Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

von der Erfahrung.
lich erkennen wird. Wo hingegen die Sache einfa-
cher ist, da geht es ehender an, sich aus der Beschrei-
bung einen Begriff zu machen. Allein, da auch hier
die Jndividualien wegbleiben, so erhält man höchstens
nur den Begriff der Art, und das Bild, so man sich
davon macht, wird ehender ein ander Indiuiduum
vorstellen, als das, von welchem die Erzählung her-
genommen ist. Z E. Man hört etwann von einer
neuen Maschine, so ist es möglich, aus der Beschrei-
bung ihres Effectes oder ihrer Theile, eine ähnliche
zu erfinden, die eben den Effect thut. Fälle von die-
ser Art sind bey den Mathematikern nicht selten.

§. 562.

Jst hingegen die fremde Erfahrung nur ein Satz,
dessen Subject und Prädicat bekannte Begriffe sind;
so läßt sich dieser Satz allerdings gedenken, und die
Frage kömmt darauf an, ob er wahr und richtig sey?
Z. E. Richer fand, daß bey dem Aequator seine
Penduluhr langsam gehe, und brachte diese Nach-
richt zurück. Man wußte, was Penduluhren sind,
und was langsamer gehen dabey sagen will, dem-
nach war der Satz verständlich, aber seine Wahrheit
beruhete auf Richers Glaubwürdigkeit, die man aber
in Zweifel zu ziehen, keinen Grund hatte. Newton,
dem diese Beobachtung berichtet wurde, fand gleich,
daß sie nicht nur gegründet sey, sondern nothwendig
seyn müsse, weil die Umdrehung der Erde um ihre Axe
das Gewicht des Penduls vermindert, und dadurch
den Gang desselben langsamer macht. Da er folg-
lich diese Beobachtung aus andern Gründen und
Erfahrungen herleiten konnte, so machte er sie zum
Lehrsatze, und folgerte sogleich noch mehr andre
daraus.

§. 563.
Z 2

von der Erfahrung.
lich erkennen wird. Wo hingegen die Sache einfa-
cher iſt, da geht es ehender an, ſich aus der Beſchrei-
bung einen Begriff zu machen. Allein, da auch hier
die Jndividualien wegbleiben, ſo erhaͤlt man hoͤchſtens
nur den Begriff der Art, und das Bild, ſo man ſich
davon macht, wird ehender ein ander Indiuiduum
vorſtellen, als das, von welchem die Erzaͤhlung her-
genommen iſt. Z E. Man hoͤrt etwann von einer
neuen Maſchine, ſo iſt es moͤglich, aus der Beſchrei-
bung ihres Effectes oder ihrer Theile, eine aͤhnliche
zu erfinden, die eben den Effect thut. Faͤlle von die-
ſer Art ſind bey den Mathematikern nicht ſelten.

§. 562.

Jſt hingegen die fremde Erfahrung nur ein Satz,
deſſen Subject und Praͤdicat bekannte Begriffe ſind;
ſo laͤßt ſich dieſer Satz allerdings gedenken, und die
Frage koͤmmt darauf an, ob er wahr und richtig ſey?
Z. E. Richer fand, daß bey dem Aequator ſeine
Penduluhr langſam gehe, und brachte dieſe Nach-
richt zuruͤck. Man wußte, was Penduluhren ſind,
und was langſamer gehen dabey ſagen will, dem-
nach war der Satz verſtaͤndlich, aber ſeine Wahrheit
beruhete auf Richers Glaubwuͤrdigkeit, die man aber
in Zweifel zu ziehen, keinen Grund hatte. Newton,
dem dieſe Beobachtung berichtet wurde, fand gleich,
daß ſie nicht nur gegruͤndet ſey, ſondern nothwendig
ſeyn muͤſſe, weil die Umdrehung der Erde um ihre Axe
das Gewicht des Penduls vermindert, und dadurch
den Gang deſſelben langſamer macht. Da er folg-
lich dieſe Beobachtung aus andern Gruͤnden und
Erfahrungen herleiten konnte, ſo machte er ſie zum
Lehrſatze, und folgerte ſogleich noch mehr andre
daraus.

