Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.§. 97. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit. der Umstände des Falls festgestellt werden 1). Diese Feststellungkann nicht ersetzt werden durch Schiedsspruch oder Anerkenntnis; sie erfolgt nicht um einen Streit zu schlichten; sie ist auch nicht bloß im Interesse des Angeschuldigten eingeführt, sondern sie soll den Staat selbst vor dem Mißbrauch seiner Staatsgewalt schützen und ihm eine Garantie gewähren, daß diese Gewalt nach den Ge- boten der Gerechtigkeit gehandhabt werde. Die Strafgerichtsbar- keit fällt daher staatsrechtlich mit der Strafgewalt selbst zusammen; der Strafprozeß ist gleichsam der Weg, den die letztere in jedem einzelnen Anwendungsfall zu durchlaufen hat 2). Während die Verurtheilung im Civilprozeß die Gewährung eines Antrages auf Entfaltung der Staatsgewalt ist, bedeutet die Verurtheilung im Strafprozeß die Erfüllung einer Bedingung (Voraus- setzung), an welche der Staat selbst die Ausübung seiner eigenen Gewalt gebunden hat 3). 2. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit beschränkt sich auf 1) Sowie das Urtheil im Civilprozeß das Recht in concreto feststellt und sanctionirt, so wird dem Staat und dem Angeklagten durch das strafprozessua- lische Urtheil das Strafrecht in concreto gefunden. Hierauf beruht das gemeinsame Moment des Civil- und Strafprozesses und die Zusammenfassung beider zum Begriff "der streitigen Gerichtsbarkeit." Einen anderen Weg, um das gemeinsame begriffliche Merkmal der Civil- und Straf- gerichtsbarkeit zu bestimmen, schlägt Regelsberger ein in Pözl's Kritischer Vierteljahresschrift Bd. IV. (1862) S. 52 ff. bes. S. 65 ff., dem im Wesent- lichen v. Gerber, Grundzüge §. 55 zustimmt, den ich aber nicht für rich- tig halte. 2) In dem Urtheil des Reichsgerichts (III. Strafsenat) v. 11. Juni 1881 (Entsch. in Strafsachen Bd. IV. S. 355 ff.) heißt es: "Die Auf- gabe des Strafprocesses in jedem konkreten Falle besteht darin, zu ermitteln und festzustellen, ob gegen den Angeklagten der Beweis einer strafrechtlichen Schuld geführt worden sei." Dies ist zu eng; der Strafprozeß ist in keinem Falle ein bloßes Beweisverfahren und sein Endziel ist nicht die Feststellung der Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten, sondern die Verhängung einer Strafe oder die Freisprechung von derselben. 3) Im Gegensatz hierzu beruht die Darstellung des Deutschen Strafver-
fahrens von Planck (Göttingen 1857) auf der Anschauung, "daß die Pflicht des Verbrechers, sich der Strafe zu unterwerfen, den Gegenstand des Straf- verfahrens bildet" und daß durch "die öffentliche Klage der Staat sein Recht auf Strafe" gegen den Verbrecher gerichtlich geltend mache. S. 118 a. a. O. §. 97. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit. der Umſtände des Falls feſtgeſtellt werden 1). Dieſe Feſtſtellungkann nicht erſetzt werden durch Schiedsſpruch oder Anerkenntnis; ſie erfolgt nicht um einen Streit zu ſchlichten; ſie iſt auch nicht bloß im Intereſſe des Angeſchuldigten eingeführt, ſondern ſie ſoll den Staat ſelbſt vor dem Mißbrauch ſeiner Staatsgewalt ſchützen und ihm eine Garantie gewähren, daß dieſe Gewalt nach den Ge- boten der Gerechtigkeit gehandhabt werde. Die Strafgerichtsbar- keit fällt daher ſtaatsrechtlich mit der Strafgewalt ſelbſt zuſammen; der Strafprozeß iſt gleichſam der Weg, den die letztere in jedem einzelnen Anwendungsfall zu durchlaufen hat 2). Während die Verurtheilung im Civilprozeß die Gewährung eines Antrages auf Entfaltung der Staatsgewalt iſt, bedeutet die Verurtheilung im Strafprozeß die Erfüllung einer Bedingung (Voraus- ſetzung), an welche der Staat ſelbſt die Ausübung ſeiner eigenen Gewalt gebunden hat 3). 2. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit beſchränkt ſich auf 1) Sowie das Urtheil im Civilprozeß das Recht in concreto feſtſtellt und ſanctionirt, ſo wird dem Staat und dem Angeklagten durch das ſtrafprozeſſua- liſche Urtheil das Strafrecht in concreto gefunden. Hierauf beruht das gemeinſame Moment des Civil- und Strafprozeſſes und die Zuſammenfaſſung beider zum Begriff „der ſtreitigen Gerichtsbarkeit.“ Einen anderen Weg, um das gemeinſame begriffliche Merkmal der Civil- und Straf- gerichtsbarkeit zu beſtimmen, ſchlägt Regelsberger ein in Pözl’s Kritiſcher Vierteljahresſchrift Bd. IV. (1862) S. 52 ff. beſ. S. 65 ff., dem im Weſent- lichen v. Gerber, Grundzüge §. 55 zuſtimmt, den ich aber nicht für rich- tig halte. 2) In dem Urtheil des Reichsgerichts (III. Strafſenat) v. 11. Juni 1881 (Entſch. in Strafſachen Bd. IV. S. 355 ff.) heißt es: „Die Auf- gabe des Strafproceſſes in jedem konkreten Falle beſteht darin, zu ermitteln und feſtzuſtellen, ob gegen den Angeklagten der Beweis einer ſtrafrechtlichen Schuld geführt worden ſei.“ Dies iſt zu eng; der Strafprozeß iſt in keinem Falle ein bloßes Beweisverfahren und ſein Endziel iſt nicht die Feſtſtellung der Schuld oder Nichtſchuld des Angeklagten, ſondern die Verhängung einer Strafe oder die Freiſprechung von derſelben. 3) Im Gegenſatz hierzu beruht die Darſtellung des Deutſchen Strafver-
