Auf diese Art zeigte sich nun bey dem vorhin (III.) Gesagten weiter keine andere Schwierigkeit, als die genauere Bestimmung dessen, was zur Form ge- rechnet werden mußte. Denn in physischen Dingen verstund man ursprünglich durch Materie die mate- riellen Substanzen, woraus die Körper zusammen- gesetzt sind, und zwar ohne Rücksicht auf die Form. Sodann sind die wirkenden Ursachen im engsten Verstande die Kräfte; und wenn man auch setzet, daß diese vermittelst der Materie wirken, so kann die Materie hiebey nicht wohl für etwas mehrers als für Mittel und Werkzeuge angesehen werden, so fern nämlich die Wirkung vermittelst der Materie geschieht. Dabey geht es nun noch immer an, daß, so fern die Kräfte unmittelbar in die Materie wir- ken, z. E. ihre Theilchen in Verbindung erhalten etc. die Materie hier als Materie, das will sagen, als der Gegenstand der Wirkung, betrachtet werde. Uebri- gens bindet man sich im gemeinen Leben an so genaue Unterschiede nicht, sondern man sieht die Kräfte und die Materie, vermittelst welcher sie wirken, zusam- mengenommen, als die wirkenden Ursachen an.
X.
Die Form ist nun besonders in solchen Fällen am kenntlichsten, wo die Materie dabey ziemlich gleich- gültig, und die Benennung von der Form und der Absicht hergenommen ist. So z. E. ist ein Becher ein Becher, er mag von Golde oder Silber, oder irgend einer andern Materie seyn: das ist dabey, über- haupt betrachtet, einerley. Also sagt man, daß nicht diese oder jene Materie, sondern die Form einen Becher zum Becher mache; und in diesem Verstande
wird
Zuſatz zum neunzehnten Hauptſtuͤcke.
IX.
Auf dieſe Art zeigte ſich nun bey dem vorhin (III.) Geſagten weiter keine andere Schwierigkeit, als die genauere Beſtimmung deſſen, was zur Form ge- rechnet werden mußte. Denn in phyſiſchen Dingen verſtund man urſpruͤnglich durch Materie die mate- riellen Subſtanzen, woraus die Koͤrper zuſammen- geſetzt ſind, und zwar ohne Ruͤckſicht auf die Form. Sodann ſind die wirkenden Urſachen im engſten Verſtande die Kraͤfte; und wenn man auch ſetzet, daß dieſe vermittelſt der Materie wirken, ſo kann die Materie hiebey nicht wohl fuͤr etwas mehrers als fuͤr Mittel und Werkzeuge angeſehen werden, ſo fern naͤmlich die Wirkung vermittelſt der Materie geſchieht. Dabey geht es nun noch immer an, daß, ſo fern die Kraͤfte unmittelbar in die Materie wir- ken, z. E. ihre Theilchen in Verbindung erhalten ꝛc. die Materie hier als Materie, das will ſagen, als der Gegenſtand der Wirkung, betrachtet werde. Uebri- gens bindet man ſich im gemeinen Leben an ſo genaue Unterſchiede nicht, ſondern man ſieht die Kraͤfte und die Materie, vermittelſt welcher ſie wirken, zuſam- mengenommen, als die wirkenden Urſachen an.
X.
Die Form iſt nun beſonders in ſolchen Faͤllen am kenntlichſten, wo die Materie dabey ziemlich gleich- guͤltig, und die Benennung von der Form und der Abſicht hergenommen iſt. So z. E. iſt ein Becher ein Becher, er mag von Golde oder Silber, oder irgend einer andern Materie ſeyn: das iſt dabey, uͤber- haupt betrachtet, einerley. Alſo ſagt man, daß nicht dieſe oder jene Materie, ſondern die Form einen Becher zum Becher mache; und in dieſem Verſtande
wird
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Zuſatz zum neunzehnten Hauptſtuͤcke.
IX.
Auf dieſe Art zeigte ſich nun bey dem vorhin (III.)
Geſagten weiter keine andere Schwierigkeit, als die
genauere Beſtimmung deſſen, was zur Form ge-
rechnet werden mußte. Denn in phyſiſchen Dingen
verſtund man urſpruͤnglich durch Materie die mate-
riellen Subſtanzen, woraus die Koͤrper zuſammen-
geſetzt ſind, und zwar ohne Ruͤckſicht auf die Form.
Sodann ſind die wirkenden Urſachen im engſten
Verſtande die Kraͤfte; und wenn man auch ſetzet,
daß dieſe vermittelſt der Materie wirken, ſo kann
die Materie hiebey nicht wohl fuͤr etwas mehrers als
fuͤr Mittel und Werkzeuge angeſehen werden, ſo
fern naͤmlich die Wirkung vermittelſt der Materie
geſchieht. Dabey geht es nun noch immer an, daß,
ſo fern die Kraͤfte unmittelbar in die Materie wir-
ken, z. E. ihre Theilchen in Verbindung erhalten ꝛc.
die Materie hier als Materie, das will ſagen, als
der Gegenſtand der Wirkung, betrachtet werde. Uebri-
gens bindet man ſich im gemeinen Leben an ſo genaue
Unterſchiede nicht, ſondern man ſieht die Kraͤfte und
die Materie, vermittelſt welcher ſie wirken, zuſam-
mengenommen, als die wirkenden Urſachen an.
X.
Die Form iſt nun beſonders in ſolchen Faͤllen am
kenntlichſten, wo die Materie dabey ziemlich gleich-
guͤltig, und die Benennung von der Form und der
Abſicht hergenommen iſt. So z. E. iſt ein Becher
ein Becher, er mag von Golde oder Silber, oder irgend
einer andern Materie ſeyn: das iſt dabey, uͤber-
haupt betrachtet, einerley. Alſo ſagt man, daß nicht
dieſe oder jene Materie, ſondern die Form einen
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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/246>, abgerufen am 23.11.2024.
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