Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 68. Die Formen der Verwaltung.
sie das einseitige Rechtsgeschäft des öffentlichen
Rechtes
nennen, im Gegensatz zu den eben erörterten zweiseitigen
Geschäften, den Verträgen. Dadurch ist zugleich der begriffliche Ge-
gensatz der Verfügung und des Gesetzes, oder des Verwaltungs-
befehls
und des Gesetzesbefehls ausgedrückt. Der Akt
der Gesetzgebung (im materiellen Sinne) ist kein Rechtsgeschäft und
begründet kein Rechtsverhältniß, sondern sanctionirt eine Rechts-
regel; der Verwaltungsbefehl schafft keine Rechtssätze, sondern
Rechtsverhältnisse, er begründet subjective Pflichten und ist Aus-
übung subjectiver Rechtsbefugnisse 1).

Die Verfügung ist ein Rechtsakt, sie muß deshalb auch
nach Inhalt und Form gewissen Erfordernissen des Rechts entsprechen.

a) Der Inhalt der Verfügung. Der in der Verfügung
enthaltene Befehl muß rechtlich begründet sein, d. h. die Befugniß
des Staates, Jemandem etwas zu befehlen oder zu verbieten, von
welcher die Verfügung Anwendung macht, muß durch einen Rechts-
satz anerkannt sein. Die dem Staatsbürger obliegende Gehorsams-
pflicht ist im modernen Staate keine ungemessene, deren Umfang
durch das Belieben der Regierung bestimmt werden könnte. Dies
ist nicht einmal für den Fall eines Nothstandes zuzugeben; es be-
steht im heutigen Recht kein ius eminens des Staates, welches
für die Zeit der Noth aus dem Staatsbürger einen Staatssclaven
machen würde, sondern zu jeder Zeit und unter allen Verhältnissen
sind die Rechte der Staatsgewalt gegen den Einzelnen durch Rechts-
sätze anerkannt und deshalb beschränkt. Jeder Verwaltungsbefehl
muß daher auf einem Gesetze beruhen, welches die Regierung mit
der Befugniß ausstattet, eine derartige Leistung, Handlung oder
Unterlassung von den Unterthanen zu verlangen. Es gilt dies
ausnahmslos und findet nicht blos auf die Einforderung von finan-
ziellen oder militärischen Leistungen, sondern in demselben Umfange
auf alle polizeilichen Gebote und Verbote Anwendung. Die Frage,
ob eine Verfügung einen Befehl enthält, zu dessen Erlaß die Re-
gierung befugt ist oder nicht, ist eine reine Rechtsfrage und

1) Deshalb gehören z. B. sogenannte Polizei-Verordnungen, welche ge-
wisse Handlungen allgemein mit Strafe bedrohen, nicht zu den Verwaltungs-
acten sondern zu den Gesetzgebungsacten, zu deren Vornahme die Polizei-
Behörden kraft Delegation befugt sind.

§. 68. Die Formen der Verwaltung.
ſie das einſeitige Rechtsgeſchäft des öffentlichen
Rechtes
nennen, im Gegenſatz zu den eben erörterten zweiſeitigen
Geſchäften, den Verträgen. Dadurch iſt zugleich der begriffliche Ge-
genſatz der Verfügung und des Geſetzes, oder des Verwaltungs-
befehls
und des Geſetzesbefehls ausgedrückt. Der Akt
der Geſetzgebung (im materiellen Sinne) iſt kein Rechtsgeſchäft und
begründet kein Rechtsverhältniß, ſondern ſanctionirt eine Rechts-
regel; der Verwaltungsbefehl ſchafft keine Rechtsſätze, ſondern
Rechtsverhältniſſe, er begründet ſubjective Pflichten und iſt Aus-
übung ſubjectiver Rechtsbefugniſſe 1).

Die Verfügung iſt ein Rechtsakt, ſie muß deshalb auch
nach Inhalt und Form gewiſſen Erforderniſſen des Rechts entſprechen.

a) Der Inhalt der Verfügung. Der in der Verfügung
enthaltene Befehl muß rechtlich begründet ſein, d. h. die Befugniß
des Staates, Jemandem etwas zu befehlen oder zu verbieten, von
welcher die Verfügung Anwendung macht, muß durch einen Rechts-
ſatz anerkannt ſein. Die dem Staatsbürger obliegende Gehorſams-
pflicht iſt im modernen Staate keine ungemeſſene, deren Umfang
durch das Belieben der Regierung beſtimmt werden könnte. Dies
iſt nicht einmal für den Fall eines Nothſtandes zuzugeben; es be-
ſteht im heutigen Recht kein ius eminens des Staates, welches
für die Zeit der Noth aus dem Staatsbürger einen Staatsſclaven
machen würde, ſondern zu jeder Zeit und unter allen Verhältniſſen
ſind die Rechte der Staatsgewalt gegen den Einzelnen durch Rechts-
ſätze anerkannt und deshalb beſchränkt. Jeder Verwaltungsbefehl
muß daher auf einem Geſetze beruhen, welches die Regierung mit
der Befugniß ausſtattet, eine derartige Leiſtung, Handlung oder
Unterlaſſung von den Unterthanen zu verlangen. Es gilt dies
ausnahmslos und findet nicht blos auf die Einforderung von finan-
ziellen oder militäriſchen Leiſtungen, ſondern in demſelben Umfange
auf alle polizeilichen Gebote und Verbote Anwendung. Die Frage,
ob eine Verfügung einen Befehl enthält, zu deſſen Erlaß die Re-
gierung befugt iſt oder nicht, iſt eine reine Rechtsfrage und

