Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
Verleitung der Soldaten zur Untreue und der in den §§. 8 und 9
des Gesetzes mit Strafe bedrohten Verbrechen und Vergehen, in-
sofern alle genannten Verbrechen und Vergehen nach der Erklärung
der Bekanntmachung des Belagerungszustandes begangen oder fort-
gesetzte Verbrechen sind (§. 10 Abs. 1) 1). Ueber die Zusammen-
setzung der Kriegsgerichte, ihre Zahl, die Vereidigung der Mit-
glieder, sowie über das vor den Kriegsgerichten zu beobachtende
Verfahren enthält das in Rede stehende Gesetz in den §§. 11--13
die näheren Vorschriften.

e) Es können ferner die Vorschriften der Preuß. Verf. über
die Gewährleistung der persönlichen Freiheit (Art. 5), über die
Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 6), über die Freiheit der Presse
(Art. 27. 28), über das Versammlungs- und Vereins-Recht (Art. 29.
30), und über das Einschreiten der bewaffneten Macht (Art. 36)
suspendirt werden. Wenn die Suspension dieser Artikel oder ein-
zelner derselben angeordnet wird, so gilt über die Bekanntmachung
dieselbe Vorschrift wie von der Einrichtung von Kriegsgerichten
(§. 5 Abs. 1). An die Stelle der Art. 5 und 6 der Preuß. Verf.
sind aber jetzt, und zwar im ganzen Bundesgebiet, die Bestim-
mungen im I. Buch 8. und 9. Abschnitt der Strafprozeß-Ordnung,
und an die Stelle der Art. 29 und 30 der Preuß. Verf. die Be-
stimmungen des Reichsgesetzes über die Presse vom 7. Juni 1874
(R.G.Bl. S. 65) getreten 2). Die Erklärung der Suspension
wird demnach eintretenden Falles auf diese Reichsgesetze zu
richten sein.

2. Die Frage, ob auch den Einzelstaaten die Befugniß zusteht,
für ihre Gebiete den Belagerungszustand -- wenigstens in Friedens-
zeiten -- zu verhängen, wird von den meisten Schriftstellern be-
jaht 3). Das Gegentheil ist richtig und zwar aus zwei Gründen.

1) §. 10 Abs. 2 u. 3 sind unanwendbar geworden.
2) Das Preßgesetz §. 30 Abs. 1 erhält die für Zeiten des erklärten Kriegs-
(Belagerungs-) Zustandes in Bezug auf die Presse bestehenden besonderen
gesetzlichen Bestimmungen bis auf Weiteres in Kraft.
3) Am ausführlichsten äußert sich darüber v. Mohl a. a. O. S. 90 fg.,
dessen Erörterungen mit einigen stylistischen Abänderungen v. Rönne l S. 87
fg. abgeschrieben hat. Vgl. außerdem Thudichum Verf.R. des Nordd. Bundes
S. 294. Meyer Staatsr. S. 494. Seydel Kommentar S. 248, der letz-
tere Schriftsteller hat seine Ansicht aber geändert. (Zeitschr. f. die deutsche
Gesetzgebung Bd. VII S. 621.)

§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
Verleitung der Soldaten zur Untreue und der in den §§. 8 und 9
des Geſetzes mit Strafe bedrohten Verbrechen und Vergehen, in-
ſofern alle genannten Verbrechen und Vergehen nach der Erklärung
der Bekanntmachung des Belagerungszuſtandes begangen oder fort-
geſetzte Verbrechen ſind (§. 10 Abſ. 1) 1). Ueber die Zuſammen-
ſetzung der Kriegsgerichte, ihre Zahl, die Vereidigung der Mit-
glieder, ſowie über das vor den Kriegsgerichten zu beobachtende
Verfahren enthält das in Rede ſtehende Geſetz in den §§. 11—13
die näheren Vorſchriften.

ε) Es können ferner die Vorſchriften der Preuß. Verf. über
die Gewährleiſtung der perſönlichen Freiheit (Art. 5), über die
Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 6), über die Freiheit der Preſſe
(Art. 27. 28), über das Verſammlungs- und Vereins-Recht (Art. 29.
30), und über das Einſchreiten der bewaffneten Macht (Art. 36)
ſuſpendirt werden. Wenn die Suſpenſion dieſer Artikel oder ein-
zelner derſelben angeordnet wird, ſo gilt über die Bekanntmachung
dieſelbe Vorſchrift wie von der Einrichtung von Kriegsgerichten
(§. 5 Abſ. 1). An die Stelle der Art. 5 und 6 der Preuß. Verf.
ſind aber jetzt, und zwar im ganzen Bundesgebiet, die Beſtim-
mungen im I. Buch 8. und 9. Abſchnitt der Strafprozeß-Ordnung,
und an die Stelle der Art. 29 und 30 der Preuß. Verf. die Be-
ſtimmungen des Reichsgeſetzes über die Preſſe vom 7. Juni 1874
(R.G.Bl. S. 65) getreten 2). Die Erklärung der Suſpenſion
wird demnach eintretenden Falles auf dieſe Reichsgeſetze zu
richten ſein.