§. 563.
Z 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0377" n="355"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von der Erfahrung.</hi></fw><lb/>
lich erkennen wird. Wo hingegen die Sache einfa-<lb/>
cher i&#x017F;t, da geht es ehender an, &#x017F;ich aus der Be&#x017F;chrei-<lb/>
bung einen Begriff zu machen. Allein, da auch hier<lb/>
die Jndividualien wegbleiben, &#x017F;o erha&#x0364;lt man ho&#x0364;ch&#x017F;tens<lb/>
nur den Begriff der Art, und das Bild, &#x017F;o man &#x017F;ich<lb/>
davon macht, wird ehender ein ander <hi rendition="#aq">Indiuiduum</hi><lb/>
vor&#x017F;tellen, als das, von welchem die Erza&#x0364;hlung her-<lb/>
genommen i&#x017F;t. Z E. Man ho&#x0364;rt etwann von einer<lb/>
neuen Ma&#x017F;chine, &#x017F;o i&#x017F;t es mo&#x0364;glich, aus der Be&#x017F;chrei-<lb/>
bung ihres Effectes oder ihrer Theile, eine a&#x0364;hnliche<lb/>
zu erfinden, die eben den Effect thut. Fa&#x0364;lle von die-<lb/>
&#x017F;er Art &#x017F;ind bey den Mathematikern nicht &#x017F;elten.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 562.</head><lb/>
            <p>J&#x017F;t hingegen die fremde Erfahrung nur ein <hi rendition="#fr">Satz,</hi><lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Subject und Pra&#x0364;dicat bekannte Begriffe &#x017F;ind;<lb/>
&#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich die&#x017F;er Satz allerdings gedenken, und die<lb/>
Frage ko&#x0364;mmt darauf an, ob er wahr und richtig &#x017F;ey?<lb/>
Z. E. <hi rendition="#fr">Richer</hi> fand, daß bey dem Aequator &#x017F;eine<lb/>
Penduluhr lang&#x017F;am gehe, und brachte die&#x017F;e Nach-<lb/>
richt zuru&#x0364;ck. Man wußte, was <hi rendition="#fr">Penduluhren</hi> &#x017F;ind,<lb/>
und was <hi rendition="#fr">lang&#x017F;amer gehen</hi> dabey &#x017F;agen will, dem-<lb/>
nach war der Satz ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich, aber &#x017F;eine Wahrheit<lb/>
beruhete auf <hi rendition="#fr">Richers</hi> Glaubwu&#x0364;rdigkeit, die man aber<lb/>
in Zweifel zu ziehen, keinen Grund hatte. <hi rendition="#fr">Newton,</hi><lb/>
dem die&#x017F;e Beobachtung berichtet wurde, fand gleich,<lb/>
daß &#x017F;ie nicht nur gegru&#x0364;ndet &#x017F;ey, &#x017F;ondern nothwendig<lb/>
&#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, weil die Umdrehung der Erde um ihre Axe<lb/>
das Gewicht des Penduls vermindert, und dadurch<lb/>
den Gang de&#x017F;&#x017F;elben lang&#x017F;amer macht. Da er folg-<lb/>
lich die&#x017F;e <hi rendition="#fr">Beobachtung</hi> aus andern Gru&#x0364;nden und<lb/>
Erfahrungen herleiten konnte, &#x017F;o machte er &#x017F;ie zum<lb/><hi rendition="#fr">Lehr&#x017F;atze,</hi> und folgerte &#x017F;ogleich noch mehr andre<lb/>
daraus.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">Z 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">§. 563.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[355/0377] von der Erfahrung. lich erkennen wird. Wo hingegen die Sache einfa- cher iſt, da geht es ehender an, ſich aus der Beſchrei- bung einen Begriff zu machen. Allein, da auch hier die Jndividualien wegbleiben, ſo erhaͤlt man hoͤchſtens nur den Begriff der Art, und das Bild, ſo man ſich davon macht, wird ehender ein ander Indiuiduum vorſtellen, als das, von welchem die Erzaͤhlung her- genommen iſt. Z E. Man hoͤrt etwann von einer neuen Maſchine, ſo iſt es moͤglich, aus der Beſchrei- bung ihres Effectes oder ihrer Theile, eine aͤhnliche zu erfinden, die eben den Effect thut. Faͤlle von die- ſer Art ſind bey den Mathematikern nicht ſelten. §. 562. Jſt hingegen die fremde Erfahrung nur ein Satz, deſſen Subject und Praͤdicat bekannte Begriffe ſind; ſo laͤßt ſich dieſer Satz allerdings gedenken, und die Frage koͤmmt darauf an, ob er wahr und richtig ſey? Z. E. Richer fand, daß bey dem Aequator ſeine Penduluhr langſam gehe, und brachte dieſe Nach- richt zuruͤck. Man wußte, was Penduluhren ſind, und was langſamer gehen dabey ſagen will, dem- nach war der Satz verſtaͤndlich, aber ſeine Wahrheit beruhete auf Richers Glaubwuͤrdigkeit, die man aber in Zweifel zu ziehen, keinen Grund hatte. Newton, dem dieſe Beobachtung berichtet wurde, fand gleich, daß ſie nicht nur gegruͤndet ſey, ſondern nothwendig ſeyn muͤſſe, weil die Umdrehung der Erde um ihre Axe das Gewicht des Penduls vermindert, und dadurch den Gang deſſelben langſamer macht. Da er folg- lich dieſe Beobachtung aus andern Gruͤnden und Erfahrungen herleiten konnte, ſo machte er ſie zum Lehrſatze, und folgerte ſogleich noch mehr andre daraus. §. 563. Z 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/377
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/377>, abgerufen am 24.11.2024.