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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 88. Die gesetzliche Wehrpflicht.

Eine erhöhte Strafe tritt ein, nämlich Gefängniß bis zu zwei
Jahren, neben welchem auf Geldstrafe bis zu 3000 Mark er-
kannt werden kann, wenn ein Wehrpflichtiger nach öffentlicher Be-
kanntmachung einer vom Kaiser für die Zeit eines Krieges oder
einer Kriegsgefahr erlassenen besonderen Anordnung in Widerspruch
mit derselben auswandert 1).

Das Strafverfahren gegen Abwesende, welche sich der Wehr-
pflicht entzogen haben, ist in der Reichs-Strafprozeß-Ordnung §§.
470 ff. besonders geregelt worden. Eigenthümlich ist demselben,
daß die Erhebung der Anklage und die Eröffnung der Untersuchung
auf Grund einer Erklärung der mit der Kontrole der Wehrpflich-
tigen beauftragten Behörde erfolgt.

c) Wenn ein Wehrpflichtiger durch Entfernung aus dem
Bundesgebiet sich der Erfüllung der Wehrpflicht entzogen hat und
später wieder zurückkehrt, so entsteht die Frage, in wie weit er
nachträglich zur Erfüllung der Wehrpflicht und insbesondere der
activen Dienstpflicht im Heere oder in der Flotte angehalten wer-
den kann. In dieser Beziehung sind 3 Fälle zu unterscheiden.
Entweder hat die Entfernung den Verlust der Reichsangehörigkeit
nicht nach sich gezogen, indem sie den Erfordernissen des §. 21 des
Ges. v. 1. Juni 1870 nicht entsprochen und mit der Entlassung nicht
verbunden war -- alsdann dauert auch die Wehrpflicht ununter-
brochen fort und der Wehrpflichtige kann zur nachträglichen Erfüllung
derselben 2) als unsicherer Heerespflichtiger in die Armee eingereiht
werden. Oder der Auswanderer hat die Reichsangehörigkeit aufge-
geben und eine fremde Staatsangehörigkeit erworben und kehrt als
Bürger eines fremden Staates zurück -- alsdann ist er im deutschen
Reiche nicht wehrpflichtig. Der dritte Fall endlich ist der, daß der
zurückkehrende Deutsche die Reichsangehörigkeit zwar verloren, eine
andere Staatsangehörigkeit aber nicht erworben oder wieder ver-
loren hat. In diesem Falle lebt die Wehrpflicht wieder auf und mit-

1) St.G.B. §. 140 Ziff. 3. Eine Auswanderung kann in diesen Fällen
immer nur ohne Entlassung geschehen, da die Behörden die Entlassungs-
urkunde in Widerspruch mit der Kaiserl. Anordnung nicht ertheilen dürfen;
die Auswanderung ist also immer nur eine factische, die erst durch 10jährige
Abwesenheit vom Bundesgebiet den Verlust der Reichsangehörigkeit nach sich
zieht.
2) Milit.Ges. §. 33 Abs. 2. Siehe unten.
§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.

Eine erhöhte Strafe tritt ein, nämlich Gefängniß bis zu zwei
Jahren, neben welchem auf Geldſtrafe bis zu 3000 Mark er-
kannt werden kann, wenn ein Wehrpflichtiger nach öffentlicher Be-
kanntmachung einer vom Kaiſer für die Zeit eines Krieges oder
einer Kriegsgefahr erlaſſenen beſonderen Anordnung in Widerſpruch
mit derſelben auswandert 1).

Das Strafverfahren gegen Abweſende, welche ſich der Wehr-
pflicht entzogen haben, iſt in der Reichs-Strafprozeß-Ordnung §§.
470 ff. beſonders geregelt worden. Eigenthümlich iſt demſelben,
daß die Erhebung der Anklage und die Eröffnung der Unterſuchung
auf Grund einer Erklärung der mit der Kontrole der Wehrpflich-
tigen beauftragten Behörde erfolgt.

