Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 96. Einleitung.
desrath am 21. Febr. 1870 gefaßten Beschlusses im Preuß. Justiz-
ministerium ausgearbeitet und nebst Motiven und Anlagen im
November 1873 dem Bundesrath vorgelegt, welcher beschloß, daß
dieser Entwurf einer aus angesehenen Juristen und Vertretern des
Handelsstandes bestehenden Kommission zur Vorberathung über-
wiesen werden sollte. Die Kommission trat im März 1874 in
Berlin zusammen und brachte in 3 Lesungen einen revidirten Ent-
wurf zustande, der von dem Bundesrathe nur in wenigen Punkten
modifizirt wurde. Am 21. Januar 1875 wurde der Gesetzentwurf
nebst dem Entwurf eines Einführungsgesetzes dem Reichstage vor-
gelegt 1) und von ihm ohne wesentliche Veränderung in der Session
von 1876 genehmigt 2). Die Konkursordnung trägt das Da-
tum v. 10. Februar 1877 und ist gleichzeitig mit dem Gerichts-
verfassungsgesetz (1. Okt. 1879) in Kraft getreten 3). Zur Ver-
vollständigung dieser vom Reich geregelten Rechtsmaterie ist so-
dann noch das Reichsgesetz v. 21. Juli 1879, betreffend die An-
fechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des
Konkursverfahrens, ergangen 4).

Eine zweite wesentliche Ergänzung der Prozeßgesetzgebung be-
traf die Ordnung der Rechtsanwaltschaft. Der von der
Reichsregierung vorgelegte Entwurf eines Gerichtsverfassungsge-
setzes enthielt hierüber keine Bestimmung; die Justizkommission
des Reichstages ging dagegen von der Ansicht aus, daß die reichs-
gesetzliche Regelung der Rechtsanwaltschaft nicht weniger nothwen-
dig sei, wie die irgend eines andern Theils der Gerichtsverfassung,
und fügte demgemäß dem Entwurfe des Gerichtsverfassungsge-
setzes einen die Rechtsanwaltschaft betreffenden Titel hinzu, welcher
die Billigung des Reichstages fand. Der Bundesrath erkannte
zwar an, daß die Regelung der Rechtsanwaltschaft im Wege der
Reichsgesetzgebung erfolgen müsse, erachtete aber die fragmentari-
schen Bestimmungen, welche die Justizkommission in das Gerichts-
verfassungsgesetz aufgenommen hatte, für nicht ausreichend 5) und

1) Motive in den Drucksachen des Reichstages von 1874/7 Nro. 200.
2) Stenogr. Berichte 1876 S. 569 ff.
3) R.G.Bl. 1877 S. 351 ff.
4) R.G.Bl. 1879 S. 277 ff.
5) Es fehlten namentlich die Bestimmungen über die Anwaltskammern,
Ehrengerichte u. s. w.

§. 96. Einleitung.
desrath am 21. Febr. 1870 gefaßten Beſchluſſes im Preuß. Juſtiz-
miniſterium ausgearbeitet und nebſt Motiven und Anlagen im
November 1873 dem Bundesrath vorgelegt, welcher beſchloß, daß
dieſer Entwurf einer aus angeſehenen Juriſten und Vertretern des
Handelsſtandes beſtehenden Kommiſſion zur Vorberathung über-
wieſen werden ſollte. Die Kommiſſion trat im März 1874 in
Berlin zuſammen und brachte in 3 Leſungen einen revidirten Ent-
wurf zuſtande, der von dem Bundesrathe nur in wenigen Punkten
modifizirt wurde. Am 21. Januar 1875 wurde der Geſetzentwurf
nebſt dem Entwurf eines Einführungsgeſetzes dem Reichstage vor-
gelegt 1) und von ihm ohne weſentliche Veränderung in der Seſſion
von 1876 genehmigt 2). Die Konkursordnung trägt das Da-
tum v. 10. Februar 1877 und iſt gleichzeitig mit dem Gerichts-
verfaſſungsgeſetz (1. Okt. 1879) in Kraft getreten 3). Zur Ver-
vollſtändigung dieſer vom Reich geregelten Rechtsmaterie iſt ſo-
dann noch das Reichsgeſetz v. 21. Juli 1879, betreffend die An-
fechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des
Konkursverfahrens, ergangen 4).

