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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 57. Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung.
Es hat demnach jede der beiden Körperschaften die sogenannte
Initiative. Dieselbe kann in beiden nur von einem Antrage
eines Mitgliedes der betreffenden Körperschaft ihren Ausgang neh-
men. Im Bundesrath ist nach Art. 7 Abs. 2 der R.-V. "jedes
Bundesglied befugt, Vorschläge zu machen und in Vortrag zu
bringen und das Präsidium ist verpflichtet, dieselben der Berathung
zu übergeben" 1). Im Reichstage müssen Anträge, welche von
Reichstags-Mitgliedern ausgehen, von mindestens 15 Mitgliedern
unterzeichnet sein; Abänderungs-Vorschläge, welche vor oder bei
der zweiten Berathung eingebracht werden, bedürfen keiner Unter-
stützung; bei der dritten Berathung müssen sie von 30 Mitgliedern
unterstützt sein 2).

Ueber die geschäftliche Behandlung der Gesetzes-Vorschläge im
Bundesrathe und Reichstage vrgl. oben Bd. I. §. 30 S. 276 ff.
§. 51 S. 565 ff.

Eine scheinbare Differenz zwischen dem Rechte des Bundes-
rathes und dem des Reichstages, Gesetze vorzuschlagen, ist dadurch
begründet, daß der Art. 23 dem Reichstage diese Befugniß "inner-
halb der Kompetenz des Reiches" gestattet, während der Bundes-
rath an eine solche Beschränkung nicht gebunden ist 3). Da aber
auch die Veränderung der Kompetenz des Reiches selbst nach Art. 78
der R.-V. dem Reiche zusteht, also "innerhalb der Kompetenz des
Reiches" liegt, so ist es dem Reichstage unbenommen, eine Erwei-
terung dieser Kompetenz vorzuschlagen 4). Bei strengster Auslegung
würde demnach der Art. 23 nur die Folge haben, daß der Reichs-

1) "Anträge der einzelnen Bundesstaaten, welche sich nicht etwa im Ver-
laufe der Diskussion eines auf die Tagesordnung gesetzten Gegenstandes ent-
wickeln, sind von dem Bevollmächtigten dem Reichskanzler schriftlich zu über-
geben und werden von diesem auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung
gebracht oder, wenn sie sich auf eine, bereits einem Ausschuß überwiesene Vor-
lage beziehen, diesem Ausschuß vorgelegt." Geschäfts-Ordnung des
Bundesrathes §. 8. Vgl. Bd. I. S. 276.
2) Geschäfts-Ordn. des Reichstages §. 20 Abs. 1. §. 17 Abs. 3. §. 18
Abs. 2.
3) v. Rönne, Staatsrecht des Deutschen Reiches (2. Aufl.) I. S. 239
nimmt an, daß auch der Bundesrath nicht berechtigt sei, Gesetze außerhalb der
Kompetenz des Reiches vorzuschlagen.
4) Ausführliche Erörterungen darüber bei Hänel, Studien I. S. 156 ff.
160. 256 und bei Koller, Verfassung des Deutschen Reichs S. 93 ff.

§. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung.
Es hat demnach jede der beiden Körperſchaften die ſogenannte
Initiative. Dieſelbe kann in beiden nur von einem Antrage
eines Mitgliedes der betreffenden Körperſchaft ihren Ausgang neh-
men. Im Bundesrath iſt nach Art. 7 Abſ. 2 der R.-V. „jedes
Bundesglied befugt, Vorſchläge zu machen und in Vortrag zu
bringen und das Präſidium iſt verpflichtet, dieſelben der Berathung
zu übergeben“ 1). Im Reichstage müſſen Anträge, welche von
Reichstags-Mitgliedern ausgehen, von mindeſtens 15 Mitgliedern
unterzeichnet ſein; Abänderungs-Vorſchläge, welche vor oder bei
der zweiten Berathung eingebracht werden, bedürfen keiner Unter-
ſtützung; bei der dritten Berathung müſſen ſie von 30 Mitgliedern
unterſtützt ſein 2).

Ueber die geſchäftliche Behandlung der Geſetzes-Vorſchläge im
Bundesrathe und Reichstage vrgl. oben Bd. I. §. 30 S. 276 ff.
§. 51 S. 565 ff.

