen, theils auch überhaupt die Seite, von welcher die Sache vorgestellt, und der Leser selbst vorbereitet wird. Von diesem allem kann in dem mündlichen Vortrage viel wegbleiben, und der Unterschied zeigt sich augenscheinlich in Reden, die ange- hört voller Leben, gelesen aber ganz kahl zu seyn schei- nen, weil der Redner das Lebhafte, das Einnehmende und Bewegliche nur im Vortrage, nicht aber in den Ausdrücken hat, oder die Mittel, den Ausdruck an sich zu beleben, nicht gebraucht. Man giebt hingegen die Rede der Juno beym Virgil
Mene incepto desistere victam? Nec posse Italia Teucrorum auertere regem? Quippe vetor fatis. &c.
als
VIII. Hauptſtuͤck.
der Alethiologie als ein Beyſpiel angefuͤhrt, und zugleich angezeigt, wo derſelbe leichter und oͤfters vorkomme.
§. 303. Zu dem Verſtand einer Redensart traͤgt je- des Wort und ſelbſt auch die Ordnung der Woͤrter, und ihr Zuſammenhang mit dem Vorhergehenden und Fol- genden, und uͤberdieß noch der Accent in der Ausſpra- che bey. Die Modification der Ausſprache giebt dem Verſtand der Rede naͤhere Beſtimmungen. Sie zeigt auch in Reden, die uͤbrigens gleichguͤltig ſcheinen wuͤr- den, den Gemuͤthszuſtand des Redenden an, und lenkt die Aufmerkſamkeit des Zuhoͤrers durch jede Stuffen auf die verlangten Gegenſtaͤnde. Man ſehe die hieruͤ- ber oben ſchon bey Anlaß der Accente (§. 99.) und der Jnterjectionen (§. 219.) gemachten Anmerkungen und Beyſpiele. Da ſich hiebey ein Unterſchied zwiſchen dem muͤndlichen und geſchriebenen Vortrage aͤußert, weil man im Schreiben nicht alle Modificationen der Aus- ſprache durch Zeichen ausdruͤckt, ſo muß der Affect und uͤberhaupt der Ton, mit welchem die geſchriebene Rede geleſen werden ſolle, durch andere Mittel erſetzt werden. Und dieſe ſind theils die Ordnung der Worte, theils redneriſche Figuren, theils Beywoͤrter, die den Affect und Ton der Rede beſtimmen, theils auch uͤberhaupt die Seite, von welcher die Sache vorgeſtellt, und der Leſer ſelbſt vorbereitet wird. Von dieſem allem kann in dem muͤndlichen Vortrage viel wegbleiben, und der Unterſchied zeigt ſich augenſcheinlich in Reden, die ange- hoͤrt voller Leben, geleſen aber ganz kahl zu ſeyn ſchei- nen, weil der Redner das Lebhafte, das Einnehmende und Bewegliche nur im Vortrage, nicht aber in den Ausdruͤcken hat, oder die Mittel, den Ausdruck an ſich zu beleben, nicht gebraucht. Man giebt hingegen die Rede der Juno beym Virgil
Mene incepto deſiſtere victam? Nec poſſe Italia Teucrorum auertere regem? Quippe vetor fatis. &c.
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VIII. Hauptſtuͤck.
der Alethiologie als ein Beyſpiel angefuͤhrt, und zugleich
angezeigt, wo derſelbe leichter und oͤfters vorkomme.
§. 303. Zu dem Verſtand einer Redensart traͤgt je-
des Wort und ſelbſt auch die Ordnung der Woͤrter, und
ihr Zuſammenhang mit dem Vorhergehenden und Fol-
genden, und uͤberdieß noch der Accent in der Ausſpra-
che bey. Die Modification der Ausſprache giebt dem
Verſtand der Rede naͤhere Beſtimmungen. Sie zeigt
auch in Reden, die uͤbrigens gleichguͤltig ſcheinen wuͤr-
den, den Gemuͤthszuſtand des Redenden an, und lenkt
die Aufmerkſamkeit des Zuhoͤrers durch jede Stuffen
auf die verlangten Gegenſtaͤnde. Man ſehe die hieruͤ-
ber oben ſchon bey Anlaß der Accente (§. 99.) und der
Jnterjectionen (§. 219.) gemachten Anmerkungen und
Beyſpiele. Da ſich hiebey ein Unterſchied zwiſchen dem
muͤndlichen und geſchriebenen Vortrage aͤußert, weil
man im Schreiben nicht alle Modificationen der Aus-
ſprache durch Zeichen ausdruͤckt, ſo muß der Affect und
uͤberhaupt der Ton, mit welchem die geſchriebene Rede
geleſen werden ſolle, durch andere Mittel erſetzt werden.
Und dieſe ſind theils die Ordnung der Worte, theils
redneriſche Figuren, theils Beywoͤrter, die den Affect
und Ton der Rede beſtimmen, theils auch uͤberhaupt
die Seite, von welcher die Sache vorgeſtellt, und der
Leſer ſelbſt vorbereitet wird. Von dieſem allem kann
in dem muͤndlichen Vortrage viel wegbleiben, und der
Unterſchied zeigt ſich augenſcheinlich in Reden, die ange-
hoͤrt voller Leben, geleſen aber ganz kahl zu ſeyn ſchei-
nen, weil der Redner das Lebhafte, das Einnehmende
und Bewegliche nur im Vortrage, nicht aber in den
Ausdruͤcken hat, oder die Mittel, den Ausdruck an ſich
zu beleben, nicht gebraucht. Man giebt hingegen die
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/186>, abgerufen am 23.11.2024.
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