fahrens von Planck (Göttingen 1857) auf der Anſchauung, „daß die Pflicht des Verbrechers, ſich der Strafe zu unterwerfen, den Gegenſtand des Straf- verfahrens bildet“ und daß durch „die öffentliche Klage der Staat ſein Recht auf Strafe“ gegen den Verbrecher gerichtlich geltend mache. S. 118 a. a. O. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0038" n="28"/><fw place="top" type="header">§. 97. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit.</fw><lb/> der Umſtände des Falls feſtgeſtellt werden <note place="foot" n="1)">Sowie das Urtheil im Civilprozeß das Recht <hi rendition="#aq">in concreto</hi> feſtſtellt und<lb/> ſanctionirt, ſo wird dem Staat und dem Angeklagten durch das ſtrafprozeſſua-<lb/> liſche Urtheil das Strafrecht <hi rendition="#aq">in concreto</hi> gefunden. <hi rendition="#g">Hierauf beruht das<lb/> gemeinſame Moment des Civil- und Strafprozeſſes</hi> und<lb/> die Zuſammenfaſſung beider zum Begriff „der ſtreitigen Gerichtsbarkeit.“ Einen<lb/> anderen Weg, um das gemeinſame begriffliche Merkmal der Civil- und Straf-<lb/> gerichtsbarkeit zu beſtimmen, ſchlägt <hi rendition="#g">Regelsberger</hi> ein in Pözl’s Kritiſcher<lb/> Vierteljahresſchrift Bd. <hi rendition="#aq">IV.</hi> (1862) S. 52 ff. beſ. S. 65 ff., dem im Weſent-<lb/> lichen v. <hi rendition="#g">Gerber</hi>, Grundzüge §. 55 zuſtimmt, den ich aber nicht für rich-<lb/> tig halte.</note>. Dieſe Feſtſtellung<lb/> kann <hi rendition="#g">nicht</hi> erſetzt werden durch Schiedsſpruch oder Anerkenntnis;<lb/> ſie erfolgt <hi rendition="#g">nicht</hi> um einen Streit zu ſchlichten; ſie iſt auch <hi rendition="#g">nicht</hi><lb/> bloß im Intereſſe des Angeſchuldigten eingeführt, ſondern ſie ſoll<lb/> den <hi rendition="#g"><choice><sic>Staatſelbſt</sic><corr>Staat ſelbſt</corr></choice></hi> vor dem Mißbrauch ſeiner Staatsgewalt ſchützen<lb/> und ihm eine Garantie gewähren, daß dieſe Gewalt nach den Ge-<lb/> boten der Gerechtigkeit gehandhabt werde. Die Strafgerichtsbar-<lb/> keit fällt daher ſtaatsrechtlich mit der Strafgewalt ſelbſt zuſammen;<lb/> der Strafprozeß iſt gleichſam der Weg, den die letztere in jedem<lb/> einzelnen Anwendungsfall zu durchlaufen hat <note place="foot" n="2)">In dem <hi rendition="#g">Urtheil des Reichsgerichts</hi> (<hi rendition="#aq">III.</hi> Strafſenat) v. 11.<lb/> Juni 1881 (Entſch. in Strafſachen Bd. <hi rendition="#aq">IV.</hi> S. 355 ff.) heißt es: „Die Auf-<lb/> gabe des Strafproceſſes in jedem konkreten Falle beſteht darin, zu ermitteln<lb/> und feſtzuſtellen, ob gegen den Angeklagten <hi rendition="#g">der Beweis</hi> einer ſtrafrechtlichen<lb/><hi rendition="#g">Schuld</hi> geführt worden ſei.“ Dies iſt zu eng; der Strafprozeß iſt in keinem<lb/> Falle ein bloßes <hi rendition="#g">Beweis</hi>verfahren und ſein Endziel iſt nicht die Feſtſtellung<lb/> der <hi rendition="#g">Schuld</hi> oder Nichtſchuld des Angeklagten, ſondern die Verhängung einer<lb/><hi rendition="#g">Strafe</hi> oder die Freiſprechung von derſelben.</note>. Während die<lb/> Verurtheilung im Civilprozeß die <hi rendition="#g">Gewährung</hi> eines Antrages<lb/> auf Entfaltung der Staatsgewalt iſt, bedeutet die Verurtheilung<lb/> im Strafprozeß die <hi rendition="#g">Erfüllung einer Bedingung</hi> (Voraus-<lb/> ſetzung), an welche der Staat ſelbſt die Ausübung ſeiner eigenen<lb/> Gewalt gebunden hat <note place="foot" n="3)">Im Gegenſatz hierzu beruht die Darſtellung des Deutſchen Strafver-<lb/> fahrens von <hi rendition="#g">Planck</hi> (Göttingen 1857) auf der Anſchauung, „daß die Pflicht<lb/> des Verbrechers, ſich der Strafe zu unterwerfen, den Gegenſtand des Straf-<lb/> verfahrens bildet“ und daß durch „die öffentliche Klage der Staat ſein Recht<lb/> auf Strafe“ gegen den Verbrecher gerichtlich geltend mache. S. 118 a. a. O.</note>.</p><lb/> <p>2. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit beſchränkt ſich <hi rendition="#g">auf<lb/> bürgerliche Rechtsſtreitigkeiten</hi> und auf <hi rendition="#g">Straf-</hi><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [28/0038]
§. 97. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit.
