Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Veränderliche und Fortdauernde.
nicht anders seyn kann. Letzteres gehöret zum We-
sentlichen
oder zum Seyn und Seyn können der
Sache, und zwar nothwendig, ersteres bleibt
willkührlich, oder es hat nichts auf sich. Wollte
man nun die Bedeutung des Wortes Wesen oder
wesentlich nicht weiter ausdehnen, so würde es nur
da gebraucht werden können, wo zugleich auch Modifi-
cationen vorkommen, das will sagen, wo Nothwen-
diges
und Willkührliches durchmenget ist. Da
aber des Willkührlichen bald mehr bald minder seyn
kann, und überhaupt die Bedeutung der Wörter
leicht ausgedehnter gemacht wird, so hat man sich
auch hiebey nicht so genau daran gebunden, sondern
den Begriff des Wesentlichen, welcher eigentlich nur
das betrifft, was zu Erfüllung vorausgesetzter Be-
dingungen nothwendig ist, auch auf das ausgedeh-
net, wo von Bedingungen die Rede gar nicht vor-
kömmt. Wo demnach diese Vieldeutigkeit Folgen
nach sich ziehen kann, da thut man allerdings besser,
wenn man die Ausdrücke ändert, oder die behörigen
Bestimmungen beyfüget. Denn da muß man nach
dem Unterschiede der Sache selbst die Auswahl der
Worte treffen, die man, um sie nett auszudrücken,
gebrauchen soll, und nicht solche gebrauchen, die we-
gen ihrer Vieldeutigkeit verschiedene Auslegungen
und Erklärungen leiden.

§. 228.

Wir können ferner anmerken, daß in demjenigen,
was die einfachen Grundbegriffe vorstellen, nicht
mehrere wesentliche Stücke vorkommen. Denn eben
das ist es, was diese Begriffe einfach machet, weil
sie sonsten nothwendig zusammengesetzt seyn müßten,
so bald in der dadurch vorgestellten Sache mehrere

wesent-

Das Veraͤnderliche und Fortdauernde.
nicht anders ſeyn kann. Letzteres gehoͤret zum We-
ſentlichen
oder zum Seyn und Seyn koͤnnen der
Sache, und zwar nothwendig, erſteres bleibt
willkuͤhrlich, oder es hat nichts auf ſich. Wollte
man nun die Bedeutung des Wortes Weſen oder
weſentlich nicht weiter ausdehnen, ſo wuͤrde es nur
da gebraucht werden koͤnnen, wo zugleich auch Modifi-
cationen vorkommen, das will ſagen, wo Nothwen-
diges
und Willkuͤhrliches durchmenget iſt. Da
aber des Willkuͤhrlichen bald mehr bald minder ſeyn
kann, und uͤberhaupt die Bedeutung der Woͤrter
leicht ausgedehnter gemacht wird, ſo hat man ſich
auch hiebey nicht ſo genau daran gebunden, ſondern
den Begriff des Weſentlichen, welcher eigentlich nur
das betrifft, was zu Erfuͤllung vorausgeſetzter Be-
dingungen nothwendig iſt, auch auf das ausgedeh-
net, wo von Bedingungen die Rede gar nicht vor-
koͤmmt. Wo demnach dieſe Vieldeutigkeit Folgen
nach ſich ziehen kann, da thut man allerdings beſſer,
wenn man die Ausdruͤcke aͤndert, oder die behoͤrigen
Beſtimmungen beyfuͤget. Denn da muß man nach
dem Unterſchiede der Sache ſelbſt die Auswahl der
Worte treffen, die man, um ſie nett auszudruͤcken,
gebrauchen ſoll, und nicht ſolche gebrauchen, die we-
gen ihrer Vieldeutigkeit verſchiedene Auslegungen
und Erklaͤrungen leiden.

§. 228.

Wir koͤnnen ferner anmerken, daß in demjenigen,
was die einfachen Grundbegriffe vorſtellen, nicht
mehrere weſentliche Stuͤcke vorkommen. Denn eben
das iſt es, was dieſe Begriffe einfach machet, weil
ſie ſonſten nothwendig zuſammengeſetzt ſeyn muͤßten,
ſo bald in der dadurch vorgeſtellten Sache mehrere

