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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von der Wortforschung.
Gedenkensart des Autors genauer kennt. Denn so
wird der Zusammenhang der Rede ungleich bessere
Dienste thun, als die Etymologie des Wortes, zumal
wenn diese erst weit muß hergeholt werden. Am aller-
wenigsten aber ist es nothwendig, auf die Etymologie
zu sehen, wo der Autor seine Worte durch Erklärungen
bestimmt, oder, wie es in den mathematischen Wissen-
schaften geschieht, die Sache selbst oder ihre Figur vor
Augen legt. Jn Ermanglung dessen muß man aller-
dings den Zusammenhang, die Etymologie und Paral-
lelstellen zu Hülfe nehmen.

§. 259. Ein abgeleitetes Wort, dessen in der Spra-
che eingeführte Bedeutung sich auf einen Jrrthum
gründet, kann, an sich betrachtet, nicht wohl anders, als
ein Wurzelwort angesehen werden, weil in Absicht auf
diese Bedeutung der Gebrauch der Etymologie auf-
hört, und der Grund der Bedeutung nicht etymologisch,
sondern historisch ist. Hingegen kömmt der Gebrauch
der Etymologie dennoch dabey vor, wenn man untersu-
chen will, was das abgeleitete Wort, vermög seiner
Ableitung, hätte bedeuten können. Denn kömmt ein
Begriff heraus, der möglich und brauchbar ist, so ist es
auch nicht unmöglich, diese Bedeutung durch behörige
Anwendung des Wortes wieder in Aufnahm zu brin-
gen. Man sehe, was wir oben (§. 130.) hierüber an-
gemerkt haben.

§. 260. Der wesentlichste Nutzen der Etymologie
und zugleich ihre Hauptabsicht, geht eigentlich dahin,
daß das Charakteristische in den Sprachen, so
viel möglich ist, bekannt gemacht, beybehalten
und erweitert werde.
Und dieses ist der oben
(§. 23.) angegebenen Grundregel für wissenschaftliche
Zeichen vollkommen gemäß. Die Theorie der Zeichen
solle statt der Theorie der Sache dienen können. Die-
ses wird nun in einer Sprache desto besser erhalten, je

einför-

Von der Wortforſchung.
Gedenkensart des Autors genauer kennt. Denn ſo
wird der Zuſammenhang der Rede ungleich beſſere
Dienſte thun, als die Etymologie des Wortes, zumal
wenn dieſe erſt weit muß hergeholt werden. Am aller-
wenigſten aber iſt es nothwendig, auf die Etymologie
zu ſehen, wo der Autor ſeine Worte durch Erklaͤrungen
beſtimmt, oder, wie es in den mathematiſchen Wiſſen-
ſchaften geſchieht, die Sache ſelbſt oder ihre Figur vor
Augen legt. Jn Ermanglung deſſen muß man aller-
dings den Zuſammenhang, die Etymologie und Paral-
lelſtellen zu Huͤlfe nehmen.

§. 259. Ein abgeleitetes Wort, deſſen in der Spra-
che eingefuͤhrte Bedeutung ſich auf einen Jrrthum
gruͤndet, kann, an ſich betrachtet, nicht wohl anders, als
ein Wurzelwort angeſehen werden, weil in Abſicht auf
dieſe Bedeutung der Gebrauch der Etymologie auf-
hoͤrt, und der Grund der Bedeutung nicht etymologiſch,
ſondern hiſtoriſch iſt. Hingegen koͤmmt der Gebrauch
der Etymologie dennoch dabey vor, wenn man unterſu-
chen will, was das abgeleitete Wort, vermoͤg ſeiner
Ableitung, haͤtte bedeuten koͤnnen. Denn koͤmmt ein
Begriff heraus, der moͤglich und brauchbar iſt, ſo iſt es
auch nicht unmoͤglich, dieſe Bedeutung durch behoͤrige
Anwendung des Wortes wieder in Aufnahm zu brin-
gen. Man ſehe, was wir oben (§. 130.) hieruͤber an-
gemerkt haben.

§. 260. Der weſentlichſte Nutzen der Etymologie
und zugleich ihre Hauptabſicht, geht eigentlich dahin,
daß das Charakteriſtiſche in den Sprachen, ſo
viel moͤglich iſt, bekannt gemacht, beybehalten
und erweitert werde.
Und dieſes iſt der oben
(§. 23.) angegebenen Grundregel fuͤr wiſſenſchaftliche
Zeichen vollkommen gemaͤß. Die Theorie der Zeichen
ſolle ſtatt der Theorie der Sache dienen koͤnnen. Die-
ſes wird nun in einer Sprache deſto beſſer erhalten, je

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[155/0161] Von der Wortforſchung. Gedenkensart des Autors genauer kennt. Denn ſo wird der Zuſammenhang der Rede ungleich beſſere Dienſte thun, als die Etymologie des Wortes, zumal wenn dieſe erſt weit muß hergeholt werden. Am aller- wenigſten aber iſt es nothwendig, auf die Etymologie zu ſehen, wo der Autor ſeine Worte durch Erklaͤrungen beſtimmt, oder, wie es in den mathematiſchen Wiſſen- ſchaften geſchieht, die Sache ſelbſt oder ihre Figur vor Augen legt. Jn Ermanglung deſſen muß man aller- dings den Zuſammenhang, die Etymologie und Paral- lelſtellen zu Huͤlfe nehmen. §. 259. Ein abgeleitetes Wort, deſſen in der Spra- che eingefuͤhrte Bedeutung ſich auf einen Jrrthum gruͤndet, kann, an ſich betrachtet, nicht wohl anders, als ein Wurzelwort angeſehen werden, weil in Abſicht auf dieſe Bedeutung der Gebrauch der Etymologie auf- hoͤrt, und der Grund der Bedeutung nicht etymologiſch, ſondern hiſtoriſch iſt. Hingegen koͤmmt der Gebrauch der Etymologie dennoch dabey vor, wenn man unterſu- chen will, was das abgeleitete Wort, vermoͤg ſeiner Ableitung, haͤtte bedeuten koͤnnen. Denn koͤmmt ein Begriff heraus, der moͤglich und brauchbar iſt, ſo iſt es auch nicht unmoͤglich, dieſe Bedeutung durch behoͤrige Anwendung des Wortes wieder in Aufnahm zu brin- gen. Man ſehe, was wir oben (§. 130.) hieruͤber an- gemerkt haben. §. 260. Der weſentlichſte Nutzen der Etymologie und zugleich ihre Hauptabſicht, geht eigentlich dahin, daß das Charakteriſtiſche in den Sprachen, ſo viel moͤglich iſt, bekannt gemacht, beybehalten und erweitert werde. Und dieſes iſt der oben (§. 23.) angegebenen Grundregel fuͤr wiſſenſchaftliche Zeichen vollkommen gemaͤß. Die Theorie der Zeichen ſolle ſtatt der Theorie der Sache dienen koͤnnen. Die- ſes wird nun in einer Sprache deſto beſſer erhalten, je einfoͤr-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/161>, abgerufen am 27.11.2024.