ses im Zweifel bliebe, so würde man mit den Welschen sagen: Se non e vero, e ben truovato.
Es ist in der Naturlehre schwer, so gar aus Erfahrungen richtige Schlüsse zu ziehen, zumal wenn man daraus ein System ohne Hypothesen errichten solle. Wie viel schwerer muß es seyn, wenn man die Erfahrung gar nicht zu Rathe zieht, sondern sich mit allgemeinen Betrachtungen begnügt! Dieses ist der Fall, in welchem ich mich befinde. Ich mache nicht etwann einen einigen, sondern eine lange und vielfache Reihe von Schlüssen. Solche Reihen sind wie weitläuftige Rechnungen, wobey es rathsam ist, von Theil zu Theil eine Probe anzustellen, ob man sich nicht überrechnet habe, ehe man aufs Ungewisse weiter fortrechnet. Solche Proben bey meinen Schlüs- sen hätten Erfahrungen seyn sollen. Allein ich habe mich begnügt, sie nur anzugeben, und inzwischen ge- trost fortgeschlossen, als wenn alles ausser allem Zweifel, und jede Erfahrung schon längsten angestellt wäre.
Ich kann demnach meine Schlüsse als ein Mu- ster einer nicht geringen Verwegenheit ansehen, zu- mal da ich in Zeiten lebe, wo die Freyheit, die Na- tur nach seinem Sinne einzurichten, ganz verbannt ist. Und ich richte nicht etwann einzele Theile, son- dern die ganze Natur, den ganzen Umfang der Schöpfung nach meinem Sinne ein! Kann man drei- ster seyn? Wer hat mir die Waagschal gegeben, je-
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uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſes im Zweifel bliebe, ſo wuͤrde man mit den Welſchen ſagen: Se non é vero, é ben truovato.
Es iſt in der Naturlehre ſchwer, ſo gar aus Erfahrungen richtige Schluͤſſe zu ziehen, zumal wenn man daraus ein Syſtem ohne Hypotheſen errichten ſolle. Wie viel ſchwerer muß es ſeyn, wenn man die Erfahrung gar nicht zu Rathe zieht, ſondern ſich mit allgemeinen Betrachtungen begnuͤgt! Dieſes iſt der Fall, in welchem ich mich befinde. Ich mache nicht etwann einen einigen, ſondern eine lange und vielfache Reihe von Schluͤſſen. Solche Reihen ſind wie weitlaͤuftige Rechnungen, wobey es rathſam iſt, von Theil zu Theil eine Probe anzuſtellen, ob man ſich nicht uͤberrechnet habe, ehe man aufs Ungewiſſe weiter fortrechnet. Solche Proben bey meinen Schluͤſ- ſen haͤtten Erfahrungen ſeyn ſollen. Allein ich habe mich begnuͤgt, ſie nur anzugeben, und inzwiſchen ge- troſt fortgeſchloſſen, als wenn alles auſſer allem Zweifel, und jede Erfahrung ſchon laͤngſten angeſtellt waͤre.
Ich kann demnach meine Schluͤſſe als ein Mu- ſter einer nicht geringen Verwegenheit anſehen, zu- mal da ich in Zeiten lebe, wo die Freyheit, die Na- tur nach ſeinem Sinne einzurichten, ganz verbannt iſt. Und ich richte nicht etwann einzele Theile, ſon- dern die ganze Natur, den ganzen Umfang der Schoͤpfung nach meinem Sinne ein! Kann man drei- ſter ſeyn? Wer hat mir die Waagſchal gegeben, je-
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uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſes im Zweifel bliebe, ſo wuͤrde man mit den Welſchen
ſagen: Se non é vero, é ben truovato.
Es iſt in der Naturlehre ſchwer, ſo gar aus
Erfahrungen richtige Schluͤſſe zu ziehen, zumal wenn
man daraus ein Syſtem ohne Hypotheſen errichten
ſolle. Wie viel ſchwerer muß es ſeyn, wenn man
die Erfahrung gar nicht zu Rathe zieht, ſondern ſich
mit allgemeinen Betrachtungen begnuͤgt! Dieſes iſt
der Fall, in welchem ich mich befinde. Ich mache
nicht etwann einen einigen, ſondern eine lange und
vielfache Reihe von Schluͤſſen. Solche Reihen ſind
wie weitlaͤuftige Rechnungen, wobey es rathſam iſt,
von Theil zu Theil eine Probe anzuſtellen, ob man
ſich nicht uͤberrechnet habe, ehe man aufs Ungewiſſe
weiter fortrechnet. Solche Proben bey meinen Schluͤſ-
ſen haͤtten Erfahrungen ſeyn ſollen. Allein ich habe
mich begnuͤgt, ſie nur anzugeben, und inzwiſchen ge-
troſt fortgeſchloſſen, als wenn alles auſſer allem
Zweifel, und jede Erfahrung ſchon laͤngſten angeſtellt
waͤre.
Ich kann demnach meine Schluͤſſe als ein Mu-
ſter einer nicht geringen Verwegenheit anſehen, zu-
mal da ich in Zeiten lebe, wo die Freyheit, die Na-
tur nach ſeinem Sinne einzurichten, ganz verbannt
iſt. Und ich richte nicht etwann einzele Theile, ſon-
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Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Augsburg, 1761, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_einrichtung_1761/330>, abgerufen am 16.02.2025.
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