Der erste dieser Unterschiede betrifft die Art, wie wir von der Wahrheit eines Satzes gewiß werden. Ein Satz zeigt überhaupt an, daß das Prädicat dem Subjecte zukomme, oder nicht zukomme Eines von beyden ist immer wahr. Nun liegt das Bewußtseyn, daß z. E. A, B sey, entweder in der bloßen Vor- stellung der Begriffe A, B; so, daß weiter nichts als diese Vorstellung dazu erfordert werde, oder man sieht es nicht so unmittelbar ein. Jst das erste, so wird der Satz ein Grundsatz genennt. Und diese sind von zweyen Arten.
1. Wenn A und B einerley Begriffe, und daher höchstens nur in den Worten verschieden sind. Dieses giebt gleich gültige oder leere Sätze. Der allgemeine Grund, warum die Wahr- heit solcher Sätze unmittelbar einleuchter, ist, daß wir nicht anders gedenken können, als jede Sache sey, das was sie ist. Wir lassen demnach die Sätze A ist A,jede Größe ist sich selbst gleich; ein Ding ist sich selbst ähnlich; ein Ding kann nicht seyn, und nicht seyn zugleich etc. ohne allen Anstand als wahr gelten, weil nichts dazu erfordert wird, als die Worte verstehen.
2. Wenn wir in der Vorstellung eines Begriffes solche Merkmaale finden, ohne die sich der Begriff nicht gedenken läßt, so wird ein Grundsatz entstehen, wenn der Begriff zum Subject, das Merkmaal zum Prädicat ge- macht wird. Z. E. Ein Triangel läßt sich ohne drey Seiten nicht gedenken. Daher ist der Satz: Ein Criangel hat drey Sei- ten, ein Grundsatz. Eben so folgern wir:
Wer
von den Urtheilen und Fragen.
§. 146.
Der erſte dieſer Unterſchiede betrifft die Art, wie wir von der Wahrheit eines Satzes gewiß werden. Ein Satz zeigt uͤberhaupt an, daß das Praͤdicat dem Subjecte zukomme, oder nicht zukomme Eines von beyden iſt immer wahr. Nun liegt das Bewußtſeyn, daß z. E. A, B ſey, entweder in der bloßen Vor- ſtellung der Begriffe A, B; ſo, daß weiter nichts als dieſe Vorſtellung dazu erfordert werde, oder man ſieht es nicht ſo unmittelbar ein. Jſt das erſte, ſo wird der Satz ein Grundſatz genennt. Und dieſe ſind von zweyen Arten.
1. Wenn A und B einerley Begriffe, und daher hoͤchſtens nur in den Worten verſchieden ſind. Dieſes giebt gleich guͤltige oder leere Saͤtze. Der allgemeine Grund, warum die Wahr- heit ſolcher Saͤtze unmittelbar einleuchter, iſt, daß wir nicht anders gedenken koͤnnen, als jede Sache ſey, das was ſie iſt. Wir laſſen demnach die Saͤtze A iſt A,jede Groͤße iſt ſich ſelbſt gleich; ein Ding iſt ſich ſelbſt aͤhnlich; ein Ding kann nicht ſeyn, und nicht ſeyn zugleich ꝛc. ohne allen Anſtand als wahr gelten, weil nichts dazu erfordert wird, als die Worte verſtehen.
2. Wenn wir in der Vorſtellung eines Begriffes ſolche Merkmaale finden, ohne die ſich der Begriff nicht gedenken laͤßt, ſo wird ein Grundſatz entſtehen, wenn der Begriff zum Subject, das Merkmaal zum Praͤdicat ge- macht wird. Z. E. Ein Triangel laͤßt ſich ohne drey Seiten nicht gedenken. Daher iſt der Satz: Ein Criangel hat drey Sei- ten, ein Grundſatz. Eben ſo folgern wir:
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von den Urtheilen und Fragen.
§. 146.
Der erſte dieſer Unterſchiede betrifft die Art, wie
wir von der Wahrheit eines Satzes gewiß werden.
Ein Satz zeigt uͤberhaupt an, daß das Praͤdicat dem
Subjecte zukomme, oder nicht zukomme Eines von
beyden iſt immer wahr. Nun liegt das Bewußtſeyn,
daß z. E. A, B ſey, entweder in der bloßen Vor-
ſtellung der Begriffe A, B; ſo, daß weiter nichts als
dieſe Vorſtellung dazu erfordert werde, oder man ſieht
es nicht ſo unmittelbar ein. Jſt das erſte, ſo wird
der Satz ein Grundſatz genennt. Und dieſe ſind
von zweyen Arten.
1. Wenn A und B einerley Begriffe, und daher
hoͤchſtens nur in den Worten verſchieden ſind.
Dieſes giebt gleich guͤltige oder leere Saͤtze.
Der allgemeine Grund, warum die Wahr-
heit ſolcher Saͤtze unmittelbar einleuchter, iſt,
daß wir nicht anders gedenken koͤnnen, als
jede Sache ſey, das was ſie iſt. Wir laſſen
demnach die Saͤtze A iſt A, jede Groͤße iſt
ſich ſelbſt gleich; ein Ding iſt ſich ſelbſt
aͤhnlich; ein Ding kann nicht ſeyn, und
nicht ſeyn zugleich ꝛc. ohne allen Anſtand
als wahr gelten, weil nichts dazu erfordert
wird, als die Worte verſtehen.
2. Wenn wir in der Vorſtellung eines Begriffes
ſolche Merkmaale finden, ohne die ſich der
Begriff nicht gedenken laͤßt, ſo wird ein
Grundſatz entſtehen, wenn der Begriff zum
Subject, das Merkmaal zum Praͤdicat ge-
macht wird. Z. E. Ein Triangel laͤßt ſich
ohne drey Seiten nicht gedenken. Daher
iſt der Satz: Ein Criangel hat drey Sei-
ten, ein Grundſatz. Eben ſo folgern wir:
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/117>, abgerufen am 23.02.2025.
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