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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 58. Gesetze im formellen Sinne.
gewisser Angelegenheiten, sowohl in der Form des Gesetzes als in
der Form der Verordnung, abgewendet werden soll. Andererseits
bedeutet die Anordnung, daß eine Materie der Reichsgesetzgebung
unterliegt, nicht: daß die Regelung in der Form des Reichs-
Gesetzes erfolgen müsse, sondern: daß die Reichs-Gewalt über-
haupt kompetent sei, diese Materie in verbindlicher Weise zu regeln.
So werden im Art. 4 der R.-V. die Angelegenheiten aufgeführt,
"welche der Beaufsichtigung des Reiches und der Gesetzgebung
desselben" unterliegen. Hierdurch wird die Befugniß des Reiches
zur Aufstellung rechtsverbindlicher Regeln begründet, nicht die Form
vorgeschrieben, in welcher dieselben aufzustellen sind. In demselben
Sinne kehrt das Wort wieder in Ziff. 13 desselben Artikels, in
Art. 35; 38; 52 Abs. 2, an welchen Stellen der Umfang der
Reichskompetenz normirt wird, und ebenso in den zahlreichen Stellen
der Reichsgesetze, in welchen die Regelung irgend eines Gegenstan-
des der "Landesgesetzgebung" übertragen oder auf die "Landes-
gesetze" verwiesen wird. Das Ges. v. 5. Juni 1869 §. 3 (B.-G.-Bl.
S. 380) erklärt, daß die Vorschriften der Einführungs-Gesetze in
Kraft bleiben, "nach welchen unter Landesgesetzen im Sinne des
Handelsgesetzb. nicht blos die förmlichen Gesetze, sondern das ge-
sammte Landesrecht
zu verstehen und in Ansehung der be-
treffenden Vorbehalte des Handelsgesetzbuchs die Erlassung maß-
gebender Vorschriften auf anderem Wege als auf dem Wege der
förmlichen Gesetzgebung, soweit dies nach dem Landesrecht zulässig,
nicht ausgeschlossen ist." In demselben Sinne wird der Ausdruck
"Landesgesetz", "Landesgesetzgebung" in der Gewerbe-Ordn. v.
21. Juni 1869 §. 155, im Einf.-Ges. zum Strafgesetzb. v. 31. Mai
1870, in dem Personenstands- und Civilehegesetz v. 6. Febr. 1875
§. 11 1) und anderen Reichsgesetzen verwendet.

In allen diesen Stellen entspricht das Gesetzgebungsrecht dem
materiellen Gesetzesbegriff. Es kann aber auch die Gesetzgebungs-
Befugniß in einer dem formellen Gesetzesbegriff entsprechenden Be-
deutung verstanden werden; d. h. nicht als Kompetenz zur Auf-
stellung von Rechtsregeln, sondern als Befugniß, in der Form
des Gesetzes
Willensacte von irgend welchem Inhalte vorzu-
nehmen. Der Ausdruck kann das Recht des Reichstages oder des

1) Vgl. die Motive zu diesem Gesetze S. 23.

§. 58. Geſetze im formellen Sinne.
gewiſſer Angelegenheiten, ſowohl in der Form des Geſetzes als in
der Form der Verordnung, abgewendet werden ſoll. Andererſeits
bedeutet die Anordnung, daß eine Materie der Reichsgeſetzgebung
unterliegt, nicht: daß die Regelung in der Form des Reichs-
Geſetzes erfolgen müſſe, ſondern: daß die Reichs-Gewalt über-
haupt kompetent ſei, dieſe Materie in verbindlicher Weiſe zu regeln.
So werden im Art. 4 der R.-V. die Angelegenheiten aufgeführt,
„welche der Beaufſichtigung des Reiches und der Geſetzgebung
deſſelben“ unterliegen. Hierdurch wird die Befugniß des Reiches
zur Aufſtellung rechtsverbindlicher Regeln begründet, nicht die Form
vorgeſchrieben, in welcher dieſelben aufzuſtellen ſind. In demſelben
Sinne kehrt das Wort wieder in Ziff. 13 deſſelben Artikels, in
Art. 35; 38; 52 Abſ. 2, an welchen Stellen der Umfang der
Reichskompetenz normirt wird, und ebenſo in den zahlreichen Stellen
der Reichsgeſetze, in welchen die Regelung irgend eines Gegenſtan-
des der „Landesgeſetzgebung“ übertragen oder auf die „Landes-
geſetze“ verwieſen wird. Das Geſ. v. 5. Juni 1869 §. 3 (B.-G.-Bl.
S. 380) erklärt, daß die Vorſchriften der Einführungs-Geſetze in
Kraft bleiben, „nach welchen unter Landesgeſetzen im Sinne des
Handelsgeſetzb. nicht blos die förmlichen Geſetze, ſondern das ge-
ſammte Landesrecht
zu verſtehen und in Anſehung der be-
treffenden Vorbehalte des Handelsgeſetzbuchs die Erlaſſung maß-
gebender Vorſchriften auf anderem Wege als auf dem Wege der
förmlichen Geſetzgebung, ſoweit dies nach dem Landesrecht zuläſſig,
nicht ausgeſchloſſen iſt.“ In demſelben Sinne wird der Ausdruck
„Landesgeſetz“, „Landesgeſetzgebung“ in der Gewerbe-Ordn. v.
21. Juni 1869 §. 155, im Einf.-Geſ. zum Strafgeſetzb. v. 31. Mai
1870, in dem Perſonenſtands- und Civilehegeſetz v. 6. Febr. 1875
§. 11 1) und anderen Reichsgeſetzen verwendet.