der Umſtände des Falls feſtgeſtellt werden 1). Dieſe Feſtſtellung
kann nicht erſetzt werden durch Schiedsſpruch oder Anerkenntnis;
ſie erfolgt nicht um einen Streit zu ſchlichten; ſie iſt auch nicht
bloß im Intereſſe des Angeſchuldigten eingeführt, ſondern ſie ſoll
den Staat ſelbſt vor dem Mißbrauch ſeiner Staatsgewalt ſchützen
und ihm eine Garantie gewähren, daß dieſe Gewalt nach den Ge-
boten der Gerechtigkeit gehandhabt werde. Die Strafgerichtsbar-
keit fällt daher ſtaatsrechtlich mit der Strafgewalt ſelbſt zuſammen;
der Strafprozeß iſt gleichſam der Weg, den die letztere in jedem
einzelnen Anwendungsfall zu durchlaufen hat 2). Während die
Verurtheilung im Civilprozeß die Gewährung eines Antrages
auf Entfaltung der Staatsgewalt iſt, bedeutet die Verurtheilung
im Strafprozeß die Erfüllung einer Bedingung (Voraus-
ſetzung), an welche der Staat ſelbſt die Ausübung ſeiner eigenen
Gewalt gebunden hat 3).
2. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit beſchränkt ſich auf
bürgerliche Rechtsſtreitigkeiten und auf Straf-
1) Sowie das Urtheil im Civilprozeß das Recht in concreto feſtſtellt und
ſanctionirt, ſo wird dem Staat und dem Angeklagten durch das ſtrafprozeſſua-
liſche Urtheil das Strafrecht in concreto gefunden. Hierauf beruht das
gemeinſame Moment des Civil- und Strafprozeſſes und
die Zuſammenfaſſung beider zum Begriff „der ſtreitigen Gerichtsbarkeit.“ Einen
anderen Weg, um das gemeinſame begriffliche Merkmal der Civil- und Straf-
gerichtsbarkeit zu beſtimmen, ſchlägt Regelsberger ein in Pözl’s Kritiſcher
Vierteljahresſchrift Bd. IV. (1862) S. 52 ff. beſ. S. 65 ff., dem im Weſent-
lichen v. Gerber, Grundzüge §. 55 zuſtimmt, den ich aber nicht für rich-
tig halte.
2) In dem Urtheil des Reichsgerichts (III. Strafſenat) v. 11.
Juni 1881 (Entſch. in Strafſachen Bd. IV. S. 355 ff.) heißt es: „Die Auf-
gabe des Strafproceſſes in jedem konkreten Falle beſteht darin, zu ermitteln
und feſtzuſtellen, ob gegen den Angeklagten der Beweis einer ſtrafrechtlichen
Schuld geführt worden ſei.“ Dies iſt zu eng; der Strafprozeß iſt in keinem
Falle ein bloßes Beweisverfahren und ſein Endziel iſt nicht die Feſtſtellung
der Schuld oder Nichtſchuld des Angeklagten, ſondern die Verhängung einer
Strafe oder die Freiſprechung von derſelben.
3) Im Gegenſatz hierzu beruht die Darſtellung des Deutſchen Strafver-
fahrens von Planck (Göttingen 1857) auf der Anſchauung, „daß die Pflicht
des Verbrechers, ſich der Strafe zu unterwerfen, den Gegenſtand des Straf-
verfahrens bildet“ und daß durch „die öffentliche Klage der Staat ſein Recht
auf Strafe“ gegen den Verbrecher gerichtlich geltend mache. S. 118 a. a. O.
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