hier so wenig wie auf anderen Gebieten des staatlichen Lebens etwas wahrzunehmen.
I.Zulassung zur Rechtsanwaltschaft.
1. Der oberste Grundsatz ist der, daß Niemand Rechtsanwalt werden kann, ohne daß er von der Landes justizverwaltung (be- ziehentl. beim Reichsgericht vom Präsidium desselben) zugelassen worden ist 1), daß die Zulassung aber nicht vom freien Belieben der Landesjustizverwaltung abhängig ist, sondern daß die Ent- scheidung über die Zulassung nach den vom Reich erlassenen Vor- schriften getroffen werden muß. In diesem Satze findet ein im ge- genwärtigen Deutschen Reichsrecht häufig wiederkehrendes Prinzip eine neue Anwendung: die formale Ausübung der Hoheitsrechte geht im einzelnen Falle von der Einzelstaatsgewalt aus, die ma- terielle Regelung aber, wie das Hoheitsrecht zu handhaben ist, wird vom Reich gegeben; der Einzelstaat bringt dem Unterthanen gegenüber seinen Willen zur Geltung, er empfängt aber vom Reich den Befehl, was er wollen muß und wie er den Willen zu erklären hat. So wie den Einzelstaaten die sogenannte Justiz- hoheit verblieben ist, aber Gerichtsverfassung und Prozeßordnungen, also der Inbegriff der Rechtsnormen über die Ausübung der Ju- stizhoheit, vom Reich ihnen vorgeschrieben sind, so kömmt ihre Ju- stizhoheit (Staatsgewalt) auch zur Anerkennung, indem sie den Rechtsanwälten die Zulassung ertheilen oder versagen, aber ihr Wille ist hierbei kein freier, sondern ein vom Reich gebundener.
2. Befähigt zur Rechtsanwaltschaft ist nur derjenige, wel- cher die Fähigkeit zum Richteramt erlangt hat 2); in Er- mangelung dieser Voraussetzung darf die Zulassung nicht ertheilt werden. Die Bedingungen für die Befähigung zum Richteramt sind nun aber vom Reich nicht ausreichend geregelt, indem es an Vorschriften und Kontrolen hinsichtlich der beiden juristischen Prü- fungen fehlt; in Folge dessen ist keine Landesjustizverwaltung ge- halten, die in einem anderen Staate bestandenen Prüfungen an- zuerkennen 3), sie soll aber auch andererseits hieran nicht durch
3) Gerichtsverf.Ges. §. 2. Siehe unten §. 104. II.
§. 103. Die Rechtsanwaltſchaft.
hier ſo wenig wie auf anderen Gebieten des ſtaatlichen Lebens etwas wahrzunehmen.
I.Zulaſſung zur Rechtsanwaltſchaft.
1. Der oberſte Grundſatz iſt der, daß Niemand Rechtsanwalt werden kann, ohne daß er von der Landes juſtizverwaltung (be- ziehentl. beim Reichsgericht vom Präſidium deſſelben) zugelaſſen worden iſt 1), daß die Zulaſſung aber nicht vom freien Belieben der Landesjuſtizverwaltung abhängig iſt, ſondern daß die Ent- ſcheidung über die Zulaſſung nach den vom Reich erlaſſenen Vor- ſchriften getroffen werden muß. In dieſem Satze findet ein im ge- genwärtigen Deutſchen Reichsrecht häufig wiederkehrendes Prinzip eine neue Anwendung: die formale Ausübung der Hoheitsrechte geht im einzelnen Falle von der Einzelſtaatsgewalt aus, die ma- terielle Regelung aber, wie das Hoheitsrecht zu handhaben iſt, wird vom Reich gegeben; der Einzelſtaat bringt dem Unterthanen gegenüber ſeinen Willen zur Geltung, er empfängt aber vom Reich den Befehl, was er wollen muß und wie er den Willen zu erklären hat. So wie den Einzelſtaaten die ſogenannte Juſtiz- hoheit verblieben iſt, aber Gerichtsverfaſſung und Prozeßordnungen, alſo der Inbegriff der Rechtsnormen über die Ausübung der Ju- ſtizhoheit, vom Reich ihnen vorgeſchrieben ſind, ſo kömmt ihre Ju- ſtizhoheit (Staatsgewalt) auch zur Anerkennung, indem ſie den Rechtsanwälten die Zulaſſung ertheilen oder verſagen, aber ihr Wille iſt hierbei kein freier, ſondern ein vom Reich gebundener.
