Vorschriften aus -- wurde implicite der Verfassungsgrundsatz bei- gefügt: sie üben sie auch nur in dem Umfange aus, den der Bund bestimmt d. h. soweit der Bund die Gerichtsbarkeit nicht durch eigene Organe ausübt.
Da nun bei der Gründung des Reiches gleichzeitig mit der Verfassung auch das Ges. v. 12. Juni 1869 Geltung für das ganze Reich erhielt, so ergibt sich, daß die Verfassung mit der in diesem Gesetz enthaltenen Abänderung und Er- gänzung eingeführt worden ist und daß demnach der Schluß, welchen man aus dem Schweigen der Verf. des Nordd. Bundes über die Bundesgerichtsbarkeit ziehen mußte, aus dem Schweigen der Reichsverfassung nicht gezogen werden kann. Das Reich hatte vielmehr von Anfang an eine eigene Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und die verfassungsmäßige Kom- petenz, den Umfang derselben zu bestimmen. Von dieser Befugniß hat das Reich auch einen ausgiebigen Gebrauch gemacht, indem es seit dem 1. Oktober 1879 an die Stelle des Oberhandelsgerichts das Reichsgericht gesetzt hat, dem eine umfassende Zuständigkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, sowie in einigen andern Angelegenheiten beigelegt worden ist.
Der Norddeutsche Bund hat ferner in dem Gesetz v. 21. Juni 1869 1) die in der Verf. Art. 4 Ziff. 11 in Aussicht genommenen Vorschriften über die Rechtshülfe erlassen. Während aber die Verfassung nur von der Vollstreckung von Erkenntnissen in Civilsachen und der Erledigung von Requisitionen sprach, hat das Rechtshülfegesetz bereits das Prinzip angebahnt, daß die Bethätigungen der den Einzelstaaten zustehenden Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in Strafsachen ihre Wirkungen auf das ganze Bundesgebiet erstrecken. In Civilsachen wurde der Grundsatz anerkannt, daß wenn eine Rechtsstreitigkeit in einem Bundesstaate rechtshängig geworden oder rechtskräftig entschieden ist, die Rechtshängigkeit oder die Rechtskraft vor jedem Gerichte aller Bundesstaaten geltend gemacht werden kann 2); daß die Ge- richte des Bundesgebiets sich gegenseitig Rechtshülfe zu leisten haben, ohne Unterschied, ob das ersuchende und das ersuchte Ge-
1) Bundesgesetzbl. 1869 S. 305 ff.
2) Rechtshülfe-Ges. §. 19.
§. 96. Einleitung.
Vorſchriften aus — wurde implicite der Verfaſſungsgrundſatz bei- gefügt: ſie üben ſie auch nur in dem Umfange aus, den der Bund beſtimmt d. h. ſoweit der Bund die Gerichtsbarkeit nicht durch eigene Organe ausübt.
Da nun bei der Gründung des Reiches gleichzeitig mit der Verfaſſung auch das Geſ. v. 12. Juni 1869 Geltung für das ganze Reich erhielt, ſo ergibt ſich, daß die Verfaſſung mit der in dieſem Geſetz enthaltenen Abänderung und Er- gänzung eingeführt worden iſt und daß demnach der Schluß, welchen man aus dem Schweigen der Verf. des Nordd. Bundes über die Bundesgerichtsbarkeit ziehen mußte, aus dem Schweigen der Reichsverfaſſung nicht gezogen werden kann. Das Reich hatte vielmehr von Anfang an eine eigene Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und die verfaſſungsmäßige Kom- petenz, den Umfang derſelben zu beſtimmen. Von dieſer Befugniß hat das Reich auch einen ausgiebigen Gebrauch gemacht, indem es ſeit dem 1. Oktober 1879 an die Stelle des Oberhandelsgerichts das Reichsgericht geſetzt hat, dem eine umfaſſende Zuſtändigkeit in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und Strafſachen, ſowie in einigen andern Angelegenheiten beigelegt worden iſt.
