Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.§. 77. Allgemeine Prinzipien. selben gültigen Rechtes"; dem Reiche müssen daher die zur Er-füllung dieser Aufgabe erforderlichen staatlichen Machtmittel zur Verfügung stehen. Die völkerrechtliche Stellung des Reiches als politische Einheit wäre praktisch bedeutungslos ohne Zusammen- fassung und einheitliche Organisation der im Reiche vorhandenen Streitkräfte; die Willensacte des Reiches sowohl im internationalen Verkehr mit auswärtigen Mächten als auch in Ausübung der staat- lichen Funktionen im Innern würden der Energie und Würde ent- behren, wenn das Reich nicht im Stande wäre, denselben durch Entfaltung physischer Kraft Nachdruck zu geben. Alle Schriftsteller über das Wesen und die Einrichtungen des Bundesstaates waren von jeher darüber einig, daß sowie die völkerrechtliche Vertretung und die Wahrnehmung der internationalen Interessen so auch die Ordnung des Heerwesens und der Oberbefehl über die bewaffnete Macht zur Kompetenz der Bundesgewalt gehöre. Auch die Reichs- verfassung erkennt dieses Prinzip an, welches durch die Natur der Sache von selbst geboten ist, und sie sichert nach allen Richtungen die thatsächliche Durchführung desselben. Die staatsrechtliche Ge- staltung aber, welche diese Durchführung gefunden hat, die formell juristische Form, in welche die Rechte des Reiches auf dem Gebiete des Heerwesens gebracht worden sind, gehört zu den eigenthüm- lichsten und sonderbarsten Gebilden des öffentlichen Rechts. Die herrschende Theorie, welche das Wesen des Bundesstaates darin erblickt, daß ein Theil der staatlichen Thätigkeit ganz und aus- schließlich unter die souveräne Gewalt des Bundes, der andere Theil ebenso vollständig und ausschließlich unter die souveräne Gewalt der Einzelstaaten fällt 1), erweist sich zwar auf sämmtlichen Gebieten des Reichsrechts als falsch und undurchführbar, kaum irgendwo tritt dies aber klarer zu Tage als beim Heerwesen; denn grade hier sind die "Sphären" der Reichsgewalt und der Gliedstaatsgewalt in einer solchen Weise mit einander verknüpft und verschlungen, daß von einer völligen Trennung derselben nur solche Schriftsteller reden können, welche die Fähigkeit besitzen, und G. Meyer Lehrb. des deutschen Staatsr. S. 509 ff. Die Schrift von Lor. v. Stein, Die Lehre vom Heerwesen. Als Theil der Staatswissen- schaft. Stuttg. 1872. behandelt nicht das positive Staatsrecht. 1) Vgl. Bd. I S. 73 fg.
§. 77. Allgemeine Prinzipien. ſelben gültigen Rechtes“; dem Reiche müſſen daher die zur Er-füllung dieſer Aufgabe erforderlichen ſtaatlichen Machtmittel zur Verfügung ſtehen. Die völkerrechtliche Stellung des Reiches als politiſche Einheit wäre praktiſch bedeutungslos ohne Zuſammen- faſſung und einheitliche Organiſation der im Reiche vorhandenen Streitkräfte; die Willensacte des Reiches ſowohl im internationalen Verkehr mit auswärtigen Mächten als auch in Ausübung der ſtaat- lichen Funktionen im Innern würden der Energie und Würde ent- behren, wenn das Reich nicht im Stande wäre, denſelben durch Entfaltung phyſiſcher Kraft Nachdruck zu geben. Alle Schriftſteller über das Weſen und die Einrichtungen des Bundesſtaates waren von jeher darüber einig, daß ſowie die völkerrechtliche Vertretung und die Wahrnehmung der internationalen Intereſſen ſo auch die Ordnung des Heerweſens und der Oberbefehl über die bewaffnete Macht zur Kompetenz der Bundesgewalt gehöre. Auch die Reichs- verfaſſung erkennt dieſes Prinzip an, welches durch die Natur der Sache von ſelbſt geboten iſt, und ſie ſichert nach allen Richtungen die thatſächliche Durchführung deſſelben. Die ſtaatsrechtliche Ge- ſtaltung aber, welche dieſe Durchführung gefunden