Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Hauptstück,
genau angeben, so müssen wir diesen fast immer nur
aus denen Fällen nach und nach kennen lernen, wobey
wir das Wort von andern richtig oder unrichtig ge-
brauchen hören, und seine Bedeutung erst aus einer
unbestimmten Menge, und öfters sehr gelegentlich uns
bekannt machen.

§. 141.

Die Folgen, die hieraus entstehen, sind nicht im-
mer Kleinigkeiten. Die meisten Secten in der Welt-
weisheit und Religion haben ihren Ursprung daher.
Sadocs und Epikurs Schüler haben ihre Lehrer
auf diese Art übel verstanden. Die platonischen Leh-
ren wurden auf eine ähnliche Art mit den Lehren der
christlichen Religion vermengt. Spinoza baute sein
System, welches Religion und Sitten den Umsturz
drohete, auf den übel verstandnen Begriff der Sub-
stanz. Die meisten Völker sind in dem, was gut,
recht, heilig, billig etc. ist, verschiedner und öftersganz
entgegengesetzter Meynung. Die Schriften der
Weltweisen verschiedner Länder und Zeiten sind aus
eben dem Grunde öfters mehr in den Worten als in
der Sache verschieden, weil sie mehr oder minder
und zuweilen ganz andre Begriffe in einen Begriff
zusammennehmen, und dieses macht, daß wer an ein
gewisses System von solchen Worten und Begriffen
gewöhnt ist, sich nicht leicht in ein andres, und wenn
es auch richtiger wäre, finden kann, und daß hingegen
auch, wer sich mehrere zugleich bekannt macht, unver-
merkt alle verwirrt, und sich zu keinem entschließen
kann.

§. 142.

Solche Begriffe sind gleichsam willkührliche Ein-
heiten, und gleichen in dieser Absicht den Maaßstäben,
die in jeden Ländern, und zu verschiednen Zeiten ver-

schie-

III. Hauptſtuͤck,
genau angeben, ſo muͤſſen wir dieſen faſt immer nur
aus denen Faͤllen nach und nach kennen lernen, wobey
wir das Wort von andern richtig oder unrichtig ge-
brauchen hoͤren, und ſeine Bedeutung erſt aus einer
unbeſtimmten Menge, und oͤfters ſehr gelegentlich uns
bekannt machen.

§. 141.

Die Folgen, die hieraus entſtehen, ſind nicht im-
mer Kleinigkeiten. Die meiſten Secten in der Welt-
weisheit und Religion haben ihren Urſprung daher.
Sadocs und Epikurs Schuͤler haben ihre Lehrer
auf dieſe Art uͤbel verſtanden. Die platoniſchen Leh-
ren wurden auf eine aͤhnliche Art mit den Lehren der
chriſtlichen Religion vermengt. Spinoza baute ſein
Syſtem, welches Religion und Sitten den Umſturz
drohete, auf den uͤbel verſtandnen Begriff der Sub-
ſtanz. Die meiſten Voͤlker ſind in dem, was gut,
recht, heilig, billig ꝛc. iſt, verſchiedner und oͤftersganz
entgegengeſetzter Meynung. Die Schriften der
Weltweiſen verſchiedner Laͤnder und Zeiten ſind aus
eben dem Grunde oͤfters mehr in den Worten als in
der Sache verſchieden, weil ſie mehr oder minder
und zuweilen ganz andre Begriffe in einen Begriff
zuſammennehmen, und dieſes macht, daß wer an ein
gewiſſes Syſtem von ſolchen Worten und Begriffen
gewoͤhnt iſt, ſich nicht leicht in ein andres, und wenn
es auch richtiger waͤre, finden kann, und daß hingegen
auch, wer ſich mehrere zugleich bekannt macht, unver-
merkt alle verwirrt, und ſich zu keinem entſchließen
kann.

§. 142.

Solche Begriffe ſind gleichſam willkuͤhrliche Ein-
heiten, und gleichen in dieſer Abſicht den Maaßſtaͤben,
die in jeden Laͤndern, und zu verſchiednen Zeiten ver-

