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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 98. Die Gerichtsbarkeit der Einzelstaaten.
ihm untergeordneten Staaten Maaß und Ziel setzen, sondern die
Einzelstaaten würden befugt sein zu bestimmen, ob sie die Gerichts-
barkeit in der Revisionsinstanz selbst ausüben oder dem Reich zu-
weisen wollen; die Zuständigkeit des Reichsgerichts in bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten wäre nur eine subsidiäre, durch den that-
sächlichen Verzicht der einzelnen Staaten auf Errichtung eines
obersten Landesgerichts bedingte. In Wirklichkeit verhält sich dies
glücklicher Weise anders. Zunächst hat das Reichsges. v. 11. April
1877 über den Sitz des Reichsgerichts (R.G.Bl. S. 415) die An-
wendung dieser Rechtsvorschrift auf das Königreich Sachsen, in
dessen Gebiet das Reichsgericht seinen Sitz erhalten hat, ausge-
schlossen und Sachsen hat in Folge dessen nur ein Oberlandes-
gericht errichtet. Ebenso haben Württemberg und Baden sich mit
der Errichtung je eines Oberlandesgerichts begnügt und in den
kleineren Staaten war die Etablirung von mehr als einem Ober-
landesgericht von selbst thatsächlich ausgeschlossen. Es bleiben
daher nur zwei Staaten übrig, in welchen die im angef. Gesetz
aufgestellte Voraussetzung des Nebeneinanderbestehens mehrerer
Oberlandesgerichte thatsächlich verwirklicht ist, nämlich Preußen
und Bayern. Preußen hat darauf verzichtet, von der im §. 8 cit.
ihm eingeräumten Befugniß Gebrauch zu machen; der einzige
Deutsche Staat, in welchem dieser Artikel praktische Bedeutung
erlangt hat, ist demnach Bayern, welches durch Landesgesetz
v. 23. Februar 1879 1) Art. 42 ff. ein oberstes Landesgericht in
München errichtet hat.

In Wahrheit ist daher §. 8 cit. Nichts Anderes als die auf
fast allen Gebieten des Reichsstaatsrechts wiederkehrende clausula
baiuvarica,
die Anerkennung eines Sonderrechts Bayerns, nur daß
es in diesem Falle nicht wie sonst mit klaren Worten, sondern in
sonderbarer Verhüllung Ausdruck gefunden hat 2).


1) Gesetz- u. Verordnungsbl. 1879 S. 273 ff.
2) Insbesondere bemühen sich die Motive zum Gerichtsverf.Ges. S. 24. 25
(Hahn S. 42) durch viele Redensarten die wahre Tendenz des §. 8 zu ver-
decken. Treffender sind die Gründe für denselben entwickelt von dem Bayer.
Justizminister v. Fäustle in der ersten Berathung im Plenum des Reichs-
tages. Stenogr. Berichte 1874 S. 319 ff. (Hahn S. 260) und besonders in
den Verhandlungen der Reichstagskommission Protok. I. Les. S. 451 ff. (Hahn
S. 659). Die sachlichen Gründe, durch welche die Bestimmung gerechtfertigt

§. 98. Die Gerichtsbarkeit der Einzelſtaaten.
ihm untergeordneten Staaten Maaß und Ziel ſetzen, ſondern die
Einzelſtaaten würden befugt ſein zu beſtimmen, ob ſie die Gerichts-
barkeit in der Reviſionsinſtanz ſelbſt ausüben oder dem Reich zu-
weiſen wollen; die Zuſtändigkeit des Reichsgerichts in bürgerlichen
Rechtsſtreitigkeiten wäre nur eine ſubſidiäre, durch den that-
ſächlichen Verzicht der einzelnen Staaten auf Errichtung eines
oberſten Landesgerichts bedingte. In Wirklichkeit verhält ſich dies
glücklicher Weiſe anders. Zunächſt hat das Reichsgeſ. v. 11. April
1877 über den Sitz des Reichsgerichts (R.G.Bl. S. 415) die An-
wendung dieſer Rechtsvorſchrift auf das Königreich Sachſen, in
deſſen Gebiet das Reichsgericht ſeinen Sitz erhalten hat, ausge-
ſchloſſen und Sachſen hat in Folge deſſen nur ein Oberlandes-
gericht errichtet. Ebenſo haben Württemberg und Baden ſich mit
der Errichtung je eines Oberlandesgerichts begnügt und in den
kleineren Staaten war die Etablirung von mehr als einem Ober-
landesgericht von ſelbſt thatſächlich ausgeſchloſſen. Es bleiben
daher nur zwei Staaten übrig, in welchen die im angef. Geſetz
aufgeſtellte Vorausſetzung des Nebeneinanderbeſtehens mehrerer
Oberlandesgerichte thatſächlich verwirklicht iſt, nämlich Preußen
und Bayern. Preußen hat darauf verzichtet, von der im §. 8 cit.
ihm eingeräumten Befugniß Gebrauch zu machen; der einzige
Deutſche Staat, in welchem dieſer Artikel praktiſche Bedeutung
erlangt hat, iſt demnach Bayern, welches durch Landesgeſetz
v. 23. Februar 1879 1) Art. 42 ff. ein oberſtes Landesgericht in
München errichtet hat.