2. Die Frage, ob auch den Einzelſtaaten die Befugniß zuſteht,
für ihre Gebiete den Belagerungszuſtand — wenigſtens in Friedens-
zeiten — zu verhängen, wird von den meiſten Schriftſtellern be-
jaht 3). Das Gegentheil iſt richtig und zwar aus zwei Gründen.

1) §. 10 Abſ. 2 u. 3 ſind unanwendbar geworden.
2) Das Preßgeſetz §. 30 Abſ. 1 erhält die für Zeiten des erklärten Kriegs-
(Belagerungs-) Zuſtandes in Bezug auf die Preſſe beſtehenden beſonderen
geſetzlichen Beſtimmungen bis auf Weiteres in Kraft.
3) Am ausführlichſten äußert ſich darüber v. Mohl a. a. O. S. 90 fg.,
deſſen Erörterungen mit einigen ſtyliſtiſchen Abänderungen v. Rönne l S. 87
fg. abgeſchrieben hat. Vgl. außerdem Thudichum Verf.R. des Nordd. Bundes
S. 294. Meyer Staatsr. S. 494. Seydel Kommentar S. 248, der letz-
tere Schriftſteller hat ſeine Anſicht aber geändert. (Zeitſchr. f. die deutſche
Geſetzgebung Bd. VII S. 621.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0056" n="46"/><fw place="top" type="header">§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.</fw><lb/>
Verleitung der Soldaten zur Untreue und der in den §§. 8 und 9<lb/>
des Ge&#x017F;etzes mit Strafe bedrohten Verbrechen und Vergehen, in-<lb/>
&#x017F;ofern alle genannten Verbrechen und Vergehen nach der Erklärung<lb/>
der Bekanntmachung des Belagerungszu&#x017F;tandes begangen oder fort-<lb/>
ge&#x017F;etzte Verbrechen &#x017F;ind (§. 10 Ab&#x017F;. 1) <note place="foot" n="1)">§. 10 Ab&#x017F;. 2 u. 3 &#x017F;ind unanwendbar geworden.</note>. Ueber die Zu&#x017F;ammen-<lb/>
&#x017F;etzung der Kriegsgerichte, ihre Zahl, die Vereidigung der Mit-<lb/>
glieder, &#x017F;owie über das vor den Kriegsgerichten zu beobachtende<lb/>
Verfahren enthält das in Rede &#x017F;tehende Ge&#x017F;etz in den §§. 11&#x2014;13<lb/>
die näheren Vor&#x017F;chriften.</p><lb/>
            <p>&#x03B5;) Es können ferner die Vor&#x017F;chriften der Preuß. Verf. über<lb/>
die Gewährlei&#x017F;tung der per&#x017F;önlichen Freiheit (Art. 5), über die<lb/>
Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 6), über die Freiheit der Pre&#x017F;&#x017F;e<lb/>
(Art. 27. 28), über das Ver&#x017F;ammlungs- und Vereins-Recht (Art. 29.<lb/>
30), und über das Ein&#x017F;chreiten der bewaffneten Macht (Art. 36)<lb/>
&#x017F;u&#x017F;pendirt werden. Wenn die Su&#x017F;pen&#x017F;ion die&#x017F;er Artikel oder ein-<lb/>
zelner der&#x017F;elben angeordnet wird, &#x017F;o gilt über die Bekanntmachung<lb/>
die&#x017F;elbe Vor&#x017F;chrift wie von der Einrichtung von Kriegsgerichten<lb/>
(§. 5 Ab&#x017F;. 1). An die Stelle der Art. 5 und 6 der Preuß. Verf.<lb/>
&#x017F;ind aber jetzt, und zwar im ganzen Bundesgebiet, die Be&#x017F;tim-<lb/>
mungen im <hi rendition="#aq">I.</hi> Buch 8. und 9. Ab&#x017F;chnitt der Strafprozeß-Ordnung,<lb/>
und an die Stelle der Art. 29 und 30 der Preuß. Verf. die Be-<lb/>
&#x017F;timmungen des Reichsge&#x017F;etzes über die Pre&#x017F;&#x017F;e vom 7. Juni 1874<lb/>
(R.G.Bl. S. 65) getreten <note place="foot" n="2)">Das Preßge&#x017F;etz §. 30 Ab&#x017F;. 1 erhält die für Zeiten des erklärten Kriegs-<lb/>
(Belagerungs-) Zu&#x017F;tandes in Bezug auf die Pre&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#g">be&#x017F;tehenden</hi> be&#x017F;onderen<lb/>
ge&#x017F;etzlichen Be&#x017F;timmungen bis auf Weiteres in Kraft.</note>. Die Erklärung der Su&#x017F;pen&#x017F;ion<lb/>
wird demnach eintretenden Falles auf <hi rendition="#g">die&#x017F;e</hi> Reichsge&#x017F;etze zu<lb/>
richten &#x017F;ein.</p><lb/>
            <p>2. Die Frage, ob auch den Einzel&#x017F;taaten die Befugniß zu&#x017F;teht,<lb/>
