Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
VIII. Hauptstück,
§. 588.

Wir werden nun noch in Absicht auf das, was
man erfahren oder beobachten kann, einige Untersu-
chungen anstellen. Jn der Natur und folglich bey
Erfahrungen, Beobachtungen und Versuchen ist
alles individual, und der Zeit und dem Orte nach be-
stimmt. Jndessen läßt sich dennoch die Frage machen,
ob man nichts unbestimmtes beobachten könne?
Diese Frage will nun nicht sagen, ob wir etwas
nur deswegen müssen dahin gestellt seyn lassen, weil
wir es in dem Versuche nicht bemerken, oder nicht
genug Data finden können, um zu sehen, wie es be-
stimmt sey. So z. E. muß man einen Cometen we-
nigstens zu drey verschiedenen Zeiten beobachten, ehe
man seine Laufbahn bestimmen kann; diese aber ist an
sich betrachtet, allerdings bestimmt. Die Frage ist,
wiefern etwas an sich betrachtet unbestimmt seyn kön-
ne? Der Anlaß zu dieser Frage liegt in dem §. 576.
Denn da jeder Versuch eine Frage ist, die die Natur
beantworten soll, so läßt sie sich mit den Fragen, die
die Algeber beantwortet, vergleichen. Denn man se-
tze, es soll durch den Versuch eine gewisse Größe ge-
funden werden. Wüßte man nun die Data, so im
Versuche liegen, und das Gesetz, nach welchem die
Natur in demselben wirkt, vollständig; so ist unstrei-
tig, daß sich die Frage in eine algebraische verwandeln
ließe, durch deren Auflösung eben das herausgebracht
würde, was man durch den Versuch bestimmt finden
will. Nun aber giebt es algebraische Fragen, welche
mehr als eine, und in gewissen Fällen unzählige Auf-
lösungen zulassen, die folglich alle gleich möglich sind.
Demnach würde in diesen Fällen, und besonders in
dem letztern, die Antwort der Algeber ganz unbestimmt
seyn; Man kann demnach fragen, ob oder wiefern

die
VIII. Hauptſtuͤck,
§. 588.

Wir werden nun noch in Abſicht auf das, was
man erfahren oder beobachten kann, einige Unterſu-
chungen anſtellen. Jn der Natur und folglich bey
Erfahrungen, Beobachtungen und Verſuchen iſt
alles individual, und der Zeit und dem Orte nach be-
ſtimmt. Jndeſſen laͤßt ſich dennoch die Frage machen,
ob man nichts unbeſtimmtes beobachten koͤnne?
Dieſe Frage will nun nicht ſagen, ob wir etwas
nur deswegen muͤſſen dahin geſtellt ſeyn laſſen, weil
wir es in dem Verſuche nicht bemerken, oder nicht
genug Data finden koͤnnen, um zu ſehen, wie es be-
ſtimmt ſey. So z. E. muß man einen Cometen we-
nigſtens zu drey verſchiedenen Zeiten beobachten, ehe
man ſeine Laufbahn beſtimmen kann; dieſe aber iſt an
ſich betrachtet, allerdings beſtimmt. Die Frage iſt,
wiefern etwas an ſich betrachtet unbeſtimmt ſeyn koͤn-
ne? Der Anlaß zu dieſer Frage liegt in dem §. 576.
Denn da jeder Verſuch eine Frage iſt, die die Natur
beantworten ſoll, ſo laͤßt ſie ſich mit den Fragen, die
die Algeber beantwortet, vergleichen. Denn man ſe-
tze, es ſoll durch den Verſuch eine gewiſſe Groͤße ge-
funden werden. Wuͤßte man nun die Data, ſo im
Verſuche liegen, und das Geſetz, nach welchem die
Natur in demſelben wirkt, vollſtaͤndig; ſo iſt unſtrei-
tig, daß ſich die Frage in eine algebraiſche verwandeln
ließe, durch deren Aufloͤſung eben das herausgebracht
wuͤrde, was man durch den Verſuch beſtimmt finden
will. Nun aber giebt es algebraiſche Fragen, welche
mehr als eine, und in gewiſſen Faͤllen unzaͤhlige Auf-
loͤſungen zulaſſen, die folglich alle gleich moͤglich ſind.
Demnach wuͤrde in dieſen Faͤllen, und beſonders in
dem letztern, die Antwort der Algeber ganz unbeſtimmt
ſeyn; Man kann demnach fragen, ob oder wiefern

