§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienstpflicht.
Landwehr- und Landsturmpflicht nach Maßgabe ihrer Dienstjahre zu genügen.
Der Eintritt in den berufsmäßigen Militairdienst ist Eintritt in den berufsmäßigen Staatsdienst; der Offizier ist im juristischen Sinne ein Staatsbeamter; die von ihm verwaltete Stelle im Heere ist im juristischen Sinne ein Staatsamt; die ihm obliegenden Pflichten sind Beamtenpflichten 1). Nicht in den Grundsätzen über die Wehrpflicht, sondern in den Grund- sätzen des Beamtenrechts sind demnach die all- gemeinen Rechtsnormen zu suchen, welche für das Dienstverhältniß der Offiziere etc. etc. maßgebend sind und wenn auch im Einzelnen zahlreiche und erhebliche Modi- fikationen in der Anwendung und Durchführung der Rechtssätze bestehen, so giebt es doch keinen einzigen allgemeinen Rechtsbegriff, der nicht gleichmäßig für Offiziere, Unteroffiziere, Militairärzte und Militairbeamte wie für die Staatsbeamten des Civildienstes Anwendung fände.
Insbesondere ist es für das juristische Verständniß des hier in Rede stehenden Rechtsverhältnisses erforderlich, die Dienst- pflicht als solche von dem in Folge derselben übertragenen Amte (Kommando) begrifflich zu unterscheiden. Das Dienstverhältniß erzeugt auch außeramtliche Pflichten, deren Erfüllung auch dann dem Offiziere etc. etc. obliegt, wenn ihm ein Amt (Kommando) nicht übertragen ist, wenn er "zur Disposition" gestellt ist. Andererseits kann ein Kommando auch demjenigen ertheilt werden, welcher nicht kraft freiwilligen Eintrittes in den Dienst, sondern kraft gesetzlicher Wehrpflicht dasselbe zu übernehmen verbunden ist. Der Zweck des Dienstvertrages besteht eben darin, daß sich der Staat geeignete Individuen verschafft, denen er ein Kommando wirksam ertheilen kann, weil die gesetzliche Wehrpflicht hierzu ganz ungenügend ist. Die Pflicht, ein Kommando zu übernehmen und sich der hier- mit verbundenen Thätigkeit zu widmen, ist Folge und Inhalt des Dienstverhältnisses, dagegen der concrete Umfang der zu führenden amtlichen Geschäfte und der auszuübenden staatlichen Hoheitsrechte
1) Vgl. Bd. I S. 401. Einen gesetzlichen Ausdruck hat dieser Grundsatz im Preuß. Allg. Landrecht gefunden, welches im 10. Titel des II. Theiles die Rechtsregeln über "Militair- und Civilbediente" zusammenstellt.
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§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
Landwehr- und Landſturmpflicht nach Maßgabe ihrer Dienſtjahre zu genügen.
Der Eintritt in den berufsmäßigen Militairdienſt iſt Eintritt in den berufsmäßigen Staatsdienſt; der Offizier iſt im juriſtiſchen Sinne ein Staatsbeamter; die von ihm verwaltete Stelle im Heere iſt im juriſtiſchen Sinne ein Staatsamt; die ihm obliegenden Pflichten ſind Beamtenpflichten 1). Nicht in den Grundſätzen über die Wehrpflicht, ſondern in den Grund- ſätzen des Beamtenrechts ſind demnach die all- gemeinen Rechtsnormen zu ſuchen, welche für das Dienſtverhältniß der Offiziere ꝛc. ꝛc. maßgebend ſind und wenn auch im Einzelnen zahlreiche und erhebliche Modi- fikationen in der Anwendung und Durchführung der Rechtsſätze beſtehen, ſo giebt es doch keinen einzigen allgemeinen Rechtsbegriff, der nicht gleichmäßig für Offiziere, Unteroffiziere, Militairärzte und Militairbeamte wie für die Staatsbeamten des Civildienſtes Anwendung fände.
