gen unterschieden, und jede besonders betrachtet wer- den. So z. E. ist das lateinische Wort ratio, wel- ches Vernunft, Grund und Verhältniß bedeutet. Man wird allerdings nicht sagen können, daß diese drey Begriffe Arten einer Gattung seyn, oder daß ein transcendenter Begriff gedacht werden könne, der sie zusammen fasse, ungeachtet sie viele Verhältnisse unter sich haben, und auf mehrerley Arten in Sätzen als Subject und Prädicat vorkommen können.
§. 31.
Zu den vielbedeutigen Wörtern können wir beson- ders auch diejenigen rechnen, deren Bedeutung von veränderlichem Umfange ist, und jedesmal aus dem Zusammenhange der Rede bestimmt werden muß. Solche Wörter lassen sich nicht wohl definiren. Die sind metaphorisch, und das Tertium comparationis dabey ist stufenweise veränderlich. Ueber dieß macht der Mangel der Sprache an Wörtern, daß man die- ses Veränderliche lassen muß, zumal da es jedesmal aus dem Zusammenhange bestimmt wird. Man kann auch nicht sagen, daß dieser Mangel der Spra- che durchaus ein Fehler sey. Sie wird dadurch kür- zer und dem Gedächtnisse weniger zur Last. Wollte man demnach die Bedeutung solcher Wörter durch eine Definition feste setzen, so würden viele Redens- arten wegfallen, aus deren Zusammenhange der Um- fang der Bedeutung stufenweise weiter oder enger ist, als ihn die Definition angiebt. Solche Redensarten sind ungefähr wie die Gleichungen in der Algeber. Die Bedingung, daß diese gleich seyn, jene einen Verstand haben sollen, bestimmt bey den Gleichun- gen die gesuchten Größen, bey den Redensarten den Umfang der Bedeutung solcher Wörter.
§. 32.
einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre.
gen unterſchieden, und jede beſonders betrachtet wer- den. So z. E. iſt das lateiniſche Wort ratio, wel- ches Vernunft, Grund und Verhaͤltniß bedeutet. Man wird allerdings nicht ſagen koͤnnen, daß dieſe drey Begriffe Arten einer Gattung ſeyn, oder daß ein tranſcendenter Begriff gedacht werden koͤnne, der ſie zuſammen faſſe, ungeachtet ſie viele Verhaͤltniſſe unter ſich haben, und auf mehrerley Arten in Saͤtzen als Subject und Praͤdicat vorkommen koͤnnen.
§. 31.
Zu den vielbedeutigen Woͤrtern koͤnnen wir beſon- ders auch diejenigen rechnen, deren Bedeutung von veraͤnderlichem Umfange iſt, und jedesmal aus dem Zuſammenhange der Rede beſtimmt werden muß. Solche Woͤrter laſſen ſich nicht wohl definiren. Die ſind metaphoriſch, und das Tertium comparationis dabey iſt ſtufenweiſe veraͤnderlich. Ueber dieß macht der Mangel der Sprache an Woͤrtern, daß man die- ſes Veraͤnderliche laſſen muß, zumal da es jedesmal aus dem Zuſammenhange beſtimmt wird. Man kann auch nicht ſagen, daß dieſer Mangel der Spra- che durchaus ein Fehler ſey. Sie wird dadurch kuͤr- zer und dem Gedaͤchtniſſe weniger zur Laſt. Wollte man demnach die Bedeutung ſolcher Woͤrter durch eine Definition feſte ſetzen, ſo wuͤrden viele Redens- arten wegfallen, aus deren Zuſammenhange der Um- fang der Bedeutung ſtufenweiſe weiter oder enger iſt, als ihn die Definition angiebt. Solche Redensarten ſind ungefaͤhr wie die Gleichungen in der Algeber. Die Bedingung, daß dieſe gleich ſeyn, jene einen Verſtand haben ſollen, beſtimmt bey den Gleichun- gen die geſuchten Groͤßen, bey den Redensarten den Umfang der Bedeutung ſolcher Woͤrter.
§. 32.
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einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre.
gen unterſchieden, und jede beſonders betrachtet wer-
den. So z. E. iſt das lateiniſche Wort ratio, wel-
ches Vernunft, Grund und Verhaͤltniß bedeutet.
Man wird allerdings nicht ſagen koͤnnen, daß dieſe
drey Begriffe Arten einer Gattung ſeyn, oder daß
ein tranſcendenter Begriff gedacht werden koͤnne, der
ſie zuſammen faſſe, ungeachtet ſie viele Verhaͤltniſſe
unter ſich haben, und auf mehrerley Arten in Saͤtzen
als Subject und Praͤdicat vorkommen koͤnnen.
§. 31.
Zu den vielbedeutigen Woͤrtern koͤnnen wir beſon-
ders auch diejenigen rechnen, deren Bedeutung von
veraͤnderlichem Umfange iſt, und jedesmal aus dem
Zuſammenhange der Rede beſtimmt werden muß.
Solche Woͤrter laſſen ſich nicht wohl definiren. Die
ſind metaphoriſch, und das Tertium comparationis
dabey iſt ſtufenweiſe veraͤnderlich. Ueber dieß macht
der Mangel der Sprache an Woͤrtern, daß man die-
ſes Veraͤnderliche laſſen muß, zumal da es jedesmal
aus dem Zuſammenhange beſtimmt wird. Man
kann auch nicht ſagen, daß dieſer Mangel der Spra-
che durchaus ein Fehler ſey. Sie wird dadurch kuͤr-
zer und dem Gedaͤchtniſſe weniger zur Laſt. Wollte
man demnach die Bedeutung ſolcher Woͤrter durch
eine Definition feſte ſetzen, ſo wuͤrden viele Redens-
arten wegfallen, aus deren Zuſammenhange der Um-
fang der Bedeutung ſtufenweiſe weiter oder enger iſt,
als ihn die Definition angiebt. Solche Redensarten
ſind ungefaͤhr wie die Gleichungen in der Algeber.
Die Bedingung, daß dieſe gleich ſeyn, jene einen
Verſtand haben ſollen, beſtimmt bey den Gleichun-
gen die geſuchten Groͤßen, bey den Redensarten den
Umfang der Bedeutung ſolcher Woͤrter.
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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/63>, abgerufen am 16.02.2025.
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