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0398" n="376"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck,</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 588.</head><lb/>
            <p>Wir werden nun noch in Ab&#x017F;icht auf das, was<lb/>
man erfahren oder beobachten kann, einige Unter&#x017F;u-<lb/>
chungen an&#x017F;tellen. Jn der Natur und folglich bey<lb/>
Erfahrungen, Beobachtungen und Ver&#x017F;uchen i&#x017F;t<lb/>
alles individual, und der Zeit und dem Orte nach be-<lb/>
&#x017F;timmt. Jnde&#x017F;&#x017F;en la&#x0364;ßt &#x017F;ich dennoch die Frage machen,<lb/><hi rendition="#fr">ob man nichts unbe&#x017F;timmtes beobachten ko&#x0364;nne?</hi><lb/>
Die&#x017F;e Frage will nun nicht &#x017F;agen, ob wir etwas<lb/>
nur deswegen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en dahin ge&#x017F;tellt &#x017F;eyn la&#x017F;&#x017F;en, weil<lb/>
wir es in dem Ver&#x017F;uche nicht bemerken, oder nicht<lb/>
genug <hi rendition="#aq">Data</hi> finden ko&#x0364;nnen, um zu &#x017F;ehen, wie es be-<lb/>
&#x017F;timmt &#x017F;ey. So z. E. muß man einen Cometen we-<lb/>
nig&#x017F;tens zu drey ver&#x017F;chiedenen Zeiten beobachten, ehe<lb/>
man &#x017F;eine Laufbahn be&#x017F;timmen kann; die&#x017F;e aber i&#x017F;t an<lb/>
&#x017F;ich betrachtet, allerdings be&#x017F;timmt. Die Frage i&#x017F;t,<lb/>
wiefern etwas an &#x017F;ich betrachtet unbe&#x017F;timmt &#x017F;eyn ko&#x0364;n-<lb/>
ne? Der Anlaß zu die&#x017F;er Frage liegt in dem §. 576.<lb/>
Denn da jeder Ver&#x017F;uch eine Frage i&#x017F;t, die die Natur<lb/>
beantworten &#x017F;oll, &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ie &#x017F;ich mit den Fragen, die<lb/>
die Algeber beantwortet, vergleichen. Denn man &#x017F;e-<lb/>
tze, es &#x017F;oll durch den Ver&#x017F;uch eine gewi&#x017F;&#x017F;e Gro&#x0364;ße ge-<lb/>
funden werden. Wu&#x0364;ßte man nun die <hi rendition="#aq">Data,</hi> &#x017F;o im<lb/>
Ver&#x017F;uche liegen, und das Ge&#x017F;etz, nach welchem die<lb/>
Natur in dem&#x017F;elben wirkt, voll&#x017F;ta&#x0364;ndig; &#x017F;o i&#x017F;t un&#x017F;trei-<lb/>
tig, daß &#x017F;ich die Frage in eine algebrai&#x017F;che verwandeln<lb/>
ließe, durch deren Auflo&#x0364;&#x017F;ung eben das herausgebracht<lb/>
wu&#x0364;rde, was man durch den Ver&#x017F;uch be&#x017F;timmt finden<lb/>
will. Nun aber giebt es algebrai&#x017F;che Fragen, welche<lb/>
mehr als eine, und in gewi&#x017F;&#x017F;en Fa&#x0364;llen unza&#x0364;hlige Auf-<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;ungen zula&#x017F;&#x017F;en, die folglich alle gleich mo&#x0364;glich &#x017F;ind.<lb/>
Demnach wu&#x0364;rde in die&#x017F;en Fa&#x0364;llen, und be&#x017F;onders in<lb/>
dem letztern, die Antwort der Algeber ganz unbe&#x017F;timmt<lb/>
&#x017F;eyn; Man kann demnach fragen, ob oder wiefern<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[376/0398] VIII. Hauptſtuͤck, §. 588. Wir werden nun noch in Abſicht auf das, was man erfahren oder beobachten kann, einige Unterſu- chungen anſtellen. Jn der Natur und folglich bey Erfahrungen, Beobachtungen und Verſuchen iſt alles individual, und der Zeit und dem Orte nach be- ſtimmt. Jndeſſen laͤßt ſich dennoch die Frage machen, ob man nichts unbeſtimmtes beobachten koͤnne? Dieſe Frage will nun nicht ſagen, ob wir etwas nur deswegen muͤſſen dahin geſtellt ſeyn laſſen, weil wir es in dem Verſuche nicht bemerken, oder nicht genug Data finden koͤnnen, um zu ſehen, wie es be- ſtimmt ſey. So z. E. muß man einen Cometen we- nigſtens zu drey verſchiedenen Zeiten beobachten, ehe man ſeine Laufbahn beſtimmen kann; dieſe aber iſt an ſich betrachtet, allerdings beſtimmt. Die Frage iſt, wiefern etwas an ſich betrachtet unbeſtimmt ſeyn koͤn- ne? Der Anlaß zu dieſer Frage liegt in dem §. 576. Denn da jeder Verſuch eine Frage iſt, die die Natur beantworten ſoll, ſo laͤßt ſie ſich mit den Fragen, die die Algeber beantwortet, vergleichen. Denn man ſe- tze, es ſoll durch den Verſuch eine gewiſſe Groͤße ge- funden werden. Wuͤßte man nun die Data, ſo im Verſuche liegen, und das Geſetz, nach welchem die Natur in demſelben wirkt, vollſtaͤndig; ſo iſt unſtrei- tig, daß ſich die Frage in eine algebraiſche verwandeln ließe, durch deren Aufloͤſung eben das herausgebracht wuͤrde, was man durch den Verſuch beſtimmt finden will. Nun aber giebt es algebraiſche Fragen, welche mehr als eine, und in gewiſſen Faͤllen unzaͤhlige Auf- loͤſungen zulaſſen, die folglich alle gleich moͤglich ſind. Demnach wuͤrde in dieſen Faͤllen, und beſonders in dem letztern, die Antwort der Algeber ganz unbeſtimmt ſeyn; Man kann demnach fragen, ob oder wiefern die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/398
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/398>, abgerufen am 22.12.2024.