Eine zweite weſentliche Ergänzung der Prozeßgeſetzgebung be-
traf die Ordnung der Rechtsanwaltſchaft. Der von der
Reichsregierung vorgelegte Entwurf eines Gerichtsverfaſſungsge-
ſetzes enthielt hierüber keine Beſtimmung; die Juſtizkommiſſion
des Reichstages ging dagegen von der Anſicht aus, daß die reichs-
geſetzliche Regelung der Rechtsanwaltſchaft nicht weniger nothwen-
dig ſei, wie die irgend eines andern Theils der Gerichtsverfaſſung,
und fügte demgemäß dem Entwurfe des Gerichtsverfaſſungsge-
ſetzes einen die Rechtsanwaltſchaft betreffenden Titel hinzu, welcher
die Billigung des Reichstages fand. Der Bundesrath erkannte
zwar an, daß die Regelung der Rechtsanwaltſchaft im Wege der
Reichsgeſetzgebung erfolgen müſſe, erachtete aber die fragmentari-
ſchen Beſtimmungen, welche die Juſtizkommiſſion in das Gerichts-
verfaſſungsgeſetz aufgenommen hatte, für nicht ausreichend 5) und

1) Motive in den Druckſachen des Reichstages von 1874/7 Nro. 200.
2) Stenogr. Berichte 1876 S. 569 ff.
3) R.G.Bl. 1877 S. 351 ff.
4) R.G.Bl. 1879 S. 277 ff.
5) Es fehlten namentlich die Beſtimmungen über die Anwaltskammern,
Ehrengerichte u. ſ. w.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0022" n="12"/><fw place="top" type="header">§. 96. Einleitung.</fw><lb/>
desrath am 21. Febr. 1870 gefaßten Be&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;es im Preuß. Ju&#x017F;tiz-<lb/>
mini&#x017F;terium ausgearbeitet und neb&#x017F;t Motiven und Anlagen im<lb/>
November 1873 dem Bundesrath vorgelegt, welcher be&#x017F;chloß, daß<lb/>
die&#x017F;er Entwurf einer aus ange&#x017F;ehenen Juri&#x017F;ten und Vertretern des<lb/>
Handels&#x017F;tandes be&#x017F;tehenden Kommi&#x017F;&#x017F;ion zur Vorberathung über-<lb/>
wie&#x017F;en werden &#x017F;ollte. Die Kommi&#x017F;&#x017F;ion trat im März 1874 in<lb/>
Berlin zu&#x017F;ammen und brachte in 3 Le&#x017F;ungen einen revidirten Ent-<lb/>
wurf zu&#x017F;tande, der von dem Bundesrathe nur in wenigen Punkten<lb/>
modifizirt wurde. Am 21. Januar 1875 wurde der Ge&#x017F;etzentwurf<lb/>
neb&#x017F;t dem Entwurf eines Einführungsge&#x017F;etzes dem Reichstage vor-<lb/>
gelegt <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Motive</hi> in den Druck&#x017F;achen des Reichstages von 1874/7 Nro. 200.</note> und von ihm ohne we&#x017F;entliche Veränderung in der Se&#x017F;&#x017F;ion<lb/>
von 1876 genehmigt <note place="foot" n="2)">Stenogr. Berichte 1876 S. 569 ff.</note>. Die <hi rendition="#g">Konkursordnung</hi> trägt das Da-<lb/>
tum v. 10. Februar 1877 und i&#x017F;t gleichzeitig mit dem Gerichts-<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ungsge&#x017F;etz (1. Okt. 1879) in Kraft getreten <note place="foot" n="3)">R.G.Bl. 1877 S. 351 ff.</note>. Zur Ver-<lb/>
voll&#x017F;tändigung die&#x017F;er vom Reich geregelten Rechtsmaterie i&#x017F;t &#x017F;o-<lb/>
dann noch das Reichsge&#x017F;etz v. 21. Juli 1879, betreffend die An-<lb/>
fechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des<lb/>
Konkursverfahrens, ergangen <note place="foot" n="4)">R.G.Bl. 1879 S. 277 ff.</note>.</p><lb/>
          <p>Eine zweite we&#x017F;entliche Ergänzung der Prozeßge&#x017F;etzgebung be-<lb/>
traf die Ordnung der <hi rendition="#g">Rechtsanwalt&#x017F;chaft</hi>. Der von der<lb/>
Reichsregierung vorgelegte Entwurf eines Gerichtsverfa&#x017F;&#x017F;ungsge-<lb/>
&#x017F;etzes enthielt hierüber keine Be&#x017F;timmung; die Ju&#x017F;tizkommi&#x017F;&#x017F;ion<lb/>
