Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.§. 96. Einleitung. einen Prozeß abschnitt, aber nicht nothwendig den Prozeß be-endigten, nicht formelles Recht unter den Parteien schufen und nicht (definitiv) vollstreckbar waren. Eines der wichtigsten Hoheits- rechte, die das allgemeine Staatsrecht überhaupt kennt, war sonach durch das Gesetz v. 12. Juni 1869 -- wenngleich in sachlicher Hinsicht in enger Abgränzung -- von den Einzelstaaten auf den Bund übergegangen. Dies war eine Veränderung des Verhält- nisses zwischen Einzelstaat und Bund von prinzipieller Bedeutung. Zwar hat die Verfassung des Nordd. Bundes nirgends aus- §. 96. Einleitung. einen Prozeß abſchnitt, aber nicht nothwendig den Prozeß be-endigten, nicht formelles Recht unter den Parteien ſchufen und nicht (definitiv) vollſtreckbar waren. Eines der wichtigſten Hoheits- rechte, die das allgemeine Staatsrecht überhaupt kennt, war ſonach durch das Geſetz v. 12. Juni 1869 — wenngleich in ſachlicher Hinſicht in enger Abgränzung — von den Einzelſtaaten auf den Bund übergegangen. Dies war eine Veränderung des Verhält- niſſes zwiſchen Einzelſtaat und Bund von prinzipieller Bedeutung. Zwar hat die Verfaſſung des Nordd. Bundes nirgends aus- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0014" n="4"/><fw place="top" type="header">§. 96. Einleitung.</fw><lb/> einen Prozeß <hi rendition="#g">abſchnitt</hi>, aber nicht nothwendig den Prozeß be-<lb/> endigten, nicht formelles Recht unter den Parteien ſchufen und<lb/> nicht (definitiv) vollſtreckbar waren. Eines der wichtigſten Hoheits-<lb/> rechte, die das allgemeine Staatsrecht überhaupt kennt, war ſonach<lb/> durch das Geſetz v. 12. Juni 1869 — wenngleich in ſachlicher<lb/> Hinſicht in enger Abgränzung — von den Einzelſtaaten auf den<lb/> Bund übergegangen. Dies war eine Veränderung des Verhält-<lb/> niſſes zwiſchen Einzelſtaat und Bund von prinzipieller Bedeutung.</p><lb/> <p>Zwar hat die Verfaſſung des Nordd. Bundes nirgends <hi rendition="#g">aus-<lb/> drücklich</hi> beſtimmt, daß der Bund keine eigene Gerichtsbarkeit<lb/> haben ſolle oder daß den Einzelſtaaten der Anſpruch auf unge-<lb/> ſchmälerten Vollbeſitz dieſes Hoheitsrechts zuſtehe; die ſehr vage<lb/> Faſſung von Art. 4 Ziff. 13 ließ vielmehr einer Interpretation<lb/> Raum, wonach die Bundesgeſetzgebung „das gerichtliche Verfahren“<lb/> in jeder beliebigen Weiſe regeln konnte, alſo auch ſo, daß die Ge-<lb/> richtsbarkeit den Einzelſtaaten ganz oder theilweiſe genommen wurde.<lb/> Allein es beſteht darüber ja allſeitige Uebereinſtimmung, daß die<lb/> Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes in der Art auszulegen war,<lb/> daß den Einzelſtaaten alle Hoheitsrechte verblieben ſind, welche<lb/> ihnen nicht durch die Verfaſſung entzogen wurden, da Zweck und<lb/> Aufgabe dieſer Verfaſſung darin beſtand, nicht die Kompetenz der<lb/> Einzelſtaaten, ſondern die Kompetenz der <hi rendition="#g">Bundesgewalt</hi> zu<lb/> beſtimmen und die <hi rendition="#g">Einſchränkungen</hi>, welche die Hoheitsrechte<lb/> der Einzelſtaaten durch Gründung des Bundes erfuhren, feſtzu-<lb/> ſtellen. Das Schweigen der Verfaſſung über die Errichtung eines<lb/> Bundesgerichts bedeutete daher die Negirung einer eigenen Ge-<lb/> richtsbarkeit des Bundes und dies wurde durch die Spezialanord-<lb/> nungen der Verfaſſung hinſichtlich der Kompetenz des Bundesrathes<lb/> bei Beſchwerden über Juſtizverweigerung und hinſichtlich der Kom-<lb/> petenz des Ober-Appellationsgerichts zu Lübeck bei Hochverraths-<lb/> fällen in unzweifelhafter Weiſe beſtätigt. Das Geſetz vom 12.<lb/> Juni 1869 enthält daher zwar keine Abänderung derjenigen Sätze,<lb/> welche die Verfaſſung des Nordd. Bundes <hi rendition="#g">ausdrücklich</hi> aus-<lb/> ſpricht, wol aber brachte dieſes Geſetz einen Rechtsſatz über die<lb/> Zuſtändigkeit des Bundes zur Anerkennung, den die Bundesver-<lb/> faſſung durch Stillſchweigen <hi rendition="#g">ausgeſchloſſen</hi> hatte. Dem aus<lb/> Art. 4 Ziff. 13 folgenden Satze: Die Bundesſtaaten üben die Gerichts-<lb/> barkeit <hi rendition="#g">nach Maßgabe</hi> der ihnen vom Bunde darüber ertheilten<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0014]
§. 96. Einleitung.
