Von diesen Gesichtspunkten aus ist die folgende Darstellung unternommen. Freilich ist eine völlig scharfe Trennung der pro- zessualischen und der staatsrechtlichen Sätze über die Gerichtsbarkeit kaum möglich; bei vielen Punkten kann man zweifelhaft sein, ob sie dem einen oder andern Gebiete zuzuweisen seien. Auch die hier folgende Darstellung hätte sich noch auf manche andere Lehre erstrecken und dafür vielleicht den einen oder anderen Punkt über- gehen können; ich bin in dieser Hinsicht auf tadelnde Urtheile ge- faßt; aber der Versuch mußte einmal gewagt werden, auf diesem Gebiete die Gränzen des Deutschen Staatsrechts richtiger als es bisher geschehen ist und als es bisher wol auch möglich war, zu bestimmen.
Nur einen Punkt möchte ich hier, um Mißverständnissen vor- zubeugen, noch besonders hervorheben. Die Zwangsmittel gegen die Parteien, welche der Staatsgewalt gesetzlich zu Gebote stehen, um im gerichtlichen Verfahren die materielle Wahrheit zu ermitteln und um das Urtheil zu vollstrecken, bieten zwar unzweifelhaft auch eine Seite für die staatsrechtliche Betrachtung dar; hier fallen aber die Regeln über die Voraussetzungen, den Umfang und die Formen der Geltendmachung fast vollständig mit den Regeln über das Prozeß-Verfahren zusammen. Ein näheres Eingehen auf diese Materien würde daher in der That dazu nöthigen, sehr umfang- reiche Partien des Straf- und Civilprozeßrechts hier aufzunehmen, die, aus dem Zusammenhange mit den übrigen Lehren des Pro- zeßrechts gerissen, des wissenschaftlichen Interesses ermangeln. Hier- hin gehören im Strafprozeß die Befugnisse der Gerichte und an- deren bei der Strafverfolgung mitwirkenden Behörden zur Beschlag- nahme, zur Durchsuchung, zur Verhaftung und vorläufigen Fest- nahme, zur Vorführung des Beschuldigten, sowie die gesammte Lehre von der Strafvollstreckung; im Civilprozeß der Zwang zum persönlichen Erscheinen der Parteien in Ehesachen 1) und im Kon- kurse 2), die Editionspflicht 3) und ebenfalls die gesammte Lehre
1) Civilproz.O. §. 579.
2) Konk.Ordn. §. 93. 98.
3) Civilproz.O. §. 387 ff. 394 ff. Im Falle der §§. 133 u. 134 der Civilproz.O. handelt es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Pflicht, sondern um ein Beweisrecht der Partei; die Nichtbefolgung der gerichtlichen
Laband, Reichsstaatsrecht. III. 2. 2
§. 96. Einleitung.
Von dieſen Geſichtspunkten aus iſt die folgende Darſtellung unternommen. Freilich iſt eine völlig ſcharfe Trennung der pro- zeſſualiſchen und der ſtaatsrechtlichen Sätze über die Gerichtsbarkeit kaum möglich; bei vielen Punkten kann man zweifelhaft ſein, ob ſie dem einen oder andern Gebiete zuzuweiſen ſeien. Auch die hier folgende Darſtellung hätte ſich noch auf manche andere Lehre erſtrecken und dafür vielleicht den einen oder anderen Punkt über- gehen können; ich bin in dieſer Hinſicht auf tadelnde Urtheile ge- faßt; aber der Verſuch mußte einmal gewagt werden, auf dieſem Gebiete die Gränzen des Deutſchen Staatsrechts richtiger als es bisher geſchehen iſt und als es bisher wol auch möglich war, zu beſtimmen.