ſchie-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0548" n="526"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck,</hi></fw><lb/>
genau angeben, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir die&#x017F;en fa&#x017F;t immer nur<lb/>
aus denen Fa&#x0364;llen nach und nach kennen lernen, wobey<lb/>
wir das Wort von andern richtig oder unrichtig ge-<lb/>
brauchen ho&#x0364;ren, und &#x017F;eine Bedeutung er&#x017F;t aus einer<lb/>
unbe&#x017F;timmten Menge, und o&#x0364;fters &#x017F;ehr gelegentlich uns<lb/>
bekannt machen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 141.</head><lb/>
            <p>Die Folgen, die hieraus ent&#x017F;tehen, &#x017F;ind nicht im-<lb/>
mer Kleinigkeiten. Die mei&#x017F;ten Secten in der Welt-<lb/>
weisheit und Religion haben ihren Ur&#x017F;prung daher.<lb/><hi rendition="#fr">Sadocs</hi> und <hi rendition="#fr">Epikurs</hi> Schu&#x0364;ler haben ihre Lehrer<lb/>
auf die&#x017F;e Art u&#x0364;bel ver&#x017F;tanden. Die platoni&#x017F;chen Leh-<lb/>
ren wurden auf eine a&#x0364;hnliche Art mit den Lehren der<lb/>
chri&#x017F;tlichen Religion vermengt. <hi rendition="#fr">Spinoza</hi> baute &#x017F;ein<lb/>
Sy&#x017F;tem, welches Religion und Sitten den Um&#x017F;turz<lb/>
drohete, auf den u&#x0364;bel ver&#x017F;tandnen Begriff der Sub-<lb/>
&#x017F;tanz. Die mei&#x017F;ten Vo&#x0364;lker &#x017F;ind in dem, was gut,<lb/>
recht, heilig, billig &#xA75B;c. i&#x017F;t, ver&#x017F;chiedner und o&#x0364;ftersganz<lb/>
entgegenge&#x017F;etzter Meynung. Die Schriften der<lb/>
Weltwei&#x017F;en ver&#x017F;chiedner La&#x0364;nder und Zeiten &#x017F;ind aus<lb/>
eben dem Grunde o&#x0364;fters mehr in den Worten als in<lb/>
der Sache ver&#x017F;chieden, weil &#x017F;ie mehr oder minder<lb/>
und zuweilen ganz andre Begriffe in einen Begriff<lb/>
zu&#x017F;ammennehmen, und die&#x017F;es macht, daß wer an ein<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;es Sy&#x017F;tem von &#x017F;olchen Worten und Begriffen<lb/>
gewo&#x0364;hnt i&#x017F;t, &#x017F;ich nicht leicht in ein andres, und wenn<lb/>
es auch richtiger wa&#x0364;re, finden kann, und daß hingegen<lb/>
auch, wer &#x017F;ich mehrere zugleich bekannt macht, unver-<lb/>
merkt alle verwirrt, und &#x017F;ich zu keinem ent&#x017F;chließen<lb/>
kann.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 142.</head><lb/>
            <p>Solche Begriffe &#x017F;ind gleich&#x017F;am willku&#x0364;hrliche Ein-<lb/>
heiten, und gleichen in die&#x017F;er Ab&#x017F;icht den Maaß&#x017F;ta&#x0364;ben,<lb/>
die in jeden La&#x0364;ndern, und zu ver&#x017F;chiednen Zeiten ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chie-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[526/0548] III. Hauptſtuͤck, genau angeben, ſo muͤſſen wir dieſen faſt immer nur aus denen Faͤllen nach und nach kennen lernen, wobey wir das Wort von andern richtig oder unrichtig ge- brauchen hoͤren, und ſeine Bedeutung erſt aus einer unbeſtimmten Menge, und oͤfters ſehr gelegentlich uns bekannt machen. §. 141. Die Folgen, die hieraus entſtehen, ſind nicht im- mer Kleinigkeiten. Die meiſten Secten in der Welt- weisheit und Religion haben ihren Urſprung daher. Sadocs und Epikurs Schuͤler haben ihre Lehrer auf dieſe Art uͤbel verſtanden. Die platoniſchen Leh- ren wurden auf eine aͤhnliche Art mit den Lehren der chriſtlichen Religion vermengt. Spinoza baute ſein Syſtem, welches Religion und Sitten den Umſturz drohete, auf den uͤbel verſtandnen Begriff der Sub- ſtanz. Die meiſten Voͤlker ſind in dem, was gut, recht, heilig, billig ꝛc. iſt, verſchiedner und oͤftersganz entgegengeſetzter Meynung. Die Schriften der Weltweiſen verſchiedner Laͤnder und Zeiten ſind aus eben dem Grunde oͤfters mehr in den Worten als in der Sache verſchieden, weil ſie mehr oder minder und zuweilen ganz andre Begriffe in einen Begriff zuſammennehmen, und dieſes macht, daß wer an ein gewiſſes Syſtem von ſolchen Worten und Begriffen gewoͤhnt iſt, ſich nicht leicht in ein andres, und wenn es auch richtiger waͤre, finden kann, und daß hingegen auch, wer ſich mehrere zugleich bekannt macht, unver- merkt alle verwirrt, und ſich zu keinem entſchließen kann. §. 142. Solche Begriffe ſind gleichſam willkuͤhrliche Ein- heiten, und gleichen in dieſer Abſicht den Maaßſtaͤben, die in jeden Laͤndern, und zu verſchiednen Zeiten ver- ſchie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/548
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/548>, abgerufen am 22.11.2024.