Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.§. 56. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes. lassen hatten 1). Die Bedeutung der feierlichen Publicatio desReichs-Abschiedes bestand vielmehr darin, daß Existenz und Wort- laut der vom Kaiser und Reichstag vereinbarten und vom Kaiser sanctionirten Reichsgesetze in solenner und authentischer Form con- statirt wurden; es war die "solemnis editio" des Reichsgesetzes. Eine ähnliche Einrichtung besteht in England. Das Recht Cap. 23 §. 33 sq. Pfeffinger, a. a. O. nr. 98--100. Moser a. a. O. Daselbst findet sich S. 283--295 eine genaue Beschreibung aller Vorgänge bei der "Publikation" des Reichs-Abschiedes von 1654. 1) Die Mittheilung der Reichsgesetze Seitens des Kaisers an die Reichs- behörden und an die Kreis-Ausschreibe-Aemter und Stände nannte man aller- dings auch Publikation, gewöhnlich aber Insinuation oder Intimation. Die Art und Weise der Bekanntmachung war eine sehr ungeregelte. Moser, Teutsches Staatsr. Bd. 50 S. 50 ff. Vrgl. auch Güterbock, Entstehungs- geschichte der Carolina (1876) S. 199 fg. 2) Der letzte Fall, in welchem eine von dem Parlament genehmigte Bill
von der Krone verworfen wurde, ereignete sich im Jahre 1707. Auch vorher waren Fälle dieser Art höchst selten. Die Verpflichtung des Königs wird theils aus dem von ihm geleisteten Eid, theils aus der Stellung der dem Parla- mente verantwortlichen Minister, auf deren Rath der König seine Regierungs- handlungen vornimmt, hergeleitet. Vgl. Cox, Staatseinrichtungen Englands S. 43 fg. May, das engl. Parlament S. 422 und besonders Blackstone, Commentaries I. chap. 2. (15. Engl. Ausgabe. London 1809. Vol. I. p. 183 ff. Französ. Uebers. von Chompre I. pag. 350 ff.) §. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes. laſſen hatten 1). Die Bedeutung der feierlichen Publicatio desReichs-Abſchiedes beſtand vielmehr darin, daß Exiſtenz und Wort- laut der vom Kaiſer und Reichstag vereinbarten und vom Kaiſer ſanctionirten Reichsgeſetze in ſolenner und authentiſcher Form con- ſtatirt wurden; es war die »solemnis editio« des Reichsgeſetzes. Eine ähnliche Einrichtung beſteht in England. Das Recht Cap. 23 §. 33 sq. Pfeffinger, a. a. O. nr. 98—100. Moſer a. a. O. Daſelbſt findet ſich S. 283—295 eine genaue Beſchreibung aller Vorgänge bei der „Publikation“ des Reichs-Abſchiedes von 1654. 1) Die Mittheilung der Reichsgeſetze Seitens des Kaiſers an die Reichs- behörden und an die Kreis-Ausſchreibe-Aemter und Stände nannte man aller- dings auch Publikation, gewöhnlich aber Inſinuation oder Intimation. Die Art und Weiſe der Bekanntmachung war eine ſehr ungeregelte. Moſer, Teutſches Staatsr. Bd. 50 S. 50 ff. Vrgl. auch Güterbock, Entſtehungs- geſchichte der Carolina (1876) S. 199 fg. 2) Der letzte Fall, in welchem eine von dem Parlament genehmigte Bill
von der Krone verworfen wurde, ereignete ſich im Jahre 1707. Auch vorher waren Fälle dieſer Art höchſt ſelten. Die Verpflichtung des Königs wird theils aus dem von ihm geleiſteten Eid, theils aus der Stellung der dem Parla- mente verantwortlichen Miniſter, auf deren Rath der König ſeine Regierungs- handlungen vornimmt, hergeleitet. Vgl. Cox, Staatseinrichtungen Englands S. 43 fg. May, das engl. Parlament S. 422 und beſonders Blackstone, Commentaries I. chap. 2. (15. Engl. Ausgabe. London 1809. Vol. I. p. 183 ff. Franzöſ. Ueberſ. von Chompré I. pag. 350 ff.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0029" n="15"/><fw place="top" type="header">§. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes.