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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 107. Der Reichsfiskus.

Der Reichsfiskus hat demnach, obgleich er eine einheitliche
Rechtspersönlichkeit ist, keinen einheitlichen allgemeinen Gerichts-
stand; der letztere bestimmt sich vielmehr nach den Geschäftskreisen
der zur Prozeßvertretung berufenen Behörden. Dessenungeachtet
ist dieser Gerichtsstand des Fiskus keine Singularität; er ent-
spricht dem Gerichtsstande der Niederlassung nach §. 22 der
Civilproz.Ordn. Jede fiskalische Station ist einer Niederlassung
im Sinne dieses Paragraphen gleichzuachten und als "Zweignieder-
lassung" des (einheitlichen) Reichsfiskus zu bezeichnen.

V. Für den Reichsfiskus gelten in jedem Rechtsgebiete die-
jenigen Rechtsregeln, welche die dort geltende Gesetzgebung hin-
sichtlich des einheimischen Staatsfiskus aufstellt; er nimmt daher
auch Theil an den landesgesetzlich anerkannten fiskalischen Privi-
legien. Es folgt diese Regel aus der Natur des Bundesstaates.
Eine Anzahl von Aufgaben des Staates sind an das Reich über-
gegangen, deren Durchführung nicht blos vermittelst der Ausübung
von Hoheitsrechten (Staatsgewalt), sondern auch vermittelst des
Abschlusses vermögensrechtlicher Geschäfte erfolgt oder welche ver-
mögensrechtliche Verhältnisse hervorbringen. Dieselben Gründe,
auf denen die Nothwendigkeit beruht, daß jeder Staat zugleich
Subjekt von Herrschaftsrechten und von Privatrechten ist, führen
auch zu der Consequenz, daß, soweit die Reichsgewalt an die Stelle
der Einzelstaatsgewalt getreten ist, auch der Reichsfiskus die Stelle
des Landesfiskus eingenommen hat und daß demnach die Rechts-
grundsätze, welche vor der Gründung des Bundes für den ein-
heitlichen Fiskus des Staates gegolten haben, nunmehr sowohl für
den Reichsfiskus als auch für den Landesfiskus in Geltung stehen 1).


1) Vgl. Annalen a. a. O. S. 411. Uebereinstimmend: Seydel a. a. O.
S. 236 ff. Dernburg Preuß. Privatr. I. §. 57 (3. Aufl. S. 122) Meyer
Staatsrecht §. 208. Mandry der civilrechtl. Inhalt der Reichsgesetze S. 114.
Zorn im Rechtslexicon a. a. O. S. 376. Böhlau S. 17. Schulze,
Deutsches Staatsrecht I S. 578 und besonders Reincke a. a. O. S. 486 ff.
Auch das Preuß. Obertribunal hat diese Ansicht gebilligt, Entscheidungen
Bd. 70 S. 217 ff.; freilich mit sehr bedenklicher Motivirung. Eine Anwen-
dung hat dieselbe auch gefunden im Reichsgesetz v. 25. Mai 1873 §. 1 Abs. 2.
Vgl. auch Reichsstempel-Gesetz v. 1. Juli 1881 §. 29. Die entgegengesetzte Mei-
nung wird nur von Förster Theorie und Praxis des preuß. Privatrechts
IV. S. 395 ff. vertheidigt; seine Deduction beruht aber auf der unrichtigen
Unterstellung, daß der Reichsfiskus in den Gebieten der Bundesstaaten, insbe-
sondere in Preußen, als ein fremder Fiskus anzusehen sei.
§. 107. Der Reichsfiskus.

Der Reichsfiskus hat demnach, obgleich er eine einheitliche
Rechtsperſönlichkeit iſt, keinen einheitlichen allgemeinen Gerichts-
ſtand; der letztere beſtimmt ſich vielmehr nach den Geſchäftskreiſen
der zur Prozeßvertretung berufenen Behörden. Deſſenungeachtet
iſt dieſer Gerichtsſtand des Fiskus keine Singularität; er ent-
ſpricht dem Gerichtsſtande der Niederlaſſung nach §. 22 der
Civilproz.Ordn. Jede fiskaliſche Station iſt einer Niederlaſſung
im Sinne dieſes Paragraphen gleichzuachten und als „Zweignieder-
laſſung“ des (einheitlichen) Reichsfiskus zu bezeichnen.

V. Für den Reichsfiskus gelten in jedem Rechtsgebiete die-
jenigen Rechtsregeln, welche die dort geltende Geſetzgebung hin-
ſichtlich des einheimiſchen Staatsfiskus aufſtellt; er nimmt daher
auch Theil an den landesgeſetzlich anerkannten fiskaliſchen Privi-
legien. Es folgt dieſe Regel aus der Natur des Bundesſtaates.
Eine Anzahl von Aufgaben des Staates ſind an das Reich über-
gegangen, deren Durchführung nicht blos vermittelſt der Ausübung
von Hoheitsrechten (Staatsgewalt), ſondern auch vermittelſt des
Abſchluſſes vermögensrechtlicher Geſchäfte erfolgt oder welche ver-
mögensrechtliche Verhältniſſe hervorbringen. Dieſelben Gründe,
auf denen die Nothwendigkeit beruht, daß jeder Staat zugleich
Subjekt von Herrſchaftsrechten und von Privatrechten iſt, führen
auch zu der Conſequenz, daß, ſoweit die Reichsgewalt an die Stelle
der Einzelſtaatsgewalt getreten iſt, auch der Reichsfiskus die Stelle
des Landesfiskus eingenommen hat und daß demnach die Rechts-
grundſätze, welche vor der Gründung des Bundes für den ein-
heitlichen Fiskus des Staates gegolten haben, nunmehr ſowohl für
den Reichsfiskus als auch für den Landesfiskus in Geltung ſtehen 1).