hat, die formell juriſtiſche Form, in welche die Rechte des Reiches auf dem Gebiete des Heerweſens gebracht worden ſind, gehört zu den eigenthüm- lichſten und ſonderbarſten Gebilden des öffentlichen Rechts. Die herrſchende Theorie, welche das Weſen des Bundesſtaates darin erblickt, daß ein Theil der ſtaatlichen Thätigkeit ganz und aus- ſchließlich unter die ſouveräne Gewalt des Bundes, der andere Theil ebenſo vollſtändig und ausſchließlich unter die ſouveräne Gewalt der Einzelſtaaten fällt 1), erweiſt ſich zwar auf ſämmtlichen Gebieten des Reichsrechts als falſch und undurchführbar, kaum irgendwo tritt dies aber klarer zu Tage als beim Heerweſen; denn grade hier ſind die „Sphären“ der Reichsgewalt und der Gliedſtaatsgewalt in einer ſolchen Weiſe mit einander verknüpft und verſchlungen, daß von einer völligen Trennung derſelben nur ſolche Schriftſteller reden können, welche die Fähigkeit beſitzen, und G. Meyer Lehrb. des deutſchen Staatsr. S. 509 ff. Die Schrift von Lor. v. Stein, Die Lehre vom Heerweſen. Als Theil der Staatswiſſen- ſchaft. Stuttg. 1872. behandelt nicht das poſitive Staatsrecht. 1) Vgl. Bd. I S. 73 fg.
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§. 77. Allgemeine Prinzipien.
ſelben gültigen Rechtes“; dem Reiche müſſen daher die zur Er-
füllung dieſer Aufgabe erforderlichen ſtaatlichen Machtmittel zur
Verfügung ſtehen. Die völkerrechtliche Stellung des Reiches als
politiſche Einheit wäre praktiſch bedeutungslos ohne Zuſammen-
faſſung und einheitliche Organiſation der im Reiche vorhandenen
Streitkräfte; die Willensacte des Reiches ſowohl im internationalen
Verkehr mit auswärtigen Mächten als auch in Ausübung der ſtaat-
lichen Funktionen im Innern würden der Energie und Würde ent-
behren, wenn das Reich nicht im Stande wäre, denſelben durch
Entfaltung phyſiſcher Kraft Nachdruck zu geben. Alle Schriftſteller
über das Weſen und die Einrichtungen des Bundesſtaates waren
von jeher darüber einig, daß ſowie die völkerrechtliche Vertretung
und die Wahrnehmung der internationalen Intereſſen ſo auch die
Ordnung des Heerweſens und der Oberbefehl über die bewaffnete
Macht zur Kompetenz der Bundesgewalt gehöre. Auch die Reichs-
verfaſſung erkennt dieſes Prinzip an, welches durch die Natur der
Sache von ſelbſt geboten iſt, und ſie ſichert nach allen Richtungen
die thatſächliche Durchführung deſſelben. Die ſtaatsrechtliche Ge-
ſtaltung aber, welche dieſe Durchführung gefunden hat, die formell
juriſtiſche Form, in welche die Rechte des Reiches auf dem Gebiete
des Heerweſens gebracht worden ſind, gehört zu den eigenthüm-
lichſten und ſonderbarſten Gebilden des öffentlichen Rechts. Die
herrſchende Theorie, welche das Weſen des Bundesſtaates darin
erblickt, daß ein Theil der ſtaatlichen Thätigkeit ganz und aus-
ſchließlich unter die ſouveräne Gewalt des Bundes, der andere
Theil ebenſo vollſtändig und ausſchließlich unter die ſouveräne
Gewalt der Einzelſtaaten fällt 1), erweiſt ſich zwar auf ſämmtlichen
Gebieten des Reichsrechts als falſch und undurchführbar, kaum
irgendwo tritt dies aber klarer zu Tage als beim Heerweſen;
denn grade hier ſind die „Sphären“ der Reichsgewalt und der
Gliedſtaatsgewalt in einer ſolchen Weiſe mit einander verknüpft
und verſchlungen, daß von einer völligen Trennung derſelben nur
ſolche Schriftſteller reden können, welche die Fähigkeit beſitzen,
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1) Vgl. Bd. I S. 73 fg.
*) und G. Meyer Lehrb. des deutſchen Staatsr. S. 509 ff. Die Schrift von
Lor. v. Stein, Die Lehre vom Heerweſen. Als Theil der Staatswiſſen-
ſchaft. Stuttg. 1872. behandelt nicht das poſitive Staatsrecht.
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