Nur einen Punkt möchte ich hier, um Mißverſtändniſſen vor- zubeugen, noch beſonders hervorheben. Die Zwangsmittel gegen die Parteien, welche der Staatsgewalt geſetzlich zu Gebote ſtehen, um im gerichtlichen Verfahren die materielle Wahrheit zu ermitteln und um das Urtheil zu vollſtrecken, bieten zwar unzweifelhaft auch eine Seite für die ſtaatsrechtliche Betrachtung dar; hier fallen aber die Regeln über die Vorausſetzungen, den Umfang und die Formen der Geltendmachung faſt vollſtändig mit den Regeln über das Prozeß-Verfahren zuſammen. Ein näheres Eingehen auf dieſe Materien würde daher in der That dazu nöthigen, ſehr umfang- reiche Partien des Straf- und Civilprozeßrechts hier aufzunehmen, die, aus dem Zuſammenhange mit den übrigen Lehren des Pro- zeßrechts geriſſen, des wiſſenſchaftlichen Intereſſes ermangeln. Hier- hin gehören im Strafprozeß die Befugniſſe der Gerichte und an- deren bei der Strafverfolgung mitwirkenden Behörden zur Beſchlag- nahme, zur Durchſuchung, zur Verhaftung und vorläufigen Feſt- nahme, zur Vorführung des Beſchuldigten, ſowie die geſammte Lehre von der Strafvollſtreckung; im Civilprozeß der Zwang zum perſönlichen Erſcheinen der Parteien in Eheſachen 1) und im Kon- kurſe 2), die Editionspflicht 3) und ebenfalls die geſammte Lehre
1) Civilproz.O. §. 579.
2) Konk.Ordn. §. 93. 98.
3) Civilproz.O. §. 387 ff. 394 ff. Im Falle der §§. 133 u. 134 der Civilproz.O. handelt es ſich nicht um eine öffentlich-rechtliche Pflicht, ſondern um ein Beweisrecht der Partei; die Nichtbefolgung der gerichtlichen
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 2. 2
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§. 96. Einleitung.
Von dieſen Geſichtspunkten aus iſt die folgende Darſtellung
unternommen. Freilich iſt eine völlig ſcharfe Trennung der pro-
zeſſualiſchen und der ſtaatsrechtlichen Sätze über die Gerichtsbarkeit
kaum möglich; bei vielen Punkten kann man zweifelhaft ſein, ob
ſie dem einen oder andern Gebiete zuzuweiſen ſeien. Auch die
hier folgende Darſtellung hätte ſich noch auf manche andere Lehre
erſtrecken und dafür vielleicht den einen oder anderen Punkt über-
gehen können; ich bin in dieſer Hinſicht auf tadelnde Urtheile ge-
faßt; aber der Verſuch mußte einmal gewagt werden, auf dieſem
Gebiete die Gränzen des Deutſchen Staatsrechts richtiger als es
bisher geſchehen iſt und als es bisher wol auch möglich war, zu
beſtimmen.
Nur einen Punkt möchte ich hier, um Mißverſtändniſſen vor-
zubeugen, noch beſonders hervorheben. Die Zwangsmittel gegen
die Parteien, welche der Staatsgewalt geſetzlich zu Gebote ſtehen,
um im gerichtlichen Verfahren die materielle Wahrheit zu ermitteln
und um das Urtheil zu vollſtrecken, bieten zwar unzweifelhaft auch
eine Seite für die ſtaatsrechtliche Betrachtung dar; hier fallen aber
die Regeln über die Vorausſetzungen, den Umfang und die Formen
der Geltendmachung faſt vollſtändig mit den Regeln über das
Prozeß-Verfahren zuſammen. Ein näheres Eingehen auf dieſe
Materien würde daher in der That dazu nöthigen, ſehr umfang-
reiche Partien des Straf- und Civilprozeßrechts hier aufzunehmen,
die, aus dem Zuſammenhange mit den übrigen Lehren des Pro-
zeßrechts geriſſen, des wiſſenſchaftlichen Intereſſes ermangeln. Hier-
hin gehören im Strafprozeß die Befugniſſe der Gerichte und an-
deren bei der Strafverfolgung mitwirkenden Behörden zur Beſchlag-
nahme, zur Durchſuchung, zur Verhaftung und vorläufigen Feſt-
nahme, zur Vorführung des Beſchuldigten, ſowie die geſammte
Lehre von der Strafvollſtreckung; im Civilprozeß der Zwang zum
perſönlichen Erſcheinen der Parteien in Eheſachen 1) und im Kon-
kurſe 2), die Editionspflicht 3) und ebenfalls die geſammte Lehre
1) Civilproz.O. §. 579.
2) Konk.Ordn. §. 93. 98.
3) Civilproz.O. §. 387 ff. 394 ff. Im Falle der §§. 133 u. 134 der
Civilproz.O. handelt es ſich nicht um eine öffentlich-rechtliche Pflicht,
ſondern um ein Beweisrecht der Partei; die Nichtbefolgung der gerichtlichen
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/27>, abgerufen am 16.07.2024.
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