weſent-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0227" n="191"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Vera&#x0364;nderliche und Fortdauernde.</hi></fw><lb/>
nicht anders &#x017F;eyn kann. Letzteres geho&#x0364;ret zum <hi rendition="#fr">We-<lb/>
&#x017F;entlichen</hi> oder zum <hi rendition="#fr">Seyn</hi> und <hi rendition="#fr">Seyn ko&#x0364;nnen</hi> der<lb/>
Sache, und zwar <hi rendition="#fr">nothwendig,</hi> er&#x017F;teres bleibt<lb/><hi rendition="#fr">willku&#x0364;hrlich,</hi> oder <hi rendition="#fr">es hat nichts auf &#x017F;ich.</hi> Wollte<lb/>
man nun die Bedeutung des Wortes <hi rendition="#fr">We&#x017F;en</hi> oder<lb/><hi rendition="#fr">we&#x017F;entlich</hi> nicht weiter ausdehnen, &#x017F;o wu&#x0364;rde es nur<lb/>
da gebraucht werden ko&#x0364;nnen, wo zugleich auch Modifi-<lb/>
cationen vorkommen, das will &#x017F;agen, wo <hi rendition="#fr">Nothwen-<lb/>
diges</hi> und <hi rendition="#fr">Willku&#x0364;hrliches</hi> durchmenget i&#x017F;t. Da<lb/>
aber des Willku&#x0364;hrlichen bald mehr bald minder &#x017F;eyn<lb/>
kann, und u&#x0364;berhaupt die Bedeutung der Wo&#x0364;rter<lb/>
leicht ausgedehnter gemacht wird, &#x017F;o hat man &#x017F;ich<lb/>
auch hiebey nicht &#x017F;o genau daran gebunden, &#x017F;ondern<lb/>
den Begriff des We&#x017F;entlichen, welcher eigentlich nur<lb/>
das betrifft, was zu Erfu&#x0364;llung vorausge&#x017F;etzter Be-<lb/>
dingungen nothwendig i&#x017F;t, auch auf das ausgedeh-<lb/>
net, wo von Bedingungen die Rede gar nicht vor-<lb/>
ko&#x0364;mmt. Wo demnach die&#x017F;e Vieldeutigkeit Folgen<lb/>
nach &#x017F;ich ziehen kann, da thut man allerdings be&#x017F;&#x017F;er,<lb/>
wenn man die Ausdru&#x0364;cke a&#x0364;ndert, oder die beho&#x0364;rigen<lb/>
Be&#x017F;timmungen beyfu&#x0364;get. Denn da muß man nach<lb/>
dem Unter&#x017F;chiede der Sache &#x017F;elb&#x017F;t die Auswahl der<lb/>
Worte treffen, die man, um &#x017F;ie nett auszudru&#x0364;cken,<lb/>
gebrauchen &#x017F;oll, und nicht &#x017F;olche gebrauchen, die we-<lb/>
gen ihrer Vieldeutigkeit ver&#x017F;chiedene Auslegungen<lb/>
und Erkla&#x0364;rungen leiden.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 228.</head><lb/>
            <p>Wir ko&#x0364;nnen ferner anmerken, daß in demjenigen,<lb/>
was die einfachen Grundbegriffe vor&#x017F;tellen, nicht<lb/>
mehrere we&#x017F;entliche Stu&#x0364;cke vorkommen. Denn eben<lb/>
das i&#x017F;t es, was die&#x017F;e Begriffe einfach machet, weil<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;ten nothwendig zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt &#x017F;eyn mu&#x0364;ßten,<lb/>
&#x017F;o bald in der dadurch vorge&#x017F;tellten Sache mehrere<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">we&#x017F;ent-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0227] Das Veraͤnderliche und Fortdauernde. nicht anders ſeyn kann. Letzteres gehoͤret zum We- ſentlichen oder zum Seyn und Seyn koͤnnen der Sache, und zwar nothwendig, erſteres bleibt willkuͤhrlich, oder es hat nichts auf ſich. Wollte man nun die Bedeutung des Wortes Weſen oder weſentlich nicht weiter ausdehnen, ſo wuͤrde es nur da gebraucht werden koͤnnen, wo zugleich auch Modifi- cationen vorkommen, das will ſagen, wo Nothwen- diges und Willkuͤhrliches durchmenget iſt. Da aber des Willkuͤhrlichen bald mehr bald minder ſeyn kann, und uͤberhaupt die Bedeutung der Woͤrter leicht ausgedehnter gemacht wird, ſo hat man ſich auch hiebey nicht ſo genau daran gebunden, ſondern den Begriff des Weſentlichen, welcher eigentlich nur das betrifft, was zu Erfuͤllung vorausgeſetzter Be- dingungen nothwendig iſt, auch auf das ausgedeh- net, wo von Bedingungen die Rede gar nicht vor- koͤmmt. Wo demnach dieſe Vieldeutigkeit Folgen nach ſich ziehen kann, da thut man allerdings beſſer, wenn man die Ausdruͤcke aͤndert, oder die behoͤrigen Beſtimmungen beyfuͤget. Denn da muß man nach dem Unterſchiede der Sache ſelbſt die Auswahl der Worte treffen, die man, um ſie nett auszudruͤcken, gebrauchen ſoll, und nicht ſolche gebrauchen, die we- gen ihrer Vieldeutigkeit verſchiedene Auslegungen und Erklaͤrungen leiden. §. 228. Wir koͤnnen ferner anmerken, daß in demjenigen, was die einfachen Grundbegriffe vorſtellen, nicht mehrere weſentliche Stuͤcke vorkommen. Denn eben das iſt es, was dieſe Begriffe einfach machet, weil ſie ſonſten nothwendig zuſammengeſetzt ſeyn muͤßten, ſo bald in der dadurch vorgeſtellten Sache mehrere weſent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/227
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/227>, abgerufen am 22.11.2024.