einen Prozeß abſchnitt, aber nicht nothwendig den Prozeß be-
endigten, nicht formelles Recht unter den Parteien ſchufen und
nicht (definitiv) vollſtreckbar waren. Eines der wichtigſten Hoheits-
rechte, die das allgemeine Staatsrecht überhaupt kennt, war ſonach
durch das Geſetz v. 12. Juni 1869 — wenngleich in ſachlicher
Hinſicht in enger Abgränzung — von den Einzelſtaaten auf den
Bund übergegangen. Dies war eine Veränderung des Verhält-
niſſes zwiſchen Einzelſtaat und Bund von prinzipieller Bedeutung.
Zwar hat die Verfaſſung des Nordd. Bundes nirgends aus-
drücklich beſtimmt, daß der Bund keine eigene Gerichtsbarkeit
haben ſolle oder daß den Einzelſtaaten der Anſpruch auf unge-
ſchmälerten Vollbeſitz dieſes Hoheitsrechts zuſtehe; die ſehr vage
Faſſung von Art. 4 Ziff. 13 ließ vielmehr einer Interpretation
Raum, wonach die Bundesgeſetzgebung „das gerichtliche Verfahren“
in jeder beliebigen Weiſe regeln konnte, alſo auch ſo, daß die Ge-
richtsbarkeit den Einzelſtaaten ganz oder theilweiſe genommen wurde.
Allein es beſteht darüber ja allſeitige Uebereinſtimmung, daß die
Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes in der Art auszulegen war,
daß den Einzelſtaaten alle Hoheitsrechte verblieben ſind, welche
ihnen nicht durch die Verfaſſung entzogen wurden, da Zweck und
Aufgabe dieſer Verfaſſung darin beſtand, nicht die Kompetenz der
Einzelſtaaten, ſondern die Kompetenz der Bundesgewalt zu
beſtimmen und die Einſchränkungen, welche die Hoheitsrechte
der Einzelſtaaten durch Gründung des Bundes erfuhren, feſtzu-
ſtellen. Das Schweigen der Verfaſſung über die Errichtung eines
Bundesgerichts bedeutete daher die Negirung einer eigenen Ge-
richtsbarkeit des Bundes und dies wurde durch die Spezialanord-
nungen der Verfaſſung hinſichtlich der Kompetenz des Bundesrathes
bei Beſchwerden über Juſtizverweigerung und hinſichtlich der Kom-
petenz des Ober-Appellationsgerichts zu Lübeck bei Hochverraths-
fällen in unzweifelhafter Weiſe beſtätigt. Das Geſetz vom 12.
Juni 1869 enthält daher zwar keine Abänderung derjenigen Sätze,
welche die Verfaſſung des Nordd. Bundes ausdrücklich aus-
ſpricht, wol aber brachte dieſes Geſetz einen Rechtsſatz über die
Zuſtändigkeit des Bundes zur Anerkennung, den die Bundesver-
faſſung durch Stillſchweigen ausgeſchloſſen hatte. Dem aus
Art. 4 Ziff. 13 folgenden Satze: Die Bundesſtaaten üben die Gerichts-
barkeit nach Maßgabe der ihnen vom Bunde darüber ertheilten
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |