Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.§. 58. Gesetze im formellen Sinne. Sinn haben kann. Entweder bildet den begrifflichen Gegensatz dasLandesgesetz; alsdann erkennt sie die Kompetenz des Reiches an und schließt die der Einzelstaaten aus 1). Oder die Verord- nung des Kaisers, oder Bundesraths u. s. w. bildet den Gegen- satz; alsdann schreibt sie die Form des Reichsgesetzes vor und schließt die Formen der Verwaltungsacte, Verträge u. s. w. aus. Oder endlich sie will beides zugleich ausdrücken, sowohl die Befugniß des Reiches als auch die Form ihrer Ausübung. Für die Interpretation der Reichsverfassung und der auf Ganz unverkennbar und deshalb in unschädlicher Weise ist In dem hier in Bezug genommenen Art. 4 wird die Kom- 1) Vorausgesetzt, daß nicht eine concurrirende Befugniß der Einzel- staaten und des Reiches anerkannt wird. 2) Vergleiche darüber unten §. 59 V. Laband, Reichsstaatsrecht. II. 5
§. 58. Geſetze im formellen Sinne. Sinn haben kann. Entweder bildet den begrifflichen Gegenſatz dasLandesgeſetz; alsdann erkennt ſie die Kompetenz des Reiches an und ſchließt die der Einzelſtaaten aus 1). Oder die Verord- nung des Kaiſers, oder Bundesraths u. ſ. w. bildet den Gegen- ſatz; alsdann ſchreibt ſie die Form des Reichsgeſetzes vor und ſchließt die Formen der Verwaltungsacte, Verträge u. ſ. w. aus. Oder endlich ſie will beides zugleich ausdrücken, ſowohl die Befugniß des Reiches als auch die Form ihrer Ausübung. Für die Interpretation der Reichsverfaſſung und der auf Ganz unverkennbar und deshalb in unſchädlicher Weiſe iſt In dem hier in Bezug genommenen Art. 4 wird die Kom- 1) Vorausgeſetzt, daß nicht eine concurrirende Befugniß der Einzel- ſtaaten und des Reiches anerkannt wird. 2) Vergleiche darüber unten §. 59 V. Laband, Reichsſtaatsrecht. II. 5
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§. 58. Geſetze im formellen Sinne.
Sinn haben kann. Entweder bildet den begrifflichen Gegenſatz das
Landesgeſetz; alsdann erkennt ſie die Kompetenz des Reiches
an und ſchließt die der Einzelſtaaten aus 1). Oder die Verord-
nung des Kaiſers, oder Bundesraths u. ſ. w. bildet den Gegen-
ſatz; alsdann ſchreibt ſie die Form des Reichsgeſetzes vor und
ſchließt die Formen der Verwaltungsacte, Verträge u. ſ. w. aus.
Oder endlich ſie will beides zugleich ausdrücken, ſowohl die
Befugniß des Reiches als auch die Form ihrer Ausübung.
Für die Interpretation der Reichsverfaſſung und der auf
Grund derſelben ergangenen Geſetze iſt es von Wichtigkeit, dieſe
verſchiedenen Bedeutungen auseinander zu halten. Der Sinn der
Vorſchriften wird öfters ein völlig verſchiedener, je nachdem man
die eine oder andere Bedeutung des Wortes Reichsgeſetz zu Grunde
legt. Gewöhnlich wird aus dem Zuſammenhange und der Aus-
drucksweiſe ohne Schwierigkeiten zu ermitteln ſein, wie die Beſtim-
mung der Verfaſſung zu verſtehen iſt; dies gilt aber keineswegs
allgemein. Gleich der Art. 2 der R.-V. kann hier als wichtigſtes
Beiſpiel angeführt werden, da derſelbe theils ſo ausgelegt werden
kann, daß er unter Reichsgeſetzen alle vom Reiche — gleichviel in
welcher Form — erlaſſenen Rechtsvorſchriften verſteht, theils
in der Art, daß er ſich auf alle in der Form des Geſetzes
erklärten Willensacte des Reiches bezieht, gleichviel welchen Inhalt
ſie haben 2). Leider iſt die Reichsverf. von dem Vorwurf nicht
freizuſprechen, daß ſie ſelbſt die verſchiedenen Bedeutungen des
Wortes Geſetzgebung verwechſelt und durcheinander geworfen hat.
Ganz unverkennbar und deshalb in unſchädlicher Weiſe iſt
dies der Fall im Art. 48 Abſ. 2 der R.-V. Derſelbe beſtimmt:
„Die im Art. 4 vorgeſehene Geſetzgebung des Reichs in Poſt-
und Telegraphen-Angelegenheiten erſtreckt ſich nicht auf die-
jenigen Gegenſtände, deren Regelung nach den in der Norddeutſchen
Poſt- und Telegraphen-Verwaltung maßgebend geweſenen Grund-
ſätzen der reglementariſchen Feſtſetzung oder adminiſtrativen An-
ordnung überlaſſen iſt.“
In dem hier in Bezug genommenen Art. 4 wird die Kom-
1) Vorausgeſetzt, daß nicht eine concurrirende Befugniß der Einzel-
ſtaaten und des Reiches anerkannt wird.
2) Vergleiche darüber unten §. 59 V.
Laband, Reichsſtaatsrecht. II. 5
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