Eine ſcheinbare Differenz zwiſchen dem Rechte des Bundes-
rathes und dem des Reichstages, Geſetze vorzuſchlagen, iſt dadurch
begründet, daß der Art. 23 dem Reichstage dieſe Befugniß „inner-
halb der Kompetenz des Reiches“ geſtattet, während der Bundes-
rath an eine ſolche Beſchränkung nicht gebunden iſt 3). Da aber
auch die Veränderung der Kompetenz des Reiches ſelbſt nach Art. 78
der R.-V. dem Reiche zuſteht, alſo „innerhalb der Kompetenz des
Reiches“ liegt, ſo iſt es dem Reichstage unbenommen, eine Erwei-
terung dieſer Kompetenz vorzuſchlagen 4). Bei ſtrengſter Auslegung
würde demnach der Art. 23 nur die Folge haben, daß der Reichs-

1) „Anträge der einzelnen Bundesſtaaten, welche ſich nicht etwa im Ver-
laufe der Diskuſſion eines auf die Tagesordnung geſetzten Gegenſtandes ent-
wickeln, ſind von dem Bevollmächtigten dem Reichskanzler ſchriftlich zu über-
geben und werden von dieſem auf die Tagesordnung der nächſten Sitzung
gebracht oder, wenn ſie ſich auf eine, bereits einem Ausſchuß überwieſene Vor-
lage beziehen, dieſem Ausſchuß vorgelegt.“ Geſchäfts-Ordnung des
Bundesrathes §. 8. Vgl. Bd. I. S. 276.
2) Geſchäfts-Ordn. des Reichstages §. 20 Abſ. 1. §. 17 Abſ. 3. §. 18
Abſ. 2.
3) v. Rönne, Staatsrecht des Deutſchen Reiches (2. Aufl.) I. S. 239
nimmt an, daß auch der Bundesrath nicht berechtigt ſei, Geſetze außerhalb der
Kompetenz des Reiches vorzuſchlagen.
4) Ausführliche Erörterungen darüber bei Hänel, Studien I. S. 156 ff.
160. 256 und bei Koller, Verfaſſung des Deutſchen Reichs S. 93 ff.
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[26/0040] §. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung. Es hat demnach jede der beiden Körperſchaften die ſogenannte Initiative. Dieſelbe kann in beiden nur von einem Antrage eines Mitgliedes der betreffenden Körperſchaft ihren Ausgang neh- men. Im Bundesrath iſt nach Art. 7 Abſ. 2 der R.-V. „jedes Bundesglied befugt, Vorſchläge zu machen und in Vortrag zu bringen und das Präſidium iſt verpflichtet, dieſelben der Berathung zu übergeben“ 1). Im Reichstage müſſen Anträge, welche von Reichstags-Mitgliedern ausgehen, von mindeſtens 15 Mitgliedern unterzeichnet ſein; Abänderungs-Vorſchläge, welche vor oder bei der zweiten Berathung eingebracht werden, bedürfen keiner Unter- ſtützung; bei der dritten Berathung müſſen ſie von 30 Mitgliedern unterſtützt ſein 2). Ueber die geſchäftliche Behandlung der Geſetzes-Vorſchläge im Bundesrathe und Reichstage vrgl. oben Bd. I. §. 30 S. 276 ff. §. 51 S. 565 ff. Eine ſcheinbare Differenz zwiſchen dem Rechte des Bundes- rathes und dem des Reichstages, Geſetze vorzuſchlagen, iſt dadurch begründet, daß der Art. 23 dem Reichstage dieſe Befugniß „inner- halb der Kompetenz des Reiches“ geſtattet, während der Bundes- rath an eine ſolche Beſchränkung nicht gebunden iſt 3). Da aber auch die Veränderung der Kompetenz des Reiches ſelbſt nach Art. 78 der R.-V. dem Reiche zuſteht, alſo „innerhalb der Kompetenz des Reiches“ liegt, ſo iſt es dem Reichstage unbenommen, eine Erwei- terung dieſer Kompetenz vorzuſchlagen 4). Bei ſtrengſter Auslegung würde demnach der Art. 23 nur die Folge haben, daß der Reichs- 1) „Anträge der einzelnen Bundesſtaaten, welche ſich nicht etwa im Ver- laufe der Diskuſſion eines auf die Tagesordnung geſetzten Gegenſtandes ent- wickeln, ſind von dem Bevollmächtigten dem Reichskanzler ſchriftlich zu über- geben und werden von dieſem auf die Tagesordnung der nächſten Sitzung gebracht oder, wenn ſie ſich auf eine, bereits einem Ausſchuß überwieſene Vor- lage beziehen, dieſem Ausſchuß vorgelegt.“ Geſchäfts-Ordnung des Bundesrathes §. 8. Vgl. Bd. I. S. 276. 2) Geſchäfts-Ordn. des Reichstages §. 20 Abſ. 1. §. 17 Abſ. 3. §. 18 Abſ. 2. 3) v. Rönne, Staatsrecht des Deutſchen Reiches (2. Aufl.) I. S. 239 nimmt an, daß auch der Bundesrath nicht berechtigt ſei, Geſetze außerhalb der Kompetenz des Reiches vorzuſchlagen. 4) Ausführliche Erörterungen darüber bei Hänel, Studien I. S. 156 ff. 160. 256 und bei Koller, Verfaſſung des Deutſchen Reichs S. 93 ff.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/40>, abgerufen am 21.11.2024.