That nicht für sich erkennbar, so hat sie nothwendig einen Grund, aus dem sie sich als wahr erkennen läßt. (§. 227.) Demnach, wenn wir den Grund fordern, so fordern wir nichts, als was in der That und an sich betrachtet gegeben werden kann, und so ist die Forderung allerdings gegründet, und wir sind befugt sie zu machen, weil wir die für sich nicht erkennbare Wahr- heit, ohne den Grund zu wissen, nicht als wahr erkennen können. Wäre aber eine Wahrheit für sich erkennbar, aber wir könnten sie nicht für sich als wahr erkennen, so würde uns wiederum der Grund zum Beyfall feh- len. Demnach sind wir auch in diesem Fall befugt, den Grund zu fordern, dafern diese Wahrheit nicht aus unsrer Erkenntniß ganz wegbleiben soll.
§. 230.
Wir untersuchen hiebey nicht, wie fern eine Wahr- heit für sich erkennbar, und dennoch uns nicht für sich erkennbar sey. Unser Verstand ist allerdings nicht der Maaßstab für das ganze Reich der Wahr- heit, weil wir die Wahrheiten nur nach und nach er- lernen. Wir haben in dem ersten Hauptstücke (§. 53 seqq.) angemerkt, wie wir etwann hiebey zu- rück bleiben. Jndessen dient der erst erwiesene Satz dazu, daß wir ohne Bedenken von jedem Vorgeben, dessen Wahrheit uns nicht einleuchtet, einen Grund fordern, und erwarten können, und daß diese Forde- rung nichts ungereimtes noch an sich unmögliches hat, so sehr die Erfindung der ächten Gründe zuweilen Hindernissen unterworfen ist, daß wir nicht sogleich damit zu Ende kommen. Wir haben demnach hier das Recht oder das Gesetz des Beyfalls, den der Verstand giebt, versagt, oder aufschiebt, je nach- dem sich eine Vorstellung entweder für sich oder aus Gründen als wahr anpreist, oder mehr oder minder noch dabey fehlt. Was wir demnach oben (§. 104.)
zum
IV. Hauptſtuͤck, von dem Unterſchiede
That nicht fuͤr ſich erkennbar, ſo hat ſie nothwendig einen Grund, aus dem ſie ſich als wahr erkennen laͤßt. (§. 227.) Demnach, wenn wir den Grund fordern, ſo fordern wir nichts, als was in der That und an ſich betrachtet gegeben werden kann, und ſo iſt die Forderung allerdings gegruͤndet, und wir ſind befugt ſie zu machen, weil wir die fuͤr ſich nicht erkennbare Wahr- heit, ohne den Grund zu wiſſen, nicht als wahr erkennen koͤnnen. Waͤre aber eine Wahrheit fuͤr ſich erkennbar, aber wir koͤnnten ſie nicht fuͤr ſich als wahr erkennen, ſo wuͤrde uns wiederum der Grund zum Beyfall feh- len. Demnach ſind wir auch in dieſem Fall befugt, den Grund zu fordern, dafern dieſe Wahrheit nicht aus unſrer Erkenntniß ganz wegbleiben ſoll.
§. 230.
Wir unterſuchen hiebey nicht, wie fern eine Wahr- heit fuͤr ſich erkennbar, und dennoch uns nicht fuͤr ſich erkennbar ſey. Unſer Verſtand iſt allerdings nicht der Maaßſtab fuͤr das ganze Reich der Wahr- heit, weil wir die Wahrheiten nur nach und nach er- lernen. Wir haben in dem erſten Hauptſtuͤcke (§. 53 ſeqq.) angemerkt, wie wir etwann hiebey zu- ruͤck bleiben. Jndeſſen dient der erſt erwieſene Satz dazu, daß wir ohne Bedenken von jedem Vorgeben, deſſen Wahrheit uns nicht einleuchtet, einen Grund fordern, und erwarten koͤnnen, und daß dieſe Forde- rung nichts ungereimtes noch an ſich unmoͤgliches hat, ſo ſehr die Erfindung der aͤchten Gruͤnde zuweilen Hinderniſſen unterworfen iſt, daß wir nicht ſogleich damit zu Ende kommen. Wir haben demnach hier das Recht oder das Geſetz des Beyfalls, den der Verſtand giebt, verſagt, oder aufſchiebt, je nach- dem ſich eine Vorſtellung entweder fuͤr ſich oder aus Gruͤnden als wahr anpreiſt, oder mehr oder minder noch dabey fehlt. Was wir demnach oben (§. 104.)
zum
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IV. Hauptſtuͤck, von dem Unterſchiede
That nicht fuͤr ſich erkennbar, ſo hat ſie nothwendig
einen Grund, aus dem ſie ſich als wahr erkennen laͤßt.
(§. 227.) Demnach, wenn wir den Grund fordern,
ſo fordern wir nichts, als was in der That und an
ſich betrachtet gegeben werden kann, und ſo iſt die
Forderung allerdings gegruͤndet, und wir ſind befugt ſie
zu machen, weil wir die fuͤr ſich nicht erkennbare Wahr-
heit, ohne den Grund zu wiſſen, nicht als wahr erkennen
koͤnnen. Waͤre aber eine Wahrheit fuͤr ſich erkennbar,
aber wir koͤnnten ſie nicht fuͤr ſich als wahr erkennen,
ſo wuͤrde uns wiederum der Grund zum Beyfall feh-
len. Demnach ſind wir auch in dieſem Fall befugt,
den Grund zu fordern, dafern dieſe Wahrheit nicht
aus unſrer Erkenntniß ganz wegbleiben ſoll.
§. 230.
Wir unterſuchen hiebey nicht, wie fern eine Wahr-
heit fuͤr ſich erkennbar, und dennoch uns nicht fuͤr
ſich erkennbar ſey. Unſer Verſtand iſt allerdings
nicht der Maaßſtab fuͤr das ganze Reich der Wahr-
heit, weil wir die Wahrheiten nur nach und nach er-
lernen. Wir haben in dem erſten Hauptſtuͤcke
(§. 53 ſeqq.) angemerkt, wie wir etwann hiebey zu-
ruͤck bleiben. Jndeſſen dient der erſt erwieſene Satz
dazu, daß wir ohne Bedenken von jedem Vorgeben,
deſſen Wahrheit uns nicht einleuchtet, einen Grund
fordern, und erwarten koͤnnen, und daß dieſe Forde-
rung nichts ungereimtes noch an ſich unmoͤgliches hat,
ſo ſehr die Erfindung der aͤchten Gruͤnde zuweilen
Hinderniſſen unterworfen iſt, daß wir nicht ſogleich
damit zu Ende kommen. Wir haben demnach hier
das Recht oder das Geſetz des Beyfalls, den der
Verſtand giebt, verſagt, oder aufſchiebt, je nach-
dem ſich eine Vorſtellung entweder fuͤr ſich oder aus
Gruͤnden als wahr anpreiſt, oder mehr oder minder
noch dabey fehlt. Was wir demnach oben (§. 104.)
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/592>, abgerufen am 23.02.2025.
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