Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.einer wissenschaftlichen Grundlehre. will. Man kann zum Beyspiele nachsehen, wieEuclid in seiner ersten Proposition die allgemeine Möglichkeit eines geradelinichten und gleichseitigen Triangels beweist. Er zeiget denen, die daran zwei- feln wollten, wie sie ihn von jeder beliebigen Größe machen können. Und wer ihm seine Postulata und besonders ihre Allgemeinheit einräumet, muß ihm diese, wie noch mehr andere Möglichkeiten, nothwen- dig auch einräumen. Da bey jeden zusammengesetz- ten Begriffen die Allgemeinheit, bey willkührlich zusammengesetzten die Möglichkeit erörtert werden muß, so kommen die Postulata eigentlich nur bey den einfachen Begriffen vor, und sie müssen folglich bey jedem einfachen Begriffe besonders vorgebracht werden, wie Euclid es in Absicht auf den Raum gethan. Zu wirklichen Thulichkeiten muß die Theorie der Kräfte die Grundlage angeben. §. 21. Man kann nicht in Abrede seyn, daß die bisher metri- Lamb. Archit. I. B. B
einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre. will. Man kann zum Beyſpiele nachſehen, wieEuclid in ſeiner erſten Propoſition die allgemeine Moͤglichkeit eines geradelinichten und gleichſeitigen Triangels beweiſt. Er zeiget denen, die daran zwei- feln wollten, wie ſie ihn von jeder beliebigen Groͤße machen koͤnnen. Und wer ihm ſeine Poſtulata und beſonders ihre Allgemeinheit einraͤumet, muß ihm dieſe, wie noch mehr andere Moͤglichkeiten, nothwen- dig auch einraͤumen. Da bey jeden zuſammengeſetz- ten Begriffen die Allgemeinheit, bey willkuͤhrlich zuſammengeſetzten die Moͤglichkeit eroͤrtert werden muß, ſo kommen die Poſtulata eigentlich nur bey den einfachen Begriffen vor, und ſie muͤſſen folglich bey jedem einfachen Begriffe beſonders vorgebracht werden, wie Euclid es in Abſicht auf den Raum gethan. Zu wirklichen Thulichkeiten muß die Theorie der Kraͤfte die Grundlage angeben. §. 21. Man kann nicht in Abrede ſeyn, daß die bisher metri- Lamb. Archit. I. B. B
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0053" n="17"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre.</hi></fw><lb/> will. Man kann zum Beyſpiele nachſehen, wie<lb/><hi rendition="#fr">Euclid</hi> in ſeiner erſten Propoſition die <hi rendition="#fr">allgemeine</hi><lb/> Moͤglichkeit eines geradelinichten und gleichſeitigen<lb/> Triangels beweiſt. Er zeiget denen, die daran zwei-<lb/> feln wollten, wie ſie ihn von jeder beliebigen Groͤße<lb/> machen koͤnnen. Und wer ihm ſeine <hi rendition="#aq">Poſtulata</hi> und<lb/> beſonders ihre Allgemeinheit einraͤumet, muß ihm<lb/> dieſe, wie noch mehr andere Moͤglichkeiten, nothwen-<lb/> dig auch einraͤumen. Da bey jeden zuſammengeſetz-<lb/> ten Begriffen die <hi rendition="#fr">Allgemeinheit,</hi> bey willkuͤhrlich<lb/> zuſammengeſetzten die <hi rendition="#fr">Moͤglichkeit</hi> eroͤrtert werden<lb/> muß, <hi rendition="#fr">ſo kommen die</hi> <hi rendition="#aq">Poſtulata</hi> <hi rendition="#fr">eigentlich nur bey<lb/> den einfachen Begriffen vor, und ſie muͤſſen<lb/> folglich bey jedem einfachen Begriffe beſonders<lb/> vorgebracht werden,</hi> wie <hi rendition="#fr">Euclid</hi> es in Abſicht<lb/> auf den <hi rendition="#fr">Raum</hi> gethan. Zu wirklichen Thulichkeiten<lb/> muß die Theorie der <hi rendition="#fr">Kraͤfte</hi> die Grundlage angeben.