</fw><lb/> laſſen hatten <note place="foot" n="1)">Die Mittheilung der Reichsgeſetze Seitens des Kaiſers an die Reichs-<lb/> behörden und an die Kreis-Ausſchreibe-Aemter und Stände nannte man aller-<lb/> dings auch Publikation, gewöhnlich aber Inſinuation oder Intimation. Die<lb/> Art und Weiſe der Bekanntmachung war eine ſehr ungeregelte. <hi rendition="#g">Moſer</hi>,<lb/> Teutſches Staatsr. Bd. 50 S. 50 ff. Vrgl. auch <hi rendition="#g">Güterbock</hi>, Entſtehungs-<lb/> geſchichte der Carolina (1876) S. 199 fg.</note>. Die Bedeutung der feierlichen <hi rendition="#aq">Publicatio</hi> des<lb/> Reichs-Abſchiedes beſtand vielmehr darin, daß Exiſtenz und Wort-<lb/> laut der vom Kaiſer und Reichstag vereinbarten und vom Kaiſer<lb/> ſanctionirten Reichsgeſetze in ſolenner und authentiſcher Form con-<lb/> ſtatirt wurden; es war die »<hi rendition="#aq">solemnis editio</hi>« des Reichsgeſetzes.</p><lb/> <p>Eine ähnliche Einrichtung beſteht in <hi rendition="#g">England</hi>. Das Recht<lb/> der Krone, die von den beiden Häuſern genehmigten Bills zu ſanc-<lb/> tioniren, iſt ein Scheinrecht, da nach einem unbezweifelten Rechts-<lb/> ſatz die Krone die Genehmigung nicht verweigern darf <note place="foot" n="2)">Der letzte Fall, in welchem eine von dem Parlament genehmigte Bill<lb/> von der Krone verworfen wurde, ereignete ſich im Jahre 1707. Auch vorher<lb/> waren Fälle dieſer Art höchſt ſelten. Die Verpflichtung des Königs wird theils<lb/> aus dem von ihm geleiſteten Eid, theils aus der Stellung der dem Parla-<lb/> mente verantwortlichen Miniſter, auf deren Rath der König ſeine Regierungs-<lb/> handlungen vornimmt, hergeleitet. Vgl. <hi rendition="#g">Cox,</hi> Staatseinrichtungen Englands<lb/> S. 43 fg. <hi rendition="#g">May</hi>, das engl. Parlament S. 422 und beſonders <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Blackstone</hi>,<lb/> Commentaries I. chap.</hi> 2. (15. Engl. Ausgabe. London 1809. <hi rendition="#aq">Vol. I. p. 183 ff.</hi><lb/> Franzöſ. Ueberſ. von <hi rendition="#aq">Chompré I. pag. 350 ff.</hi>)</note>. Von<lb/> weſentlicher Bedeutung aber iſt die Befugniß der Krone, das Ge-<lb/> ſetz <hi rendition="#g">auszufertigen</hi>. Die alte und regelrechte Form der Er-<lb/> klärung des Geſetzes beſteht darin, daß der König in einer feier-<lb/> lichen Sitzung des Hauſes der Lords erſcheint, die Gemeinen an<lb/> die Schranke entbietet, vom Kron-Clerk die Titel der vom Parla-<lb/> ment beſchloſſenen Bills verleſen läßt und die Genehmigung der-<lb/> ſelben erklärt. Seit Stat. 33 Heinrich <hi rendition="#aq">VIII. c.</hi> 21 iſt ſtatt dieſer<lb/> Form auch die Erklärung durch Patent zuläſſig, welches vom König<lb/> eigenhändig unterſchrieben, von dem Kron-Clerk gegengezeichnet und<lb/> mit dem großen Staatsſiegel verſehen ſein muß. In feierlicher<lb/> Sitzung der Lords, zu welcher die Gemeinen geladen werden, wird<lb/> das Patent ſeinem ganzen Inhalte nach verleſen und die königliche<lb/> Genehmigungsklauſel wird von dem Clerk des Parlaments in das<lb/><note xml:id="seg2pn_2_2" prev="#seg2pn_2_1" place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Cap. 23 §. 33 sq. <hi rendition="#g">Pfeffinger</hi>,</hi> a. a. O. <hi rendition="#aq">nr.</hi> 98—100. <hi rendition="#g">Moſer</hi> a. a. O.<lb/> Daſelbſt findet ſich S. 283—295 eine genaue Beſchreibung aller Vorgänge bei<lb/> der „Publikation“ des Reichs-Abſchiedes von 1654.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0029]
§. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes.
