Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
IV. Hauptstück, von dem Unterschiede
§. 191.

Jede einfache Begriffe sind an sich wahre
und richtige Begriffe.
Denn sie sind an sich und
schlechthin gedenkbar. (§. 161.) Wir merken nur an,
daß man Begriff und Sache hier nicht verwechseln
müsse, weil bey einem Begriff die bloße Möglichkeit
oder Gedenkbarkeit erfordert wird, um ihn als einen
wirklichen und realen Begriff anzusehen. Dar-
aus aber folgt die Wirklichkeit oder Eristenz der Sache
noch nicht, und sie kömmt auch hier nicht vor, wo wir
das Reich der Wahrheiten, welches durchaus ideal ist,
an sich betrachten, und untersuchen, wie sich besonders
unsre jedesmalige Erkenntniß gegen dasselbe verhalte.

§. 192.

Demnach liegt das Jrrige nicht in den ein-
fachen Begriffen, sondern in ihrer Verbindung
und Zusammensetzung.
Man setze, daß in einem
einfachen Begriffe etwas irriges oder falsches sey, so
müßte etwas darinn seyn, das mit dem übrigen nicht
bestehen könnte. Demnach ließe sich in dem einfachen
Begriff etwas unterscheiden, und so wäre er nicht ein-
fach. Da nun dieses wider die Bedingung des Satzes
läuft, so kann in einem einfachen Begriffe nichts irriges
seyn. Wo demnach etwas irriges vorkömmt, da muß
es in der Verbindung oder Zusammensetzung der ein-
fachen Begriffe seyn.

§. 193.

Jn jedem Jrrthum ist Wahrheit, so fern er
gedenkbar ist.
Das Jrrige liegt in der Zusammense-
tzung oder Verbindung einfacher Begriffe, so fern diese
nicht beysammen bestehen, oder nach der angenommenen
Art der Zusammensetzung nicht mit einander bestehen
können. Nun aber ist jeder einfache Begriff für sich
betrachtet, ein wahrer und richtiger Begriff (§. 192.)
Demnach ist auch in so fern in der irrigen Vorstellung

Wahr-
IV. Hauptſtuͤck, von dem Unterſchiede
§. 191.

Jede einfache Begriffe ſind an ſich wahre
und richtige Begriffe.
Denn ſie ſind an ſich und
ſchlechthin gedenkbar. (§. 161.) Wir merken nur an,
daß man Begriff und Sache hier nicht verwechſeln
muͤſſe, weil bey einem Begriff die bloße Moͤglichkeit
oder Gedenkbarkeit erfordert wird, um ihn als einen
wirklichen und realen Begriff anzuſehen. Dar-
aus aber folgt die Wirklichkeit oder Eriſtenz der Sache
noch nicht, und ſie koͤmmt auch hier nicht vor, wo wir
das Reich der Wahrheiten, welches durchaus ideal iſt,
an ſich betrachten, und unterſuchen, wie ſich beſonders
unſre jedesmalige Erkenntniß gegen daſſelbe verhalte.

§. 192.

Demnach liegt das Jrrige nicht in den ein-
fachen Begriffen, ſondern in ihrer Verbindung
und Zuſammenſetzung.
Man ſetze, daß in einem
einfachen Begriffe etwas irriges oder falſches ſey, ſo
muͤßte etwas darinn ſeyn, das mit dem uͤbrigen nicht
beſtehen koͤnnte. Demnach ließe ſich in dem einfachen
Begriff etwas unterſcheiden, und ſo waͤre er nicht ein-
fach. Da nun dieſes wider die Bedingung des Satzes
laͤuft, ſo kann in einem einfachen Begriffe nichts irriges
ſeyn. Wo demnach etwas irriges vorkoͤmmt, da muß
es in der Verbindung oder Zuſammenſetzung der ein-
fachen Begriffe ſeyn.

§. 193.

Jn jedem Jrrthum iſt Wahrheit, ſo fern er
gedenkbar iſt.
Das Jrrige liegt in der Zuſammenſe-
tzung oder Verbindung einfacher Begriffe, ſo fern dieſe
nicht beyſammen beſtehen, oder nach der angenommenen
Art der Zuſammenſetzung nicht mit einander beſtehen
koͤnnen. Nun aber iſt jeder einfache Begriff fuͤr ſich
betrachtet, ein wahrer und richtiger Begriff (§. 192.)
Demnach iſt auch in ſo fern in der irrigen Vorſtellung