des Reichstages ging dagegen von der An&#x017F;icht aus, daß die reichs-<lb/>
ge&#x017F;etzliche Regelung der Rechtsanwalt&#x017F;chaft nicht weniger nothwen-<lb/>
dig &#x017F;ei, wie die irgend eines andern Theils der Gerichtsverfa&#x017F;&#x017F;ung,<lb/>
und fügte demgemäß dem Entwurfe des Gerichtsverfa&#x017F;&#x017F;ungsge-<lb/>
&#x017F;etzes einen die Rechtsanwalt&#x017F;chaft betreffenden Titel hinzu, welcher<lb/>
die Billigung des Reichstages fand. Der Bundesrath erkannte<lb/>
zwar an, daß die Regelung der Rechtsanwalt&#x017F;chaft im Wege der<lb/>
Reichsge&#x017F;etzgebung erfolgen mü&#x017F;&#x017F;e, erachtete aber die fragmentari-<lb/>
&#x017F;chen Be&#x017F;timmungen, welche die Ju&#x017F;tizkommi&#x017F;&#x017F;ion in das Gerichts-<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ungsge&#x017F;etz aufgenommen hatte, für nicht ausreichend <note place="foot" n="5)">Es fehlten namentlich die Be&#x017F;timmungen über die Anwaltskammern,<lb/>
Ehrengerichte u. &#x017F;. w.</note> und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0022] §. 96. Einleitung. desrath am 21. Febr. 1870 gefaßten Beſchluſſes im Preuß. Juſtiz- miniſterium ausgearbeitet und nebſt Motiven und Anlagen im November 1873 dem Bundesrath vorgelegt, welcher beſchloß, daß dieſer Entwurf einer aus angeſehenen Juriſten und Vertretern des Handelsſtandes beſtehenden Kommiſſion zur Vorberathung über- wieſen werden ſollte. Die Kommiſſion trat im März 1874 in Berlin zuſammen und brachte in 3 Leſungen einen revidirten Ent- wurf zuſtande, der von dem Bundesrathe nur in wenigen Punkten modifizirt wurde. Am 21. Januar 1875 wurde der Geſetzentwurf nebſt dem Entwurf eines Einführungsgeſetzes dem Reichstage vor- gelegt 1) und von ihm ohne weſentliche Veränderung in der Seſſion von 1876 genehmigt 2). Die Konkursordnung trägt das Da- tum v. 10. Februar 1877 und iſt gleichzeitig mit dem Gerichts- verfaſſungsgeſetz (1. Okt. 1879) in Kraft getreten 3). Zur Ver- vollſtändigung dieſer vom Reich geregelten Rechtsmaterie iſt ſo- dann noch das Reichsgeſetz v. 21. Juli 1879, betreffend die An- fechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Konkursverfahrens, ergangen 4). Eine zweite weſentliche Ergänzung der Prozeßgeſetzgebung be- traf die Ordnung der Rechtsanwaltſchaft. Der von der Reichsregierung vorgelegte Entwurf eines Gerichtsverfaſſungsge- ſetzes enthielt hierüber keine Beſtimmung; die Juſtizkommiſſion des Reichstages ging dagegen von der Anſicht aus, daß die reichs- geſetzliche Regelung der Rechtsanwaltſchaft nicht weniger nothwen- dig ſei, wie die irgend eines andern Theils der Gerichtsverfaſſung, und fügte demgemäß dem Entwurfe des Gerichtsverfaſſungsge- ſetzes einen die Rechtsanwaltſchaft betreffenden Titel hinzu, welcher die Billigung des Reichstages fand. Der Bundesrath erkannte zwar an, daß die Regelung der Rechtsanwaltſchaft im Wege der Reichsgeſetzgebung erfolgen müſſe, erachtete aber die fragmentari- ſchen Beſtimmungen, welche die Juſtizkommiſſion in das Gerichts- verfaſſungsgeſetz aufgenommen hatte, für nicht ausreichend 5) und 1) Motive in den Druckſachen des Reichstages von 1874/7 Nro. 200. 2) Stenogr. Berichte 1876 S. 569 ff. 3) R.G.Bl. 1877 S. 351 ff. 4) R.G.Bl. 1879 S. 277 ff. 5) Es fehlten namentlich die Beſtimmungen über die Anwaltskammern, Ehrengerichte u. ſ. w.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/22
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/22>, abgerufen am 25.11.2024.