Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

wurde. Daß aber auch dieses Gedicht, das der Ver-
fasser der Klage vor sich hatte, eine Sammlung mehrerr
Lieder, und insbesondere der Erzähler der Geschichte, die
den eigentlichen Inhalt der Klage ausmacht, von denen
der vorigen Aventüren verschieden war, erhellt daraus,
daß da, wo die Deutsche Sage überhaupt schloß, und der
Ordner unseres Werkes, in dem nie Beziehungen auf spä-
tere Begebenheiten genommen werden, uns sagt:
Ine kan u niht bescheiden, waz sider do geschach,
jene andere Sammlung, wie schon gezeigt worden, eben-
falls einen Schluß hatte, und der Verfasser der Aventüre
von der Klage sich auf Umstände bezog, die der Dichter
des Mähres von der Klage nicht fand, wie die Schlacht,
welche Hagen den Baiern lieferte, und das Verbrennen des
Saales.

27.

Nun wird es, um unseren Beweis ganz vollstän-
dig zu führen, nur noch nöthig sein, daß wir auch die
erste Hälfte unseres Gedichtes durchgehen, damit sich zeige,
ob auch diese aus mehreren Liedern zusammengefügt oder
von einem Dichter in der gegenwärtigen Gestalt verfaßt
sei. Dabei muß denn vorausgesagt werden, daß bei dem
Abgange eines Gedichts, das in eben so nahem Verhält-
nisse zu dem ersten Theile, wie die Klage zu dem zweiten,
stände, hier diese Seite der Untersuchung ganz verschwinden
und deshalb auch ohne Zweifel Manches völlig im Dunkeln
bleiben muß. Dagegen zeigt aber hier sich überall we-
niger Ausgebildetes und ein strengeres Beibehalten der al-
ten Form; weshalb in diesem Theile auch auf anschei-
nend kleine Punkte weit mehr gebaut und vielleicht sogar

E 2

wurde. Daß aber auch dieſes Gedicht, das der Ver-
faſſer der Klage vor ſich hatte, eine Sammlung mehrerr
Lieder, und insbeſondere der Erzähler der Geſchichte, die
den eigentlichen Inhalt der Klage ausmacht, von denen
der vorigen Aventüren verſchieden war, erhellt daraus,
daß da, wo die Deutſche Sage überhaupt ſchloß, und der
Ordner unſeres Werkes, in dem nie Beziehungen auf ſpä-
tere Begebenheiten genommen werden, uns ſagt:
Ine kan u̓ niht beſcheiden, waz ſider do geſchach,
jene andere Sammlung, wie ſchon gezeigt worden, eben-
falls einen Schluß hatte, und der Verfaſſer der Aventüre
von der Klage ſich auf Umſtände bezog, die der Dichter
des Mähres von der Klage nicht fand, wie die Schlacht,
welche Hagen den Baiern lieferte, und das Verbrennen des
Saales.

27.

Nun wird es, um unſeren Beweis ganz vollſtän-
dig zu führen, nur noch nöthig ſein, daß wir auch die
erſte Hälfte unſeres Gedichtes durchgehen, damit ſich zeige,
ob auch dieſe aus mehreren Liedern zuſammengefügt oder
von einem Dichter in der gegenwärtigen Geſtalt verfaßt
ſei. Dabei muß denn vorausgeſagt werden, daß bei dem
Abgange eines Gedichts, das in eben ſo nahem Verhält-
niſſe zu dem erſten Theile, wie die Klage zu dem zweiten,
ſtände, hier dieſe Seite der Unterſuchung ganz verſchwinden
und deshalb auch ohne Zweifel Manches völlig im Dunkeln
bleiben muß. Dagegen zeigt aber hier ſich überall we-
niger Ausgebildetes und ein ſtrengeres Beibehalten der al-
ten Form; weshalb in dieſem Theile auch auf anſchei-
nend kleine Punkte weit mehr gebaut und vielleicht ſogar