2. Befähigt zur Rechtsanwaltſchaft iſt nur derjenige, wel- cher die Fähigkeit zum Richteramt erlangt hat 2); in Er- mangelung dieſer Vorausſetzung darf die Zulaſſung nicht ertheilt werden. Die Bedingungen für die Befähigung zum Richteramt ſind nun aber vom Reich nicht ausreichend geregelt, indem es an Vorſchriften und Kontrolen hinſichtlich der beiden juriſtiſchen Prü- fungen fehlt; in Folge deſſen iſt keine Landesjuſtizverwaltung ge- halten, die in einem anderen Staate beſtandenen Prüfungen an- zuerkennen 3), ſie ſoll aber auch andererſeits hieran nicht durch
3) Gerichtsverf.Geſ. §. 2. Siehe unten §. 104. II.
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§. 103. Die Rechtsanwaltſchaft.
hier ſo wenig wie auf anderen Gebieten des ſtaatlichen Lebens
etwas wahrzunehmen.
I. Zulaſſung zur Rechtsanwaltſchaft.
1. Der oberſte Grundſatz iſt der, daß Niemand Rechtsanwalt
werden kann, ohne daß er von der Landes juſtizverwaltung (be-
ziehentl. beim Reichsgericht vom Präſidium deſſelben) zugelaſſen
worden iſt 1), daß die Zulaſſung aber nicht vom freien Belieben
der Landesjuſtizverwaltung abhängig iſt, ſondern daß die Ent-
ſcheidung über die Zulaſſung nach den vom Reich erlaſſenen Vor-
ſchriften getroffen werden muß. In dieſem Satze findet ein im ge-
genwärtigen Deutſchen Reichsrecht häufig wiederkehrendes Prinzip
eine neue Anwendung: die formale Ausübung der Hoheitsrechte
geht im einzelnen Falle von der Einzelſtaatsgewalt aus, die ma-
terielle Regelung aber, wie das Hoheitsrecht zu handhaben iſt,
wird vom Reich gegeben; der Einzelſtaat bringt dem Unterthanen
gegenüber ſeinen Willen zur Geltung, er empfängt aber vom
Reich den Befehl, was er wollen muß und wie er den Willen
zu erklären hat. So wie den Einzelſtaaten die ſogenannte Juſtiz-
hoheit verblieben iſt, aber Gerichtsverfaſſung und Prozeßordnungen,
alſo der Inbegriff der Rechtsnormen über die Ausübung der Ju-
ſtizhoheit, vom Reich ihnen vorgeſchrieben ſind, ſo kömmt ihre Ju-
ſtizhoheit (Staatsgewalt) auch zur Anerkennung, indem ſie den
Rechtsanwälten die Zulaſſung ertheilen oder verſagen, aber ihr
Wille iſt hierbei kein freier, ſondern ein vom Reich gebundener.
2. Befähigt zur Rechtsanwaltſchaft iſt nur derjenige, wel-
cher die Fähigkeit zum Richteramt erlangt hat 2); in Er-
mangelung dieſer Vorausſetzung darf die Zulaſſung nicht ertheilt
werden. Die Bedingungen für die Befähigung zum Richteramt
ſind nun aber vom Reich nicht ausreichend geregelt, indem es an
Vorſchriften und Kontrolen hinſichtlich der beiden juriſtiſchen Prü-
fungen fehlt; in Folge deſſen iſt keine Landesjuſtizverwaltung ge-
halten, die in einem anderen Staate beſtandenen Prüfungen an-
zuerkennen 3), ſie ſoll aber auch andererſeits hieran nicht durch
1) R.A.O. §. 3. 99.
2) R.A.O. §. 1. Uebergangsbeſtimmungen ebendaſ. §. 108.
3) Gerichtsverf.Geſ. §. 2. Siehe unten §. 104. II.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/124>, abgerufen am 03.03.2025.
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