1) Vgl. Annalen a. a. O. S. 411. Uebereinſtimmend: Seydel a. a. O.
S. 236 ff. Dernburg Preuß. Privatr. I. §. 57 (3. Aufl. S. 122) Meyer
Staatsrecht §. 208. Mandry der civilrechtl. Inhalt der Reichsgeſetze S. 114.
Zorn im Rechtslexicon a. a. O. S. 376. Böhlau S. 17. Schulze,
Deutſches Staatsrecht I S. 578 und beſonders Reincke a. a. O. S. 486 ff.
Auch das Preuß. Obertribunal hat dieſe Anſicht gebilligt, Entſcheidungen
Bd. 70 S. 217 ff.; freilich mit ſehr bedenklicher Motivirung. Eine Anwen-
dung hat dieſelbe auch gefunden im Reichsgeſetz v. 25. Mai 1873 §. 1 Abſ. 2.
Vgl. auch Reichsſtempel-Geſetz v. 1. Juli 1881 §. 29. Die entgegengeſetzte Mei-
nung wird nur von Förſter Theorie und Praxis des preuß. Privatrechts
IV. S. 395 ff. vertheidigt; ſeine Deduction beruht aber auf der unrichtigen
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ſondere in Preußen, als ein fremder Fiskus anzuſehen ſei.
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[196/0206] §. 107. Der Reichsfiskus. Der Reichsfiskus hat demnach, obgleich er eine einheitliche Rechtsperſönlichkeit iſt, keinen einheitlichen allgemeinen Gerichts- ſtand; der letztere beſtimmt ſich vielmehr nach den Geſchäftskreiſen der zur Prozeßvertretung berufenen Behörden. Deſſenungeachtet iſt dieſer Gerichtsſtand des Fiskus keine Singularität; er ent- ſpricht dem Gerichtsſtande der Niederlaſſung nach §. 22 der Civilproz.Ordn. Jede fiskaliſche Station iſt einer Niederlaſſung im Sinne dieſes Paragraphen gleichzuachten und als „Zweignieder- laſſung“ des (einheitlichen) Reichsfiskus zu bezeichnen. V. Für den Reichsfiskus gelten in jedem Rechtsgebiete die- jenigen Rechtsregeln, welche die dort geltende Geſetzgebung hin- ſichtlich des einheimiſchen Staatsfiskus aufſtellt; er nimmt daher auch Theil an den landesgeſetzlich anerkannten fiskaliſchen Privi- legien. Es folgt dieſe Regel aus der Natur des Bundesſtaates. Eine Anzahl von Aufgaben des Staates ſind an das Reich über- gegangen, deren Durchführung nicht blos vermittelſt der Ausübung von Hoheitsrechten (Staatsgewalt), ſondern auch vermittelſt des Abſchluſſes vermögensrechtlicher Geſchäfte erfolgt oder welche ver- mögensrechtliche Verhältniſſe hervorbringen. Dieſelben Gründe, auf denen die Nothwendigkeit beruht, daß jeder Staat zugleich Subjekt von Herrſchaftsrechten und von Privatrechten iſt, führen auch zu der Conſequenz, daß, ſoweit die Reichsgewalt an die Stelle der Einzelſtaatsgewalt getreten iſt, auch der Reichsfiskus die Stelle des Landesfiskus eingenommen hat und daß demnach die Rechts- grundſätze, welche vor der Gründung des Bundes für den ein- heitlichen Fiskus des Staates gegolten haben, nunmehr ſowohl für den Reichsfiskus als auch für den Landesfiskus in Geltung ſtehen 1). 1) Vgl. Annalen a. a. O. S. 411. Uebereinſtimmend: Seydel a. a. O. S. 236 ff. Dernburg Preuß. Privatr. I. §. 57 (3. Aufl. S. 122) Meyer Staatsrecht §. 208. Mandry der civilrechtl. Inhalt der Reichsgeſetze S. 114. Zorn im Rechtslexicon a. a. O. S. 376. Böhlau S. 17. Schulze, Deutſches Staatsrecht I S. 578 und beſonders Reincke a. a. O. S. 486 ff. Auch das Preuß. Obertribunal hat dieſe Anſicht gebilligt, Entſcheidungen Bd. 70 S. 217 ff.; freilich mit ſehr bedenklicher Motivirung. Eine Anwen- dung hat dieſelbe auch gefunden im Reichsgeſetz v. 25. Mai 1873 §. 1 Abſ. 2. Vgl. auch Reichsſtempel-Geſetz v. 1. Juli 1881 §. 29. Die entgegengeſetzte Mei- nung wird nur von Förſter Theorie und Praxis des preuß. Privatrechts IV. S. 395 ff. vertheidigt; ſeine Deduction beruht aber auf der unrichtigen Unterſtellung, daß der Reichsfiskus in den Gebieten der Bundesſtaaten, insbe- ſondere in Preußen, als ein fremder Fiskus anzuſehen ſei.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/206>, abgerufen am 25.11.2024.