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Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Augsburg, 1761.

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Cosmologische Briefe
öde und unbewohnt machen. Es würde dadurch eine
Seite der Welt immer unbetrachtet bleiben. Ein
Planet, der aus seinem Gleise weggerückt würde, oder
einem Cometen nachfolgen müßte, schiene mir seiner
Zerstörung sehr nahe zu seyn, und ich hielte alle seine
Einwohner ohne Hoffnung einer Erneuerung und Fort-
pflanzung, für immer verlohren und ausgetilgt. Ver-
setzen Sie die Thiere, die unter den Polen ihren Auf-
enthalt haben, und dazu ausgerüstet sind, in die Afri-
kanische Sandwüsten, oder die, so hier ihren Aufent-
halt finden, auf die Eisgebürge der Polarländer, die-
se Versetzung würde noch wenig zu sagen haben. Las-
sen sie aber das Meer austrocknen, und geben sie den
Fischen die Luft zu ihrem Wohnorte, so kommen wir
den Folgen, die die Verrückung eines Planeten nach
sich ziehen würde, um ein merkliches näher. Aber die
Unwahrscheinlichkeit steigt zugleich zu ihrem wahren
Grade empor.

Es ist wahr, wenn ich setze, der Lauf der Welt-
körper seye so eingerichtet, daß eben die kleinern Ver-
änderungen, die sie einander verursachen, dazu dienen
müssen, daß sie einander immer ausweichen können, so
nehme ich etwas an, das sich eben so strenge nicht er-
weisen läßt. Ich nehme darinn die Weißheit des
Schöpfers in ihrem völligen Umfange. Ich setze zu-
gleich, daß die Erhaltung der Weltkörper und ihrer
Bewohner eine solche Absicht der Schöpfung gewesen,
dabey keine Ausnahme zuläßig ware, die eine völlige
Zerstörung einschlosse. Läßt man diese Sätze gelten,

so

Coſmologiſche Briefe
oͤde und unbewohnt machen. Es wuͤrde dadurch eine
Seite der Welt immer unbetrachtet bleiben. Ein
Planet, der aus ſeinem Gleiſe weggeruͤckt wuͤrde, oder
einem Cometen nachfolgen muͤßte, ſchiene mir ſeiner
Zerſtoͤrung ſehr nahe zu ſeyn, und ich hielte alle ſeine
Einwohner ohne Hoffnung einer Erneuerung und Fort-
pflanzung, fuͤr immer verlohren und ausgetilgt. Ver-
ſetzen Sie die Thiere, die unter den Polen ihren Auf-
enthalt haben, und dazu ausgeruͤſtet ſind, in die Afri-
kaniſche Sandwuͤſten, oder die, ſo hier ihren Aufent-
halt finden, auf die Eisgebuͤrge der Polarlaͤnder, die-
ſe Verſetzung wuͤrde noch wenig zu ſagen haben. Laſ-
ſen ſie aber das Meer austrocknen, und geben ſie den
Fiſchen die Luft zu ihrem Wohnorte, ſo kommen wir
den Folgen, die die Verruͤckung eines Planeten nach
ſich ziehen wuͤrde, um ein merkliches naͤher. Aber die
Unwahrſcheinlichkeit ſteigt zugleich zu ihrem wahren
Grade empor.

Es iſt wahr, wenn ich ſetze, der Lauf der Welt-
koͤrper ſeye ſo eingerichtet, daß eben die kleinern Ver-
aͤnderungen, die ſie einander verurſachen, dazu dienen
muͤſſen, daß ſie einander immer ausweichen koͤnnen, ſo
nehme ich etwas an, das ſich eben ſo ſtrenge nicht er-
weiſen laͤßt. Ich nehme darinn die Weißheit des
Schoͤpfers in ihrem voͤlligen Umfange. Ich ſetze zu-
gleich, daß die Erhaltung der Weltkoͤrper und ihrer
Bewohner eine ſolche Abſicht der Schoͤpfung geweſen,
dabey keine Ausnahme zulaͤßig ware, die eine voͤllige
Zerſtoͤrung einſchloſſe. Laͤßt man dieſe Saͤtze gelten,

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[32/0065] Coſmologiſche Briefe oͤde und unbewohnt machen. Es wuͤrde dadurch eine Seite der Welt immer unbetrachtet bleiben. Ein Planet, der aus ſeinem Gleiſe weggeruͤckt wuͤrde, oder einem Cometen nachfolgen muͤßte, ſchiene mir ſeiner Zerſtoͤrung ſehr nahe zu ſeyn, und ich hielte alle ſeine Einwohner ohne Hoffnung einer Erneuerung und Fort- pflanzung, fuͤr immer verlohren und ausgetilgt. Ver- ſetzen Sie die Thiere, die unter den Polen ihren Auf- enthalt haben, und dazu ausgeruͤſtet ſind, in die Afri- kaniſche Sandwuͤſten, oder die, ſo hier ihren Aufent- halt finden, auf die Eisgebuͤrge der Polarlaͤnder, die- ſe Verſetzung wuͤrde noch wenig zu ſagen haben. Laſ- ſen ſie aber das Meer austrocknen, und geben ſie den Fiſchen die Luft zu ihrem Wohnorte, ſo kommen wir den Folgen, die die Verruͤckung eines Planeten nach ſich ziehen wuͤrde, um ein merkliches naͤher. Aber die Unwahrſcheinlichkeit ſteigt zugleich zu ihrem wahren Grade empor. Es iſt wahr, wenn ich ſetze, der Lauf der Welt- koͤrper ſeye ſo eingerichtet, daß eben die kleinern Ver- aͤnderungen, die ſie einander verurſachen, dazu dienen muͤſſen, daß ſie einander immer ausweichen koͤnnen, ſo nehme ich etwas an, das ſich eben ſo ſtrenge nicht er- weiſen laͤßt. Ich nehme darinn die Weißheit des Schoͤpfers in ihrem voͤlligen Umfange. Ich ſetze zu- gleich, daß die Erhaltung der Weltkoͤrper und ihrer Bewohner eine ſolche Abſicht der Schoͤpfung geweſen, dabey keine Ausnahme zulaͤßig ware, die eine voͤllige Zerſtoͤrung einſchloſſe. Laͤßt man dieſe Saͤtze gelten, ſo

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Augsburg, 1761, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_einrichtung_1761/65>, abgerufen am 24.11.2024.