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>§. 21.</head><lb/> <p>Man kann nicht in Abrede ſeyn, daß die bisher<lb/> erwaͤhnten Erforderniſſe und Vorzuͤge der Grundlehre<lb/> eben nicht ſo leichte zu erhalten ſind. Wir haben aber<lb/> noch eine Erforderniß anzufuͤhren, die allem Anſehen<lb/> nach die ſchwerſte iſt. <hi rendition="#fr">Die Grundlehre ſoll un-<lb/> veraͤnderlich ſeyn, wie die Wahrheit.</hi> Dieſen<lb/> Vorzug hat die Meßkunſt bisher faſt ganz allein ge-<lb/> habt, da ſich inzwiſchen die Metaphyſic bald wie die<lb/> Moden in der Kleidung aͤnderte, und ihre wichtigere<lb/> Lehrſaͤtze wechſelsweiſe angenommen und verworfen<lb/> wurden. Hiebey werde ich mich etwas laͤnger auf-<lb/> halten muͤſſen, um zu unterſuchen, wie dieſer Ver-<lb/> aͤnderlichkeit, welche allerdings kein Kennzeichen des<lb/> Wahren iſt, abzuhelfen ſey. Die Hauptfrage koͤmmt<lb/> darauf an, <hi rendition="#fr">daß man in der Grundlehre eine geo-</hi><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Lamb. Archit.</hi><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#fr">B.</hi> B</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">metri-</hi></fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [17/0053]
einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre.
will. Man kann zum Beyſpiele nachſehen, wie
Euclid in ſeiner erſten Propoſition die allgemeine
Moͤglichkeit eines geradelinichten und gleichſeitigen
Triangels beweiſt. Er zeiget denen, die daran zwei-
feln wollten, wie ſie ihn von jeder beliebigen Groͤße
machen koͤnnen. Und wer ihm ſeine Poſtulata und
beſonders ihre Allgemeinheit einraͤumet, muß ihm
dieſe, wie noch mehr andere Moͤglichkeiten, nothwen-
dig auch einraͤumen. Da bey jeden zuſammengeſetz-
ten Begriffen die Allgemeinheit, bey willkuͤhrlich
zuſammengeſetzten die Moͤglichkeit eroͤrtert werden
muß, ſo kommen die Poſtulata eigentlich nur bey
den einfachen Begriffen vor, und ſie muͤſſen
folglich bey jedem einfachen Begriffe beſonders
vorgebracht werden, wie Euclid es in Abſicht
auf den Raum gethan. Zu wirklichen Thulichkeiten
muß die Theorie der Kraͤfte die Grundlage angeben.
§. 21.
Man kann nicht in Abrede ſeyn, daß die bisher
erwaͤhnten Erforderniſſe und Vorzuͤge der Grundlehre
eben nicht ſo leichte zu erhalten ſind. Wir haben aber
noch eine Erforderniß anzufuͤhren, die allem Anſehen
nach die ſchwerſte iſt. Die Grundlehre ſoll un-
veraͤnderlich ſeyn, wie die Wahrheit. Dieſen
Vorzug hat die Meßkunſt bisher faſt ganz allein ge-
habt, da ſich inzwiſchen die Metaphyſic bald wie die
Moden in der Kleidung aͤnderte, und ihre wichtigere
Lehrſaͤtze wechſelsweiſe angenommen und verworfen
wurden. Hiebey werde ich mich etwas laͤnger auf-
halten muͤſſen, um zu unterſuchen, wie dieſer Ver-
aͤnderlichkeit, welche allerdings kein Kennzeichen des
Wahren iſt, abzuhelfen ſey. Die Hauptfrage koͤmmt
darauf an, daß man in der Grundlehre eine geo-
metri-
Lamb. Archit. I. B. B
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/53 |
Zitationshilfe: | Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/53>, abgerufen am 23.02.2025. |