In Wahrheit iſt daher §. 8 cit. Nichts Anderes als die auf
faſt allen Gebieten des Reichsſtaatsrechts wiederkehrende clausula
baiuvarica,
die Anerkennung eines Sonderrechts Bayerns, nur daß
es in dieſem Falle nicht wie ſonſt mit klaren Worten, ſondern in
ſonderbarer Verhüllung Ausdruck gefunden hat 2).


1) Geſetz- u. Verordnungsbl. 1879 S. 273 ff.
2) Insbeſondere bemühen ſich die Motive zum Gerichtsverf.Geſ. S. 24. 25
(Hahn S. 42) durch viele Redensarten die wahre Tendenz des §. 8 zu ver-
decken. Treffender ſind die Gründe für denſelben entwickelt von dem Bayer.
Juſtizminiſter v. Fäuſtle in der erſten Berathung im Plenum des Reichs-
tages. Stenogr. Berichte 1874 S. 319 ff. (Hahn S. 260) und beſonders in
den Verhandlungen der Reichstagskommiſſion Protok. I. Leſ. S. 451 ff. (Hahn
S. 659). Die ſachlichen Gründe, durch welche die Beſtimmung gerechtfertigt
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[50/0060] §. 98. Die Gerichtsbarkeit der Einzelſtaaten. ihm untergeordneten Staaten Maaß und Ziel ſetzen, ſondern die Einzelſtaaten würden befugt ſein zu beſtimmen, ob ſie die Gerichts- barkeit in der Reviſionsinſtanz ſelbſt ausüben oder dem Reich zu- weiſen wollen; die Zuſtändigkeit des Reichsgerichts in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten wäre nur eine ſubſidiäre, durch den that- ſächlichen Verzicht der einzelnen Staaten auf Errichtung eines oberſten Landesgerichts bedingte. In Wirklichkeit verhält ſich dies glücklicher Weiſe anders. Zunächſt hat das Reichsgeſ. v. 11. April 1877 über den Sitz des Reichsgerichts (R.G.Bl. S. 415) die An- wendung dieſer Rechtsvorſchrift auf das Königreich Sachſen, in deſſen Gebiet das Reichsgericht ſeinen Sitz erhalten hat, ausge- ſchloſſen und Sachſen hat in Folge deſſen nur ein Oberlandes- gericht errichtet. Ebenſo haben Württemberg und Baden ſich mit der Errichtung je eines Oberlandesgerichts begnügt und in den kleineren Staaten war die Etablirung von mehr als einem Ober- landesgericht von ſelbſt thatſächlich ausgeſchloſſen. Es bleiben daher nur zwei Staaten übrig, in welchen die im angef. Geſetz aufgeſtellte Vorausſetzung des Nebeneinanderbeſtehens mehrerer Oberlandesgerichte thatſächlich verwirklicht iſt, nämlich Preußen und Bayern. Preußen hat darauf verzichtet, von der im §. 8 cit. ihm eingeräumten Befugniß Gebrauch zu machen; der einzige Deutſche Staat, in welchem dieſer Artikel praktiſche Bedeutung erlangt hat, iſt demnach Bayern, welches durch Landesgeſetz v. 23. Februar 1879 1) Art. 42 ff. ein oberſtes Landesgericht in München errichtet hat. In Wahrheit iſt daher §. 8 cit. Nichts Anderes als die auf faſt allen Gebieten des Reichsſtaatsrechts wiederkehrende clausula baiuvarica, die Anerkennung eines Sonderrechts Bayerns, nur daß es in dieſem Falle nicht wie ſonſt mit klaren Worten, ſondern in ſonderbarer Verhüllung Ausdruck gefunden hat 2). 1) Geſetz- u. Verordnungsbl. 1879 S. 273 ff. 2) Insbeſondere bemühen ſich die Motive zum Gerichtsverf.Geſ. S. 24. 25 (Hahn S. 42) durch viele Redensarten die wahre Tendenz des §. 8 zu ver- decken. Treffender ſind die Gründe für denſelben entwickelt von dem Bayer. Juſtizminiſter v. Fäuſtle in der erſten Berathung im Plenum des Reichs- tages. Stenogr. Berichte 1874 S. 319 ff. (Hahn S. 260) und beſonders in den Verhandlungen der Reichstagskommiſſion Protok. I. Leſ. S. 451 ff. (Hahn S. 659). Die ſachlichen Gründe, durch welche die Beſtimmung gerechtfertigt

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/60>, abgerufen am 24.11.2024.