für ihre Gebiete den Belagerungszu&#x017F;tand &#x2014; wenig&#x017F;tens in Friedens-<lb/>
zeiten &#x2014; zu verhängen, wird von den mei&#x017F;ten Schrift&#x017F;tellern be-<lb/>
jaht <note place="foot" n="3)">Am ausführlich&#x017F;ten äußert &#x017F;ich darüber v. <hi rendition="#g">Mohl</hi> a. a. O. S. 90 fg.,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Erörterungen mit einigen &#x017F;tyli&#x017F;ti&#x017F;chen Abänderungen v. <hi rendition="#g">Rönne</hi> <hi rendition="#aq">l</hi> S. 87<lb/>
fg. abge&#x017F;chrieben hat. Vgl. außerdem <hi rendition="#g">Thudichum</hi> Verf.R. des Nordd. Bundes<lb/>
S. 294. <hi rendition="#g">Meyer</hi> Staatsr. S. 494. <hi rendition="#g">Seydel</hi> Kommentar S. 248, der letz-<lb/>
tere Schrift&#x017F;teller hat &#x017F;eine An&#x017F;icht aber geändert. (Zeit&#x017F;chr. f. die deut&#x017F;che<lb/>
Ge&#x017F;etzgebung Bd. <hi rendition="#aq">VII</hi> S. 621.)</note>. Das Gegentheil i&#x017F;t richtig und zwar aus zwei Gründen.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0056] §. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches. Verleitung der Soldaten zur Untreue und der in den §§. 8 und 9 des Geſetzes mit Strafe bedrohten Verbrechen und Vergehen, in- ſofern alle genannten Verbrechen und Vergehen nach der Erklärung der Bekanntmachung des Belagerungszuſtandes begangen oder fort- geſetzte Verbrechen ſind (§. 10 Abſ. 1) 1). Ueber die Zuſammen- ſetzung der Kriegsgerichte, ihre Zahl, die Vereidigung der Mit- glieder, ſowie über das vor den Kriegsgerichten zu beobachtende Verfahren enthält das in Rede ſtehende Geſetz in den §§. 11—13 die näheren Vorſchriften. ε) Es können ferner die Vorſchriften der Preuß. Verf. über die Gewährleiſtung der perſönlichen Freiheit (Art. 5), über die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 6), über die Freiheit der Preſſe (Art. 27. 28), über das Verſammlungs- und Vereins-Recht (Art. 29. 30), und über das Einſchreiten der bewaffneten Macht (Art. 36) ſuſpendirt werden. Wenn die Suſpenſion dieſer Artikel oder ein- zelner derſelben angeordnet wird, ſo gilt über die Bekanntmachung dieſelbe Vorſchrift wie von der Einrichtung von Kriegsgerichten (§. 5 Abſ. 1). An die Stelle der Art. 5 und 6 der Preuß. Verf. ſind aber jetzt, und zwar im ganzen Bundesgebiet, die Beſtim- mungen im I. Buch 8. und 9. Abſchnitt der Strafprozeß-Ordnung, und an die Stelle der Art. 29 und 30 der Preuß. Verf. die Be- ſtimmungen des Reichsgeſetzes über die Preſſe vom 7. Juni 1874 (R.G.Bl. S. 65) getreten 2). Die Erklärung der Suſpenſion wird demnach eintretenden Falles auf dieſe Reichsgeſetze zu richten ſein. 2. Die Frage, ob auch den Einzelſtaaten die Befugniß zuſteht, für ihre Gebiete den Belagerungszuſtand — wenigſtens in Friedens- zeiten — zu verhängen, wird von den meiſten Schriftſtellern be- jaht 3). Das Gegentheil iſt richtig und zwar aus zwei Gründen. 1) §. 10 Abſ. 2 u. 3 ſind unanwendbar geworden. 2) Das Preßgeſetz §. 30 Abſ. 1 erhält die für Zeiten des erklärten Kriegs- (Belagerungs-) Zuſtandes in Bezug auf die Preſſe beſtehenden beſonderen geſetzlichen Beſtimmungen bis auf Weiteres in Kraft. 3) Am ausführlichſten äußert ſich darüber v. Mohl a. a. O. S. 90 fg., deſſen Erörterungen mit einigen ſtyliſtiſchen Abänderungen v. Rönne l S. 87 fg. abgeſchrieben hat. Vgl. außerdem Thudichum Verf.R. des Nordd. Bundes S. 294. Meyer Staatsr. S. 494. Seydel Kommentar S. 248, der letz- tere Schriftſteller hat ſeine Anſicht aber geändert. (Zeitſchr. f. die deutſche Geſetzgebung Bd. VII S. 621.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/56
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/56>, abgerufen am 27.11.2024.