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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

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Vorrede.
Erkenntniß von denselben so angezeiget finden,
daß ich hoffen kann, man werde sich künftig, um
sie aufzusuchen, kenntlich zu machen und anzu-
wenden, immer mehr Mühe geben. Man wird
finden, daß ohne diese Begriffe, die metaphysi-
schen Knoten nicht aufgelöset, sondern zerschnit-
ten oder gar noch mehr verwickelt werden.

Den Vorwurf, daß die Ontologie weiter
nichts als ein philosophisches Wörterbuch sey,
habe ich am allerwenigsten zu besorgen. Jch
sehe indessen diesen Vorwurf nicht als eine Be-
schimpfung an. Denn da sehr viele ontologische
Wörter und Sätze selbst im gemeinen Leben vor-
kommen, und diese Wörter in den grammati-
schen Wörterbüchern eben nicht erkläret werden,
so kann ein eigentliches ontologisches Lexicon,
so wie überhaupt ein philosophisches zum Nach-
schlagen
immer gut gebraucht werden. Jndes-
sen soll ein wissenschaftlicher Vortrag der
Grundlehre allerdings mehr als eine bloße Liste
von Definitionen
enthalten. Daran aber feh-
lete es lange Zeit, und sieht man genauer nach,
so findet man selbst auch in neuern Ontologien,
daß kaum irgend ein Hauptstück zu der ihm
eigenen Absicht eingerichtet, und öfters auch
das, wohin es unmittelbar dienen kann und
soll, gar nicht angezeiget ist.
Hingegen wur-
den die meisten Hauptstücke der Ontologie zu
entferntern Absichten eingerichtet, und dadurch
erhielten sie eine etwas fremde Gestalt. Viele

Defini-

Vorrede.
Erkenntniß von denſelben ſo angezeiget finden,
daß ich hoffen kann, man werde ſich kuͤnftig, um
ſie aufzuſuchen, kenntlich zu machen und anzu-
wenden, immer mehr Muͤhe geben. Man wird
finden, daß ohne dieſe Begriffe, die metaphyſi-
ſchen Knoten nicht aufgeloͤſet, ſondern zerſchnit-
ten oder gar noch mehr verwickelt werden.

Den Vorwurf, daß die Ontologie weiter
nichts als ein philoſophiſches Woͤrterbuch ſey,
habe ich am allerwenigſten zu beſorgen. Jch
ſehe indeſſen dieſen Vorwurf nicht als eine Be-
ſchimpfung an. Denn da ſehr viele ontologiſche
Woͤrter und Saͤtze ſelbſt im gemeinen Leben vor-
kommen, und dieſe Woͤrter in den grammati-
ſchen Woͤrterbuͤchern eben nicht erklaͤret werden,
ſo kann ein eigentliches ontologiſches Lexicon,
ſo wie uͤberhaupt ein philoſophiſches zum Nach-
ſchlagen
immer gut gebraucht werden. Jndeſ-
ſen ſoll ein wiſſenſchaftlicher Vortrag der
Grundlehre allerdings mehr als eine bloße Liſte
von Definitionen
enthalten. Daran aber feh-
lete es lange Zeit, und ſieht man genauer nach,
ſo findet man ſelbſt auch in neuern Ontologien,
daß kaum irgend ein Hauptſtuͤck zu der ihm
eigenen Abſicht eingerichtet, und oͤfters auch
das, wohin es unmittelbar dienen kann und
ſoll, gar nicht angezeiget iſt.
Hingegen wur-
den die meiſten Hauptſtuͤcke der Ontologie zu
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erhielten ſie eine etwas fremde Geſtalt. Viele

Defini-
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[VIII/0012] Vorrede. Erkenntniß von denſelben ſo angezeiget finden, daß ich hoffen kann, man werde ſich kuͤnftig, um ſie aufzuſuchen, kenntlich zu machen und anzu- wenden, immer mehr Muͤhe geben. Man wird finden, daß ohne dieſe Begriffe, die metaphyſi- ſchen Knoten nicht aufgeloͤſet, ſondern zerſchnit- ten oder gar noch mehr verwickelt werden. Den Vorwurf, daß die Ontologie weiter nichts als ein philoſophiſches Woͤrterbuch ſey, habe ich am allerwenigſten zu beſorgen. Jch ſehe indeſſen dieſen Vorwurf nicht als eine Be- ſchimpfung an. Denn da ſehr viele ontologiſche Woͤrter und Saͤtze ſelbſt im gemeinen Leben vor- kommen, und dieſe Woͤrter in den grammati- ſchen Woͤrterbuͤchern eben nicht erklaͤret werden, ſo kann ein eigentliches ontologiſches Lexicon, ſo wie uͤberhaupt ein philoſophiſches zum Nach- ſchlagen immer gut gebraucht werden. Jndeſ- ſen ſoll ein wiſſenſchaftlicher Vortrag der Grundlehre allerdings mehr als eine bloße Liſte von Definitionen enthalten. Daran aber feh- lete es lange Zeit, und ſieht man genauer nach, ſo findet man ſelbſt auch in neuern Ontologien, daß kaum irgend ein Hauptſtuͤck zu der ihm eigenen Abſicht eingerichtet, und oͤfters auch das, wohin es unmittelbar dienen kann und ſoll, gar nicht angezeiget iſt. Hingegen wur- den die meiſten Hauptſtuͤcke der Ontologie zu entferntern Abſichten eingerichtet, und dadurch erhielten ſie eine etwas fremde Geſtalt. Viele Defini-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/12>, abgerufen am 23.11.2024.