c) Wenn ein Wehrpflichtiger durch Entfernung aus dem
Bundesgebiet ſich der Erfüllung der Wehrpflicht entzogen hat und
ſpäter wieder zurückkehrt, ſo entſteht die Frage, in wie weit er
nachträglich zur Erfüllung der Wehrpflicht und insbeſondere der
activen Dienſtpflicht im Heere oder in der Flotte angehalten wer-
den kann. In dieſer Beziehung ſind 3 Fälle zu unterſcheiden.
Entweder hat die Entfernung den Verluſt der Reichsangehörigkeit
nicht nach ſich gezogen, indem ſie den Erforderniſſen des §. 21 des
Geſ. v. 1. Juni 1870 nicht entſprochen und mit der Entlaſſung nicht
verbunden war — alsdann dauert auch die Wehrpflicht ununter-
brochen fort und der Wehrpflichtige kann zur nachträglichen Erfüllung
derſelben 2) als unſicherer Heerespflichtiger in die Armee eingereiht
werden. Oder der Auswanderer hat die Reichsangehörigkeit aufge-
geben und eine fremde Staatsangehörigkeit erworben und kehrt als
Bürger eines fremden Staates zurück — alsdann iſt er im deutſchen
Reiche nicht wehrpflichtig. Der dritte Fall endlich iſt der, daß der
zurückkehrende Deutſche die Reichsangehörigkeit zwar verloren, eine
andere Staatsangehörigkeit aber nicht erworben oder wieder ver-
loren hat. In dieſem Falle lebt die Wehrpflicht wieder auf und mit-

1) St.G.B. §. 140 Ziff. 3. Eine Auswanderung kann in dieſen Fällen
immer nur ohne Entlaſſung geſchehen, da die Behörden die Entlaſſungs-
urkunde in Widerſpruch mit der Kaiſerl. Anordnung nicht ertheilen dürfen;
die Auswanderung iſt alſo immer nur eine factiſche, die erſt durch 10jährige
Abweſenheit vom Bundesgebiet den Verluſt der Reichsangehörigkeit nach ſich
zieht.
2) Milit.Geſ. §. 33 Abſ. 2. Siehe unten.
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[144/0154] §. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht. Eine erhöhte Strafe tritt ein, nämlich Gefängniß bis zu zwei Jahren, neben welchem auf Geldſtrafe bis zu 3000 Mark er- kannt werden kann, wenn ein Wehrpflichtiger nach öffentlicher Be- kanntmachung einer vom Kaiſer für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr erlaſſenen beſonderen Anordnung in Widerſpruch mit derſelben auswandert 1). Das Strafverfahren gegen Abweſende, welche ſich der Wehr- pflicht entzogen haben, iſt in der Reichs-Strafprozeß-Ordnung §§. 470 ff. beſonders geregelt worden. Eigenthümlich iſt demſelben, daß die Erhebung der Anklage und die Eröffnung der Unterſuchung auf Grund einer Erklärung der mit der Kontrole der Wehrpflich- tigen beauftragten Behörde erfolgt. c) Wenn ein Wehrpflichtiger durch Entfernung aus dem Bundesgebiet ſich der Erfüllung der Wehrpflicht entzogen hat und ſpäter wieder zurückkehrt, ſo entſteht die Frage, in wie weit er nachträglich zur Erfüllung der Wehrpflicht und insbeſondere der activen Dienſtpflicht im Heere oder in der Flotte angehalten wer- den kann. In dieſer Beziehung ſind 3 Fälle zu unterſcheiden. Entweder hat die Entfernung den Verluſt der Reichsangehörigkeit nicht nach ſich gezogen, indem ſie den Erforderniſſen des §. 21 des Geſ. v. 1. Juni 1870 nicht entſprochen und mit der Entlaſſung nicht verbunden war — alsdann dauert auch die Wehrpflicht ununter- brochen fort und der Wehrpflichtige kann zur nachträglichen Erfüllung derſelben 2) als unſicherer Heerespflichtiger in die Armee eingereiht werden. Oder der Auswanderer hat die Reichsangehörigkeit aufge- geben und eine fremde Staatsangehörigkeit erworben und kehrt als Bürger eines fremden Staates zurück — alsdann iſt er im deutſchen Reiche nicht wehrpflichtig. Der dritte Fall endlich iſt der, daß der zurückkehrende Deutſche die Reichsangehörigkeit zwar verloren, eine andere Staatsangehörigkeit aber nicht erworben oder wieder ver- loren hat. In dieſem Falle lebt die Wehrpflicht wieder auf und mit- 1) St.G.B. §. 140 Ziff. 3. Eine Auswanderung kann in dieſen Fällen immer nur ohne Entlaſſung geſchehen, da die Behörden die Entlaſſungs- urkunde in Widerſpruch mit der Kaiſerl. Anordnung nicht ertheilen dürfen; die Auswanderung iſt alſo immer nur eine factiſche, die erſt durch 10jährige Abweſenheit vom Bundesgebiet den Verluſt der Reichsangehörigkeit nach ſich zieht. 2) Milit.Geſ. §. 33 Abſ. 2. Siehe unten.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/154>, abgerufen am 24.11.2024.