Wahr-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0574" n="552"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck, von dem Unter&#x017F;chiede</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 191.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Jede einfache Begriffe &#x017F;ind an &#x017F;ich wahre<lb/>
und richtige Begriffe.</hi> Denn &#x017F;ie &#x017F;ind an &#x017F;ich und<lb/>
&#x017F;chlechthin gedenkbar. (§. 161.) Wir merken nur an,<lb/>
daß man Begriff und Sache hier nicht verwech&#x017F;eln<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, weil bey einem Begriff die bloße Mo&#x0364;glichkeit<lb/>
oder Gedenkbarkeit erfordert wird, um ihn als einen<lb/>
wirklichen und realen Begriff anzu&#x017F;ehen. Dar-<lb/>
aus aber folgt die Wirklichkeit oder Eri&#x017F;tenz der Sache<lb/>
noch nicht, und &#x017F;ie ko&#x0364;mmt auch hier nicht vor, wo wir<lb/>
das Reich der Wahrheiten, welches durchaus <hi rendition="#aq">ideal</hi> i&#x017F;t,<lb/>
an &#x017F;ich betrachten, und unter&#x017F;uchen, wie &#x017F;ich be&#x017F;onders<lb/>
un&#x017F;re jedesmalige Erkenntniß gegen da&#x017F;&#x017F;elbe verhalte.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 192.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Demnach liegt das Jrrige nicht in den ein-<lb/>
fachen Begriffen, &#x017F;ondern in ihrer Verbindung<lb/>
und Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung.</hi> Man &#x017F;etze, daß in einem<lb/>
einfachen Begriffe etwas irriges oder fal&#x017F;ches &#x017F;ey, &#x017F;o<lb/>
mu&#x0364;ßte etwas darinn &#x017F;eyn, das mit dem u&#x0364;brigen nicht<lb/>
be&#x017F;tehen ko&#x0364;nnte. Demnach ließe &#x017F;ich in dem einfachen<lb/>
Begriff etwas unter&#x017F;cheiden, und &#x017F;o wa&#x0364;re er nicht ein-<lb/>
fach. Da nun die&#x017F;es wider die Bedingung des Satzes<lb/>
la&#x0364;uft, &#x017F;o kann in einem einfachen Begriffe nichts irriges<lb/>
&#x017F;eyn. Wo demnach etwas irriges vorko&#x0364;mmt, da muß<lb/>
es in der Verbindung oder Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung der ein-<lb/>
fachen Begriffe &#x017F;eyn.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 193.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Jn jedem Jrrthum i&#x017F;t Wahrheit, &#x017F;o fern er<lb/>
gedenkbar i&#x017F;t.</hi> Das Jrrige liegt in der Zu&#x017F;ammen&#x017F;e-<lb/>
tzung oder Verbindung einfacher Begriffe, &#x017F;o fern die&#x017F;e<lb/>
nicht bey&#x017F;ammen be&#x017F;tehen, oder nach der angenommenen<lb/>
Art der Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung nicht mit einander be&#x017F;tehen<lb/>
ko&#x0364;nnen. Nun aber i&#x017F;t jeder einfache Begriff fu&#x0364;r &#x017F;ich<lb/>
betrachtet, ein wahrer und richtiger Begriff (§. 192.)<lb/>
Demnach i&#x017F;t auch in &#x017F;o fern in der irrigen Vor&#x017F;tellung<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Wahr-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[552/0574] IV. Hauptſtuͤck, von dem Unterſchiede §. 191. Jede einfache Begriffe ſind an ſich wahre und richtige Begriffe. Denn ſie ſind an ſich und ſchlechthin gedenkbar. (§. 161.) Wir merken nur an, daß man Begriff und Sache hier nicht verwechſeln muͤſſe, weil bey einem Begriff die bloße Moͤglichkeit oder Gedenkbarkeit erfordert wird, um ihn als einen wirklichen und realen Begriff anzuſehen. Dar- aus aber folgt die Wirklichkeit oder Eriſtenz der Sache noch nicht, und ſie koͤmmt auch hier nicht vor, wo wir das Reich der Wahrheiten, welches durchaus ideal iſt, an ſich betrachten, und unterſuchen, wie ſich beſonders unſre jedesmalige Erkenntniß gegen daſſelbe verhalte. §. 192. Demnach liegt das Jrrige nicht in den ein- fachen Begriffen, ſondern in ihrer Verbindung und Zuſammenſetzung. Man ſetze, daß in einem einfachen Begriffe etwas irriges oder falſches ſey, ſo muͤßte etwas darinn ſeyn, das mit dem uͤbrigen nicht beſtehen koͤnnte. Demnach ließe ſich in dem einfachen Begriff etwas unterſcheiden, und ſo waͤre er nicht ein- fach. Da nun dieſes wider die Bedingung des Satzes laͤuft, ſo kann in einem einfachen Begriffe nichts irriges ſeyn. Wo demnach etwas irriges vorkoͤmmt, da muß es in der Verbindung oder Zuſammenſetzung der ein- fachen Begriffe ſeyn. §. 193. Jn jedem Jrrthum iſt Wahrheit, ſo fern er gedenkbar iſt. Das Jrrige liegt in der Zuſammenſe- tzung oder Verbindung einfacher Begriffe, ſo fern dieſe nicht beyſammen beſtehen, oder nach der angenommenen Art der Zuſammenſetzung nicht mit einander beſtehen koͤnnen. Nun aber iſt jeder einfache Begriff fuͤr ſich betrachtet, ein wahrer und richtiger Begriff (§. 192.) Demnach iſt auch in ſo fern in der irrigen Vorſtellung Wahr-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/574
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/574>, abgerufen am 22.12.2024.