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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 88. Die gesetzliche Wehrpflicht.
Strafgesetzbuch vom 20. Juni 1872 §. 3, welches die Bestrafung
im Disciplinarwege der Bestrafung auf Grund eines gerichtlichen
Erkenntnisses gegenüberstellt, den Gegensatz also lediglich in die
Form des Verfahrens legt. Zu den leichteren Fällen, welche im
Disciplinarwege geahndet werden können, gehören nach §. 3 Z. 1
des erwähnten Gesetzes gerade auch Ungehorsamsfälle. Die Dis-
ciplinargewalt reicht aber viel weiter als die eigentliche Straf-
gewalt; sie ist recht eigentlich das Mittel, durch welches der Staat
die Erfüllung der militairischen Dienstpflicht und insbesondere der
Gehorsamspflicht mit unwiderstehlicher Kraft und sofortigem Er-
folge erzwingt 1); sich sichert nicht nur -- wie das Strafgesetz --
den Gehorsam, sondern den prompten Gehorsam. Der Dis-
ciplinarbestrafung unterliegen insbesondere alle Handlungen gegen
die militairische Zucht und Ordnung und gegen die Dienstvorschrif-
ten, für welche die Militairgesetze keine Strafbestimmungen ent-
halten 2). Das Recht, die Vorschriften über die Handhabung der
Disciplin im Heere zu erlassen, steht dem Kaiser zu 3).

d) Zur Sicherung der Disciplin dienen ferner die Vorschriften
über die Behandlung von Beschwerden, indem die letzteren den
Charakter einer Opposition gegen den Vorgesetzten tragen und die
Subordination beeinträchtigen könnten. Um dies zu verhüten, ist
angeordnet, daß sie nicht sogleich, sondern frühestens am nächsten
Morgen nach dem Vorfall, der zur Beschwerde Anlaß gegeben hat,
erhoben werden dürfen, ferner sind sie an bestimmte Fristen ge-
bunden, ist die Beobachtung eines bestimmten Weges und Ver-
fahrens, die Meldung bei dem nächsten direkten Vorgesetzten u. s. w.
vorgeschrieben 4). Die Verletzung dieser Vorschriften ist -- ganz
unabhängig von der materiellen Entscheidung über die Beschwerde
selbst -- ein Vergehen, das von Personen des Soldatenstandes,
welche im aktiven Dienst sich befinden, gerichtlich, an solchen Per-
sonen, die dem Beurlaubtenstande angehören, gerichtlich oder dis-

1) Vgl. Bd. I S. 449.
2) Discipl.Straf.Ordn. §. 1 Ziff. 1.
3) Milit.Ges. §. 8. Für die Marine ergiebt sich derselbe Rechtssatz aus
Reichs-Verf. Art. 53. Ueber Bayern vgl. Mil.Ges. §. 72 und oben S. 25.
4) Die gegenwärtig geltenden Vorschriften sind erlassen für das Heer und
die Marine am 6. März 1873. Armee-Verordnungsblatt 1873 S. 63.
Marine-V.Bl. S. 43. Bayerische V. v. 29. Okt. 1875. Mil.V.Bl. S. 575.

§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Strafgeſetzbuch vom 20. Juni 1872 §. 3, welches die Beſtrafung
im Disciplinarwege der Beſtrafung auf Grund eines gerichtlichen
Erkenntniſſes gegenüberſtellt, den Gegenſatz alſo lediglich in die
Form des Verfahrens legt. Zu den leichteren Fällen, welche im
Disciplinarwege geahndet werden können, gehören nach §. 3 Z. 1
des erwähnten Geſetzes gerade auch Ungehorſamsfälle. Die Dis-
ciplinargewalt reicht aber viel weiter als die eigentliche Straf-
gewalt; ſie iſt recht eigentlich das Mittel, durch welches der Staat
die Erfüllung der militairiſchen Dienſtpflicht und insbeſondere der
Gehorſamspflicht mit unwiderſtehlicher Kraft und ſofortigem Er-
folge erzwingt 1); ſich ſichert nicht nur — wie das Strafgeſetz —
den Gehorſam, ſondern den prompten Gehorſam. Der Dis-
ciplinarbeſtrafung unterliegen insbeſondere alle Handlungen gegen
die militairiſche Zucht und Ordnung und gegen die Dienſtvorſchrif-
ten, für welche die Militairgeſetze keine Strafbeſtimmungen ent-
halten 2). Das Recht, die Vorſchriften über die Handhabung der
Disciplin im Heere zu erlaſſen, ſteht dem Kaiſer zu 3).