Insbeſondere iſt es für das juriſtiſche Verſtändniß des hier in Rede ſtehenden Rechtsverhältniſſes erforderlich, die Dienſt- pflicht als ſolche von dem in Folge derſelben übertragenen Amte (Kommando) begrifflich zu unterſcheiden. Das Dienſtverhältniß erzeugt auch außeramtliche Pflichten, deren Erfüllung auch dann dem Offiziere ꝛc. ꝛc. obliegt, wenn ihm ein Amt (Kommando) nicht übertragen iſt, wenn er „zur Dispoſition“ geſtellt iſt. Andererſeits kann ein Kommando auch demjenigen ertheilt werden, welcher nicht kraft freiwilligen Eintrittes in den Dienſt, ſondern kraft geſetzlicher Wehrpflicht daſſelbe zu übernehmen verbunden iſt. Der Zweck des Dienſtvertrages beſteht eben darin, daß ſich der Staat geeignete Individuen verſchafft, denen er ein Kommando wirkſam ertheilen kann, weil die geſetzliche Wehrpflicht hierzu ganz ungenügend iſt. Die Pflicht, ein Kommando zu übernehmen und ſich der hier- mit verbundenen Thätigkeit zu widmen, iſt Folge und Inhalt des Dienſtverhältniſſes, dagegen der concrete Umfang der zu führenden amtlichen Geſchäfte und der auszuübenden ſtaatlichen Hoheitsrechte
1) Vgl. Bd. I S. 401. Einen geſetzlichen Ausdruck hat dieſer Grundſatz im Preuß. Allg. Landrecht gefunden, welches im 10. Titel des II. Theiles die Rechtsregeln über „Militair- und Civilbediente“ zuſammenſtellt.
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§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
Landwehr- und Landſturmpflicht nach Maßgabe ihrer Dienſtjahre
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Der Eintritt in den berufsmäßigen Militairdienſt iſt Eintritt
in den berufsmäßigen Staatsdienſt; der Offizier iſt im juriſtiſchen
Sinne ein Staatsbeamter; die von ihm verwaltete Stelle im Heere
iſt im juriſtiſchen Sinne ein Staatsamt; die ihm obliegenden
Pflichten ſind Beamtenpflichten 1). Nicht in den Grundſätzen
über die Wehrpflicht, ſondern in den Grund-
ſätzen des Beamtenrechts ſind demnach die all-
gemeinen Rechtsnormen zu ſuchen, welche für das
Dienſtverhältniß der Offiziere ꝛc. ꝛc. maßgebend
ſind und wenn auch im Einzelnen zahlreiche und erhebliche Modi-
fikationen in der Anwendung und Durchführung der Rechtsſätze
beſtehen, ſo giebt es doch keinen einzigen allgemeinen Rechtsbegriff,
der nicht gleichmäßig für Offiziere, Unteroffiziere, Militairärzte
und Militairbeamte wie für die Staatsbeamten des Civildienſtes
Anwendung fände.
Insbeſondere iſt es für das juriſtiſche Verſtändniß des hier
in Rede ſtehenden Rechtsverhältniſſes erforderlich, die Dienſt-
pflicht als ſolche von dem in Folge derſelben übertragenen Amte
(Kommando) begrifflich zu unterſcheiden. Das Dienſtverhältniß
erzeugt auch außeramtliche Pflichten, deren Erfüllung auch dann
dem Offiziere ꝛc. ꝛc. obliegt, wenn ihm ein Amt (Kommando) nicht
übertragen iſt, wenn er „zur Dispoſition“ geſtellt iſt. Andererſeits
kann ein Kommando auch demjenigen ertheilt werden, welcher nicht
kraft freiwilligen Eintrittes in den Dienſt, ſondern kraft geſetzlicher
Wehrpflicht daſſelbe zu übernehmen verbunden iſt. Der Zweck des
Dienſtvertrages beſteht eben darin, daß ſich der Staat geeignete
Individuen verſchafft, denen er ein Kommando wirkſam ertheilen
kann, weil die geſetzliche Wehrpflicht hierzu ganz ungenügend iſt.
Die Pflicht, ein Kommando zu übernehmen und ſich der hier-
mit verbundenen Thätigkeit zu widmen, iſt Folge und Inhalt des
Dienſtverhältniſſes, dagegen der concrete Umfang der zu führenden
amtlichen Geſchäfte und der auszuübenden ſtaatlichen Hoheitsrechte
1) Vgl. Bd. I S. 401. Einen geſetzlichen Ausdruck hat dieſer Grundſatz
im Preuß. Allg. Landrecht gefunden, welches im 10. Titel des II. Theiles die
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/221>, abgerufen am 15.08.2024.
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