laſſen hatten 1). Die Bedeutung der feierlichen Publicatio des
Reichs-Abſchiedes beſtand vielmehr darin, daß Exiſtenz und Wort-
laut der vom Kaiſer und Reichstag vereinbarten und vom Kaiſer
ſanctionirten Reichsgeſetze in ſolenner und authentiſcher Form con-
ſtatirt wurden; es war die »solemnis editio« des Reichsgeſetzes.
Eine ähnliche Einrichtung beſteht in England. Das Recht
der Krone, die von den beiden Häuſern genehmigten Bills zu ſanc-
tioniren, iſt ein Scheinrecht, da nach einem unbezweifelten Rechts-
ſatz die Krone die Genehmigung nicht verweigern darf 2). Von
weſentlicher Bedeutung aber iſt die Befugniß der Krone, das Ge-
ſetz auszufertigen. Die alte und regelrechte Form der Er-
klärung des Geſetzes beſteht darin, daß der König in einer feier-
lichen Sitzung des Hauſes der Lords erſcheint, die Gemeinen an
die Schranke entbietet, vom Kron-Clerk die Titel der vom Parla-
ment beſchloſſenen Bills verleſen läßt und die Genehmigung der-
ſelben erklärt. Seit Stat. 33 Heinrich VIII. c. 21 iſt ſtatt dieſer
Form auch die Erklärung durch Patent zuläſſig, welches vom König
eigenhändig unterſchrieben, von dem Kron-Clerk gegengezeichnet und
mit dem großen Staatsſiegel verſehen ſein muß. In feierlicher
Sitzung der Lords, zu welcher die Gemeinen geladen werden, wird
das Patent ſeinem ganzen Inhalte nach verleſen und die königliche
Genehmigungsklauſel wird von dem Clerk des Parlaments in das
1)
1) Die Mittheilung der Reichsgeſetze Seitens des Kaiſers an die Reichs-
behörden und an die Kreis-Ausſchreibe-Aemter und Stände nannte man aller-
dings auch Publikation, gewöhnlich aber Inſinuation oder Intimation. Die
Art und Weiſe der Bekanntmachung war eine ſehr ungeregelte. Moſer,
Teutſches Staatsr. Bd. 50 S. 50 ff. Vrgl. auch Güterbock, Entſtehungs-
geſchichte der Carolina (1876) S. 199 fg.
2) Der letzte Fall, in welchem eine von dem Parlament genehmigte Bill
von der Krone verworfen wurde, ereignete ſich im Jahre 1707. Auch vorher
waren Fälle dieſer Art höchſt ſelten. Die Verpflichtung des Königs wird theils
aus dem von ihm geleiſteten Eid, theils aus der Stellung der dem Parla-
mente verantwortlichen Miniſter, auf deren Rath der König ſeine Regierungs-
handlungen vornimmt, hergeleitet. Vgl. Cox, Staatseinrichtungen Englands
S. 43 fg. May, das engl. Parlament S. 422 und beſonders Blackstone,
Commentaries I. chap. 2. (15. Engl. Ausgabe. London 1809. Vol. I. p. 183 ff.
Franzöſ. Ueberſ. von Chompré I. pag. 350 ff.)
1) Cap. 23 §. 33 sq. Pfeffinger, a. a. O. nr. 98—100. Moſer a. a. O.
Daſelbſt findet ſich S. 283—295 eine genaue Beſchreibung aller Vorgänge bei
der „Publikation“ des Reichs-Abſchiedes von 1654.
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