Der Norddeutſche Bund hat ferner in dem Geſetz v. 21. Juni 1869 1) die in der Verf. Art. 4 Ziff. 11 in Ausſicht genommenen Vorſchriften über die Rechtshülfe erlaſſen. Während aber die Verfaſſung nur von der Vollſtreckung von Erkenntniſſen in Civilſachen und der Erledigung von Requiſitionen ſprach, hat das Rechtshülfegeſetz bereits das Prinzip angebahnt, daß die Bethätigungen der den Einzelſtaaten zuſtehenden Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und in Strafſachen ihre Wirkungen auf das ganze Bundesgebiet erſtrecken. In Civilſachen wurde der Grundſatz anerkannt, daß wenn eine Rechtsſtreitigkeit in einem Bundesſtaate rechtshängig geworden oder rechtskräftig entſchieden iſt, die Rechtshängigkeit oder die Rechtskraft vor jedem Gerichte aller Bundesſtaaten geltend gemacht werden kann 2); daß die Ge- richte des Bundesgebiets ſich gegenſeitig Rechtshülfe zu leiſten haben, ohne Unterſchied, ob das erſuchende und das erſuchte Ge-
1) Bundesgeſetzbl. 1869 S. 305 ff.
2) Rechtshülfe-Geſ. §. 19.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0015"n="5"/><fwplace="top"type="header">§. 96. Einleitung.</fw><lb/>
Vorſchriften aus — wurde <hirendition="#aq">implicite</hi> der Verfaſſungsgrundſatz bei-<lb/>
gefügt: ſie üben ſie auch nur <hirendition="#g">in dem Umfange</hi> aus, den der<lb/>
Bund beſtimmt d. h. ſoweit der Bund die Gerichtsbarkeit nicht<lb/>
durch eigene Organe ausübt.</p><lb/><p>Da nun bei der Gründung des Reiches gleichzeitig mit der<lb/>
Verfaſſung auch das Geſ. v. 12. Juni 1869 Geltung für das<lb/>
ganze Reich erhielt, ſo ergibt ſich, daß die Verfaſſung <hirendition="#g">mit der<lb/>
in dieſem Geſetz enthaltenen Abänderung und Er-<lb/>
gänzung</hi> eingeführt worden iſt und daß demnach der Schluß,<lb/>
welchen man aus dem Schweigen der Verf. des <hirendition="#g">Nordd. Bundes</hi><lb/>
über die Bundesgerichtsbarkeit ziehen mußte, aus dem Schweigen<lb/>
der <hirendition="#g">Reichsverfaſſung</hi> nicht gezogen werden kann. Das Reich<lb/>
hatte vielmehr von Anfang an eine <hirendition="#g">eigene</hi> Gerichtsbarkeit in<lb/>
bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und die verfaſſungsmäßige Kom-<lb/>
petenz, den Umfang derſelben zu beſtimmen. Von dieſer Befugniß<lb/>
hat das Reich auch einen ausgiebigen Gebrauch gemacht, indem<lb/>
es ſeit dem 1. Oktober 1879 an die Stelle des Oberhandelsgerichts<lb/>
das Reichsgericht geſetzt hat, dem eine umfaſſende Zuſtändigkeit in<lb/>
bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und Strafſachen, ſowie in einigen<lb/>
andern Angelegenheiten beigelegt worden iſt.</p><lb/><p>Der Norddeutſche Bund hat ferner in dem Geſetz v. 21. Juni<lb/>
1869 <noteplace="foot"n="1)">Bundesgeſetzbl. 1869 S. 305 ff.</note> die in der Verf. Art. 4 Ziff. 11 in Ausſicht genommenen<lb/><hirendition="#g">Vorſchriften über die Rechtshülfe</hi> erlaſſen. Während<lb/>
aber die Verfaſſung nur von der Vollſtreckung von Erkenntniſſen<lb/><hirendition="#g">in Civilſachen</hi> und der Erledigung von Requiſitionen ſprach,<lb/>
hat das Rechtshülfegeſetz bereits das Prinzip angebahnt, daß die<lb/>
Bethätigungen der den Einzelſtaaten zuſtehenden Gerichtsbarkeit in<lb/>
bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und in Strafſachen ihre Wirkungen<lb/>
auf das <hirendition="#g">ganze Bundesgebiet</hi> erſtrecken. In Civilſachen wurde<lb/>
der Grundſatz anerkannt, daß wenn eine Rechtsſtreitigkeit in einem<lb/>
Bundesſtaate rechtshängig geworden oder rechtskräftig entſchieden<lb/>
iſt, die Rechtshängigkeit oder die Rechtskraft vor jedem Gerichte<lb/>
aller Bundesſtaaten geltend gemacht werden kann <noteplace="foot"n="2)">Rechtshülfe-Geſ. §. 19.</note>; daß die Ge-<lb/>
richte des Bundesgebiets ſich gegenſeitig Rechtshülfe zu leiſten<lb/>
haben, ohne Unterſchied, ob das erſuchende und das erſuchte Ge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[5/0015]
§. 96. Einleitung.