In allen dieſen Stellen entſpricht das Geſetzgebungsrecht dem
materiellen Geſetzesbegriff. Es kann aber auch die Geſetzgebungs-
Befugniß in einer dem formellen Geſetzesbegriff entſprechenden Be-
deutung verſtanden werden; d. h. nicht als Kompetenz zur Auf-
ſtellung von Rechtsregeln, ſondern als Befugniß, in der Form
des Geſetzes
Willensacte von irgend welchem Inhalte vorzu-
nehmen. Der Ausdruck kann das Recht des Reichstages oder des

1) Vgl. die Motive zu dieſem Geſetze S. 23.
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[63/0077] §. 58. Geſetze im formellen Sinne. gewiſſer Angelegenheiten, ſowohl in der Form des Geſetzes als in der Form der Verordnung, abgewendet werden ſoll. Andererſeits bedeutet die Anordnung, daß eine Materie der Reichsgeſetzgebung unterliegt, nicht: daß die Regelung in der Form des Reichs- Geſetzes erfolgen müſſe, ſondern: daß die Reichs-Gewalt über- haupt kompetent ſei, dieſe Materie in verbindlicher Weiſe zu regeln. So werden im Art. 4 der R.-V. die Angelegenheiten aufgeführt, „welche der Beaufſichtigung des Reiches und der Geſetzgebung deſſelben“ unterliegen. Hierdurch wird die Befugniß des Reiches zur Aufſtellung rechtsverbindlicher Regeln begründet, nicht die Form vorgeſchrieben, in welcher dieſelben aufzuſtellen ſind. In demſelben Sinne kehrt das Wort wieder in Ziff. 13 deſſelben Artikels, in Art. 35; 38; 52 Abſ. 2, an welchen Stellen der Umfang der Reichskompetenz normirt wird, und ebenſo in den zahlreichen Stellen der Reichsgeſetze, in welchen die Regelung irgend eines Gegenſtan- des der „Landesgeſetzgebung“ übertragen oder auf die „Landes- geſetze“ verwieſen wird. Das Geſ. v. 5. Juni 1869 §. 3 (B.-G.-Bl. S. 380) erklärt, daß die Vorſchriften der Einführungs-Geſetze in Kraft bleiben, „nach welchen unter Landesgeſetzen im Sinne des Handelsgeſetzb. nicht blos die förmlichen Geſetze, ſondern das ge- ſammte Landesrecht zu verſtehen und in Anſehung der be- treffenden Vorbehalte des Handelsgeſetzbuchs die Erlaſſung maß- gebender Vorſchriften auf anderem Wege als auf dem Wege der förmlichen Geſetzgebung, ſoweit dies nach dem Landesrecht zuläſſig, nicht ausgeſchloſſen iſt.“ In demſelben Sinne wird der Ausdruck „Landesgeſetz“, „Landesgeſetzgebung“ in der Gewerbe-Ordn. v. 21. Juni 1869 §. 155, im Einf.-Geſ. zum Strafgeſetzb. v. 31. Mai 1870, in dem Perſonenſtands- und Civilehegeſetz v. 6. Febr. 1875 §. 11 1) und anderen Reichsgeſetzen verwendet. In allen dieſen Stellen entſpricht das Geſetzgebungsrecht dem materiellen Geſetzesbegriff. Es kann aber auch die Geſetzgebungs- Befugniß in einer dem formellen Geſetzesbegriff entſprechenden Be- deutung verſtanden werden; d. h. nicht als Kompetenz zur Auf- ſtellung von Rechtsregeln, ſondern als Befugniß, in der Form des Geſetzes Willensacte von irgend welchem Inhalte vorzu- nehmen. Der Ausdruck kann das Recht des Reichstages oder des 1) Vgl. die Motive zu dieſem Geſetze S. 23.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/77>, abgerufen am 23.11.2024.