Zeitwörter so weit von ihrer natürlichen Stelle hinweg gerückt, daß man am Ende errathen oder sich zurück besinnen mußte, auf welche Hauptwörter sie sich bezie- hen, zumal wenn man am Ende bald alle Zeitwörter der ganzen Periode aufhäufte.
§. 301. Die Ausdrücke oder Redensarten, welche man in andere einschiebt, sind entweder Umschreibun- gen, die man statt tüchtiger Beywörter oder Mittelwör- ter gebrauchen muß, oder sie dienen statt der Jnterje- ctionen, oder werden denselben angehängt, oder es sind Fragen, oder andere Ausdrücke, einen Affect anzuzeigen oder zu erregen, oder auch Anmerkungen, die das Vor- hergehende oder das Folgende, oder den Zusammen- hang von beyden nachdrücklicher, aufmerkenswürdiger, oder auch im Gegentheil weniger hart oder anstößig machen, als es ohne solche Einschiebungen würde gewe- sen seyn. Man sieht überhaupt hieraus, daß eine schickliche Vertheilung solcher eingeschobenen Ausdrücke einer Periode ihren wahren Schwung, Nachdruck und Schönheit geben kann, und man rechnet auch die in dieser Absicht wohlgerathenen unter die feineren Ausbil- dungen schöner Reden und Gedichte, (§. 297.). Wir können noch anmerken, daß auf diese Art neue und bis dahin noch nicht übliche Wortordnungen entstehen und in Aufnahm gebracht werden können. Es kömmt auf Fälle an, wo die bisher üblichen Wortordnun- gen, der Ordnung, in welcher der Gedanks der Periode bey den Lesern am nettesten gebil- det wird, nicht so gut Genügen thun, als die neue, die man nach dem Gedanken selbst rich- tet. Erhält man dieses in einem höhern Grade, so opfert der Leser, zumal wenn er das Willkührliche in der Sprache recht zu schätzen weiß, der Nettigkeit des Gedankens das Ungewöhnliche in der Wortordnung auf. Die neue Periode findet Beyfall, und schickliche
und
VIII. Hauptſtuͤck.
Zeitwoͤrter ſo weit von ihrer natuͤrlichen Stelle hinweg geruͤckt, daß man am Ende errathen oder ſich zuruͤck beſinnen mußte, auf welche Hauptwoͤrter ſie ſich bezie- hen, zumal wenn man am Ende bald alle Zeitwoͤrter der ganzen Periode aufhaͤufte.
§. 301. Die Ausdruͤcke oder Redensarten, welche man in andere einſchiebt, ſind entweder Umſchreibun- gen, die man ſtatt tuͤchtiger Beywoͤrter oder Mittelwoͤr- ter gebrauchen muß, oder ſie dienen ſtatt der Jnterje- ctionen, oder werden denſelben angehaͤngt, oder es ſind Fragen, oder andere Ausdruͤcke, einen Affect anzuzeigen oder zu erregen, oder auch Anmerkungen, die das Vor- hergehende oder das Folgende, oder den Zuſammen- hang von beyden nachdruͤcklicher, aufmerkenswuͤrdiger, oder auch im Gegentheil weniger hart oder anſtoͤßig machen, als es ohne ſolche Einſchiebungen wuͤrde gewe- ſen ſeyn. Man ſieht uͤberhaupt hieraus, daß eine ſchickliche Vertheilung ſolcher eingeſchobenen Ausdruͤcke einer Periode ihren wahren Schwung, Nachdruck und Schoͤnheit geben kann, und man rechnet auch die in dieſer Abſicht wohlgerathenen unter die feineren Ausbil- dungen ſchoͤner Reden und Gedichte, (§. 297.). Wir koͤnnen noch anmerken, daß auf dieſe Art neue und bis dahin noch nicht uͤbliche Wortordnungen entſtehen und in Aufnahm gebracht werden koͤnnen. Es koͤmmt auf Faͤlle an, wo die bisher uͤblichen Wortordnun- gen, der Ordnung, in welcher der Gedanks der Periode bey den Leſern am netteſten gebil- det wird, nicht ſo gut Genuͤgen thun, als die neue, die man nach dem Gedanken ſelbſt rich- tet. Erhaͤlt man dieſes in einem hoͤhern Grade, ſo opfert der Leſer, zumal wenn er das Willkuͤhrliche in der Sprache recht zu ſchaͤtzen weiß, der Nettigkeit des Gedankens das Ungewoͤhnliche in der Wortordnung auf. Die neue Periode findet Beyfall, und ſchickliche
und
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VIII. Hauptſtuͤck.
Zeitwoͤrter ſo weit von ihrer natuͤrlichen Stelle hinweg
geruͤckt, daß man am Ende errathen oder ſich zuruͤck
beſinnen mußte, auf welche Hauptwoͤrter ſie ſich bezie-
hen, zumal wenn man am Ende bald alle Zeitwoͤrter
der ganzen Periode aufhaͤufte.
§. 301. Die Ausdruͤcke oder Redensarten, welche
man in andere einſchiebt, ſind entweder Umſchreibun-
gen, die man ſtatt tuͤchtiger Beywoͤrter oder Mittelwoͤr-
ter gebrauchen muß, oder ſie dienen ſtatt der Jnterje-
ctionen, oder werden denſelben angehaͤngt, oder es ſind
Fragen, oder andere Ausdruͤcke, einen Affect anzuzeigen
oder zu erregen, oder auch Anmerkungen, die das Vor-
hergehende oder das Folgende, oder den Zuſammen-
hang von beyden nachdruͤcklicher, aufmerkenswuͤrdiger,
oder auch im Gegentheil weniger hart oder anſtoͤßig
machen, als es ohne ſolche Einſchiebungen wuͤrde gewe-
ſen ſeyn. Man ſieht uͤberhaupt hieraus, daß eine
ſchickliche Vertheilung ſolcher eingeſchobenen Ausdruͤcke
einer Periode ihren wahren Schwung, Nachdruck und
Schoͤnheit geben kann, und man rechnet auch die in
dieſer Abſicht wohlgerathenen unter die feineren Ausbil-
dungen ſchoͤner Reden und Gedichte, (§. 297.). Wir
koͤnnen noch anmerken, daß auf dieſe Art neue und bis
dahin noch nicht uͤbliche Wortordnungen entſtehen und
in Aufnahm gebracht werden koͤnnen. Es koͤmmt auf
Faͤlle an, wo die bisher uͤblichen Wortordnun-
gen, der Ordnung, in welcher der Gedanks
der Periode bey den Leſern am netteſten gebil-
det wird, nicht ſo gut Genuͤgen thun, als die
neue, die man nach dem Gedanken ſelbſt rich-
tet. Erhaͤlt man dieſes in einem hoͤhern Grade, ſo
opfert der Leſer, zumal wenn er das Willkuͤhrliche in
der Sprache recht zu ſchaͤtzen weiß, der Nettigkeit des
Gedankens das Ungewoͤhnliche in der Wortordnung
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/184>, abgerufen am 27.11.2024.
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