dem Klange einer Trommel oder einer Laute vergleichen. Die Augen der Sehenden mögen sich auch stufenweise der Blindheit nähern, wenn sich gleich keiner will überweisen lassen, daß andere besser sehen. Es bleibt übrigens in der That auch viel Willkührliches dabey, worüber es ganz unnöthig ist, sich zu zanken.
XVIII.
Um aber die Sache selbst vorzunehmen, so wieder- hole ich aus dem vorhergehenden, daß die einfachen Schönheiten schlechthin müssen empfunden werden, (VII.). Dabey muß man nun voraussetzen, die mensch- liche Natur sey nicht so sehr abgeartet, daß man nicht durch die Mehrheit der Stimmen sollte entscheiden können, ob z. E. die prismatischen Farben, oder die Consonantien in der Music auf eine eminente Art schön sind. Man würde eben so jeden für verrückt an- sehen, der nicht im Wahren, sondern im Jrrigen eine in ihrer Art einfache und absolute Schönheit fin- den wollte.
XIX.
Mit den zusammengesetzten Schönheiten hat es eine andere Bewandniß. Sie sind einer Zergliede- rung fähig, und in so fern von den Empfindungen nicht so schlechterdings abhängig, wie die Einfachen. Sie sind eben daher einer Theorie fähig, und dem- nach ein Object des Verstandes. Der Verstand durch die Theorie geleitet, ist demnach der eigentliche Rich- ter. Jch werde also noch angeben, was zur Theorie erfordert wird.
XX.
Da bey zusammengesetzten Schönheiten, die Sache eigentlich auf die Anordnung und Verhältnisse an- kömmt, so sind in der Theorie überhaupt die einfach- sten Verhältnisse feste zu setzen, und überdieß muß be-
stimmet
Zuſatz zum zwoͤlften Hauptſtuͤcke.
dem Klange einer Trommel oder einer Laute vergleichen. Die Augen der Sehenden moͤgen ſich auch ſtufenweiſe der Blindheit naͤhern, wenn ſich gleich keiner will uͤberweiſen laſſen, daß andere beſſer ſehen. Es bleibt uͤbrigens in der That auch viel Willkuͤhrliches dabey, woruͤber es ganz unnoͤthig iſt, ſich zu zanken.
XVIII.
Um aber die Sache ſelbſt vorzunehmen, ſo wieder- hole ich aus dem vorhergehenden, daß die einfachen Schoͤnheiten ſchlechthin muͤſſen empfunden werden, (VII.). Dabey muß man nun vorausſetzen, die menſch- liche Natur ſey nicht ſo ſehr abgeartet, daß man nicht durch die Mehrheit der Stimmen ſollte entſcheiden koͤnnen, ob z. E. die prismatiſchen Farben, oder die Conſonantien in der Muſic auf eine eminente Art ſchoͤn ſind. Man wuͤrde eben ſo jeden fuͤr verruͤckt an- ſehen, der nicht im Wahren, ſondern im Jrrigen eine in ihrer Art einfache und abſolute Schoͤnheit fin- den wollte.
XIX.
Mit den zuſammengeſetzten Schoͤnheiten hat es eine andere Bewandniß. Sie ſind einer Zergliede- rung faͤhig, und in ſo fern von den Empfindungen nicht ſo ſchlechterdings abhaͤngig, wie die Einfachen. Sie ſind eben daher einer Theorie faͤhig, und dem- nach ein Object des Verſtandes. Der Verſtand durch die Theorie geleitet, iſt demnach der eigentliche Rich- ter. Jch werde alſo noch angeben, was zur Theorie erfordert wird.
XX.
Da bey zuſammengeſetzten Schoͤnheiten, die Sache eigentlich auf die Anordnung und Verhaͤltniſſe an- koͤmmt, ſo ſind in der Theorie uͤberhaupt die einfach- ſten Verhaͤltniſſe feſte zu ſetzen, und uͤberdieß muß be-
ſtimmet
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Zuſatz zum zwoͤlften Hauptſtuͤcke.
dem Klange einer Trommel oder einer Laute vergleichen.
Die Augen der Sehenden moͤgen ſich auch ſtufenweiſe
der Blindheit naͤhern, wenn ſich gleich keiner will
uͤberweiſen laſſen, daß andere beſſer ſehen. Es bleibt
uͤbrigens in der That auch viel Willkuͤhrliches dabey,
woruͤber es ganz unnoͤthig iſt, ſich zu zanken.
XVIII.
Um aber die Sache ſelbſt vorzunehmen, ſo wieder-
hole ich aus dem vorhergehenden, daß die einfachen
Schoͤnheiten ſchlechthin muͤſſen empfunden werden,
(VII.). Dabey muß man nun vorausſetzen, die menſch-
liche Natur ſey nicht ſo ſehr abgeartet, daß man nicht
durch die Mehrheit der Stimmen ſollte entſcheiden
koͤnnen, ob z. E. die prismatiſchen Farben, oder die
Conſonantien in der Muſic auf eine eminente Art
ſchoͤn ſind. Man wuͤrde eben ſo jeden fuͤr verruͤckt an-
ſehen, der nicht im Wahren, ſondern im Jrrigen
eine in ihrer Art einfache und abſolute Schoͤnheit fin-
den wollte.
XIX.
Mit den zuſammengeſetzten Schoͤnheiten hat es
eine andere Bewandniß. Sie ſind einer Zergliede-
rung faͤhig, und in ſo fern von den Empfindungen
nicht ſo ſchlechterdings abhaͤngig, wie die Einfachen.
Sie ſind eben daher einer Theorie faͤhig, und dem-
nach ein Object des Verſtandes. Der Verſtand durch
die Theorie geleitet, iſt demnach der eigentliche Rich-
ter. Jch werde alſo noch angeben, was zur Theorie
erfordert wird.
XX.
Da bey zuſammengeſetzten Schoͤnheiten, die Sache
eigentlich auf die Anordnung und Verhaͤltniſſe an-
koͤmmt, ſo ſind in der Theorie uͤberhaupt die einfach-
ſten Verhaͤltniſſe feſte zu ſetzen, und uͤberdieß muß be-
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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/411>, abgerufen am 16.02.2025.
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