E 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0075" n="67"/>
wurde. Daß aber auch die&#x017F;es Gedicht, das der Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;er der Klage vor &#x017F;ich hatte, eine Sammlung mehrerr<lb/>
Lieder, und insbe&#x017F;ondere der Erzähler der Ge&#x017F;chichte, die<lb/>
den eigentlichen Inhalt der Klage ausmacht, von denen<lb/>
der vorigen Aventüren ver&#x017F;chieden war, erhellt daraus,<lb/>
daß da, wo die Deut&#x017F;che Sage überhaupt &#x017F;chloß, und der<lb/>
Ordner un&#x017F;eres Werkes, in dem nie Beziehungen auf &#x017F;pä-<lb/>
tere Begebenheiten genommen werden, uns &#x017F;agt:<lb/><quote rendition="#et" xml:lang="gmh">Ine kan u&#x0313; niht be&#x017F;cheiden, waz &#x017F;ider do ge&#x017F;chach,</quote><lb/>
jene andere Sammlung, wie &#x017F;chon gezeigt worden, eben-<lb/>
falls einen Schluß hatte, und der Verfa&#x017F;&#x017F;er der Aventüre<lb/>
von der Klage &#x017F;ich auf Um&#x017F;tände bezog, die der Dichter<lb/>
des Mähres von der Klage nicht fand, wie die Schlacht,<lb/>
welche Hagen den Baiern lieferte, und das Verbrennen des<lb/>
Saales.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>27.</head><lb/>
        <p>Nun wird es, um un&#x017F;eren Beweis ganz voll&#x017F;tän-<lb/>
dig zu führen, nur noch nöthig &#x017F;ein, daß wir auch die<lb/>
er&#x017F;te Hälfte un&#x017F;eres Gedichtes durchgehen, damit &#x017F;ich zeige,<lb/>
ob auch die&#x017F;e aus mehreren Liedern zu&#x017F;ammengefügt oder<lb/>
von einem Dichter in der gegenwärtigen Ge&#x017F;talt verfaßt<lb/>
&#x017F;ei. Dabei muß denn vorausge&#x017F;agt werden, daß bei dem<lb/>
Abgange eines Gedichts, das in eben &#x017F;o nahem Verhält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e zu dem er&#x017F;ten Theile, wie die Klage zu dem zweiten,<lb/>
&#x017F;tände, hier die&#x017F;e Seite der Unter&#x017F;uchung ganz ver&#x017F;chwinden<lb/>
und deshalb auch ohne Zweifel Manches völlig im Dunkeln<lb/>
bleiben muß. Dagegen zeigt aber hier &#x017F;ich überall we-<lb/>
niger Ausgebildetes und ein &#x017F;trengeres Beibehalten der al-<lb/>
ten Form; weshalb in die&#x017F;em Theile auch auf an&#x017F;chei-<lb/>
nend kleine Punkte weit mehr gebaut und vielleicht &#x017F;ogar<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0075] wurde. Daß aber auch dieſes Gedicht, das der Ver- faſſer der Klage vor ſich hatte, eine Sammlung mehrerr Lieder, und insbeſondere der Erzähler der Geſchichte, die den eigentlichen Inhalt der Klage ausmacht, von denen der vorigen Aventüren verſchieden war, erhellt daraus, daß da, wo die Deutſche Sage überhaupt ſchloß, und der Ordner unſeres Werkes, in dem nie Beziehungen auf ſpä- tere Begebenheiten genommen werden, uns ſagt: Ine kan u̓ niht beſcheiden, waz ſider do geſchach, jene andere Sammlung, wie ſchon gezeigt worden, eben- falls einen Schluß hatte, und der Verfaſſer der Aventüre von der Klage ſich auf Umſtände bezog, die der Dichter des Mähres von der Klage nicht fand, wie die Schlacht, welche Hagen den Baiern lieferte, und das Verbrennen des Saales. 27. Nun wird es, um unſeren Beweis ganz vollſtän- dig zu führen, nur noch nöthig ſein, daß wir auch die erſte Hälfte unſeres Gedichtes durchgehen, damit ſich zeige, ob auch dieſe aus mehreren Liedern zuſammengefügt oder von einem Dichter in der gegenwärtigen Geſtalt verfaßt ſei. Dabei muß denn vorausgeſagt werden, daß bei dem Abgange eines Gedichts, das in eben ſo nahem Verhält- niſſe zu dem erſten Theile, wie die Klage zu dem zweiten, ſtände, hier dieſe Seite der Unterſuchung ganz verſchwinden und deshalb auch ohne Zweifel Manches völlig im Dunkeln bleiben muß. Dagegen zeigt aber hier ſich überall we- niger Ausgebildetes und ein ſtrengeres Beibehalten der al- ten Form; weshalb in dieſem Theile auch auf anſchei- nend kleine Punkte weit mehr gebaut und vielleicht ſogar E 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/75
Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/75>, abgerufen am 23.11.2024.