Vorſchriften aus — wurde implicite der Verfaſſungsgrundſatz bei-
gefügt: ſie üben ſie auch nur in dem Umfange aus, den der
Bund beſtimmt d. h. ſoweit der Bund die Gerichtsbarkeit nicht
durch eigene Organe ausübt.
Da nun bei der Gründung des Reiches gleichzeitig mit der
Verfaſſung auch das Geſ. v. 12. Juni 1869 Geltung für das
ganze Reich erhielt, ſo ergibt ſich, daß die Verfaſſung mit der
in dieſem Geſetz enthaltenen Abänderung und Er-
gänzung eingeführt worden iſt und daß demnach der Schluß,
welchen man aus dem Schweigen der Verf. des Nordd. Bundes
über die Bundesgerichtsbarkeit ziehen mußte, aus dem Schweigen
der Reichsverfaſſung nicht gezogen werden kann. Das Reich
hatte vielmehr von Anfang an eine eigene Gerichtsbarkeit in
bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und die verfaſſungsmäßige Kom-
petenz, den Umfang derſelben zu beſtimmen. Von dieſer Befugniß
hat das Reich auch einen ausgiebigen Gebrauch gemacht, indem
es ſeit dem 1. Oktober 1879 an die Stelle des Oberhandelsgerichts
das Reichsgericht geſetzt hat, dem eine umfaſſende Zuſtändigkeit in
bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und Strafſachen, ſowie in einigen
andern Angelegenheiten beigelegt worden iſt.
Der Norddeutſche Bund hat ferner in dem Geſetz v. 21. Juni
1869 1) die in der Verf. Art. 4 Ziff. 11 in Ausſicht genommenen
Vorſchriften über die Rechtshülfe erlaſſen. Während
aber die Verfaſſung nur von der Vollſtreckung von Erkenntniſſen
in Civilſachen und der Erledigung von Requiſitionen ſprach,
hat das Rechtshülfegeſetz bereits das Prinzip angebahnt, daß die
Bethätigungen der den Einzelſtaaten zuſtehenden Gerichtsbarkeit in
bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und in Strafſachen ihre Wirkungen
auf das ganze Bundesgebiet erſtrecken. In Civilſachen wurde
der Grundſatz anerkannt, daß wenn eine Rechtsſtreitigkeit in einem
Bundesſtaate rechtshängig geworden oder rechtskräftig entſchieden
iſt, die Rechtshängigkeit oder die Rechtskraft vor jedem Gerichte
aller Bundesſtaaten geltend gemacht werden kann 2); daß die Ge-
richte des Bundesgebiets ſich gegenſeitig Rechtshülfe zu leiſten
haben, ohne Unterſchied, ob das erſuchende und das erſuchte Ge-
1) Bundesgeſetzbl. 1869 S. 305 ff.
2) Rechtshülfe-Geſ. §. 19.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/15>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.