d) Zur Sicherung der Disciplin dienen ferner die Vorſchriften
über die Behandlung von Beſchwerden, indem die letzteren den
Charakter einer Oppoſition gegen den Vorgeſetzten tragen und die
Subordination beeinträchtigen könnten. Um dies zu verhüten, iſt
angeordnet, daß ſie nicht ſogleich, ſondern früheſtens am nächſten
Morgen nach dem Vorfall, der zur Beſchwerde Anlaß gegeben hat,
erhoben werden dürfen, ferner ſind ſie an beſtimmte Friſten ge-
bunden, iſt die Beobachtung eines beſtimmten Weges und Ver-
fahrens, die Meldung bei dem nächſten direkten Vorgeſetzten u. ſ. w.
vorgeſchrieben 4). Die Verletzung dieſer Vorſchriften iſt — ganz
unabhängig von der materiellen Entſcheidung über die Beſchwerde
ſelbſt — ein Vergehen, das von Perſonen des Soldatenſtandes,
welche im aktiven Dienſt ſich befinden, gerichtlich, an ſolchen Per-
ſonen, die dem Beurlaubtenſtande angehören, gerichtlich oder dis-

1) Vgl. Bd. I S. 449.
2) Discipl.Straf.Ordn. §. 1 Ziff. 1.
3) Milit.Geſ. §. 8. Für die Marine ergiebt ſich derſelbe Rechtsſatz aus
Reichs-Verf. Art. 53. Ueber Bayern vgl. Mil.Geſ. §. 72 und oben S. 25.
4) Die gegenwärtig geltenden Vorſchriften ſind erlaſſen für das Heer und
die Marine am 6. März 1873. Armee-Verordnungsblatt 1873 S. 63.
Marine-V.Bl. S. 43. Bayeriſche V. v. 29. Okt. 1875. Mil.V.Bl. S. 575.
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[168/0178] §. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht. Strafgeſetzbuch vom 20. Juni 1872 §. 3, welches die Beſtrafung im Disciplinarwege der Beſtrafung auf Grund eines gerichtlichen Erkenntniſſes gegenüberſtellt, den Gegenſatz alſo lediglich in die Form des Verfahrens legt. Zu den leichteren Fällen, welche im Disciplinarwege geahndet werden können, gehören nach §. 3 Z. 1 des erwähnten Geſetzes gerade auch Ungehorſamsfälle. Die Dis- ciplinargewalt reicht aber viel weiter als die eigentliche Straf- gewalt; ſie iſt recht eigentlich das Mittel, durch welches der Staat die Erfüllung der militairiſchen Dienſtpflicht und insbeſondere der Gehorſamspflicht mit unwiderſtehlicher Kraft und ſofortigem Er- folge erzwingt 1); ſich ſichert nicht nur — wie das Strafgeſetz — den Gehorſam, ſondern den prompten Gehorſam. Der Dis- ciplinarbeſtrafung unterliegen insbeſondere alle Handlungen gegen die militairiſche Zucht und Ordnung und gegen die Dienſtvorſchrif- ten, für welche die Militairgeſetze keine Strafbeſtimmungen ent- halten 2). Das Recht, die Vorſchriften über die Handhabung der Disciplin im Heere zu erlaſſen, ſteht dem Kaiſer zu 3). d) Zur Sicherung der Disciplin dienen ferner die Vorſchriften über die Behandlung von Beſchwerden, indem die letzteren den Charakter einer Oppoſition gegen den Vorgeſetzten tragen und die Subordination beeinträchtigen könnten. Um dies zu verhüten, iſt angeordnet, daß ſie nicht ſogleich, ſondern früheſtens am nächſten Morgen nach dem Vorfall, der zur Beſchwerde Anlaß gegeben hat, erhoben werden dürfen, ferner ſind ſie an beſtimmte Friſten ge- bunden, iſt die Beobachtung eines beſtimmten Weges und Ver- fahrens, die Meldung bei dem nächſten direkten Vorgeſetzten u. ſ. w. vorgeſchrieben 4). Die Verletzung dieſer Vorſchriften iſt — ganz unabhängig von der materiellen Entſcheidung über die Beſchwerde ſelbſt — ein Vergehen, das von Perſonen des Soldatenſtandes, welche im aktiven Dienſt ſich befinden, gerichtlich, an ſolchen Per- ſonen, die dem Beurlaubtenſtande angehören, gerichtlich oder dis- 1) Vgl. Bd. I S. 449. 2) Discipl.Straf.Ordn. §. 1 Ziff. 1. 3) Milit.Geſ. §. 8. Für die Marine ergiebt ſich derſelbe Rechtsſatz aus Reichs-Verf. Art. 53. Ueber Bayern vgl. Mil.Geſ. §. 72 und oben S. 25. 4) Die gegenwärtig geltenden Vorſchriften ſind erlaſſen für das Heer und die Marine am 6. März 1873. Armee-Verordnungsblatt 1873 S. 63. Marine-V.Bl. S. 43. Bayeriſche V. v. 29. Okt. 1875. Mil.V.Bl. S. 575.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/178>, abgerufen am 24.11.2024.