1) Deshalb gehören z. B. ſogenannte Polizei-Verordnungen, welche ge-
wiſſe Handlungen allgemein mit Strafe bedrohen, nicht zu den Verwaltungs-
acten ſondern zu den Geſetzgebungsacten, zu deren Vornahme die Polizei-
Behörden kraft Delegation befugt ſind.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0231" n="217"/><fw place="top" type="header">§. 68. Die Formen der Verwaltung.</fw><lb/>
&#x017F;ie das <hi rendition="#g">ein&#x017F;eitige Rechtsge&#x017F;chäft des öffentlichen<lb/>
Rechtes</hi> nennen, im Gegen&#x017F;atz zu den eben erörterten zwei&#x017F;eitigen<lb/>
Ge&#x017F;chäften, den Verträgen. Dadurch i&#x017F;t zugleich der begriffliche Ge-<lb/>
gen&#x017F;atz der Verfügung und des Ge&#x017F;etzes, oder des <hi rendition="#g">Verwaltungs-<lb/>
befehls</hi> und des <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etzesbefehls</hi> ausgedrückt. Der Akt<lb/>
der Ge&#x017F;etzgebung (im materiellen Sinne) i&#x017F;t kein Rechtsge&#x017F;chäft und<lb/>
begründet kein Rechtsverhältniß, &#x017F;ondern &#x017F;anctionirt eine Rechts-<lb/>
regel; der Verwaltungsbefehl &#x017F;chafft keine Rechts&#x017F;ätze, &#x017F;ondern<lb/>
Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e, er begründet &#x017F;ubjective Pflichten und i&#x017F;t Aus-<lb/>
übung &#x017F;ubjectiver Rechtsbefugni&#x017F;&#x017F;e <note place="foot" n="1)">Deshalb gehören z. B. &#x017F;ogenannte Polizei-Verordnungen, welche ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Handlungen allgemein mit Strafe bedrohen, nicht zu den Verwaltungs-<lb/>
acten &#x017F;ondern zu den Ge&#x017F;etzgebungsacten, zu deren Vornahme die Polizei-<lb/>
Behörden kraft Delegation befugt &#x017F;ind.</note>.</p><lb/>
            <p>Die Verfügung i&#x017F;t ein <hi rendition="#g">Rechtsa</hi>kt, &#x017F;ie muß deshalb auch<lb/>
nach Inhalt und Form gewi&#x017F;&#x017F;en Erforderni&#x017F;&#x017F;en des Rechts ent&#x017F;prechen.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#aq">a</hi>) <hi rendition="#g">Der Inhalt der Verfügung</hi>. Der in der Verfügung<lb/>
enthaltene Befehl muß rechtlich begründet &#x017F;ein, d. h. die Befugniß<lb/>
des Staates, Jemandem etwas zu befehlen oder zu verbieten, von<lb/>
welcher die Verfügung Anwendung macht, muß durch einen Rechts-<lb/>
&#x017F;atz anerkannt &#x017F;ein. Die dem Staatsbürger obliegende Gehor&#x017F;ams-<lb/>
pflicht i&#x017F;t im modernen Staate keine ungeme&#x017F;&#x017F;ene, deren Umfang<lb/>
durch das Belieben der Regierung be&#x017F;timmt werden könnte. Dies<lb/>
i&#x017F;t nicht einmal für den Fall eines Noth&#x017F;tandes zuzugeben; es be-<lb/>
&#x017F;teht im heutigen Recht kein <hi rendition="#aq">ius eminens</hi> des Staates, welches<lb/>
für die Zeit der Noth aus dem Staatsbürger einen Staats&#x017F;claven<lb/>
machen würde, &#x017F;ondern zu jeder Zeit und unter allen Verhältni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ind die Rechte der Staatsgewalt gegen den Einzelnen durch Rechts-<lb/>
&#x017F;ätze anerkannt und deshalb be&#x017F;chränkt. Jeder Verwaltungsbefehl<lb/>
muß daher auf einem Ge&#x017F;etze beruhen, welches die Regierung mit<lb/>
der Befugniß aus&#x017F;tattet, eine derartige Lei&#x017F;tung, Handlung oder<lb/>
Unterla&#x017F;&#x017F;ung von den Unterthanen zu verlangen. Es gilt dies<lb/>
ausnahmslos und findet nicht blos auf die Einforderung von finan-<lb/>
ziellen oder militäri&#x017F;chen Lei&#x017F;tungen, &#x017F;ondern in dem&#x017F;elben Umfange<lb/>
auf alle polizeilichen Gebote und Verbote Anwendung. Die Frage,<lb/>
ob eine Verfügung einen Befehl enthält, zu de&#x017F;&#x017F;en Erlaß die Re-<lb/>
gierung befugt i&#x017F;t oder nicht, i&#x017F;t eine <hi rendition="#g">reine Rechtsfrage</hi> und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0231] §. 68. Die Formen der Verwaltung. ſie das einſeitige Rechtsgeſchäft des öffentlichen Rechtes nennen, im Gegenſatz zu den eben erörterten zweiſeitigen Geſchäften, den Verträgen. Dadurch iſt zugleich der begriffliche Ge- genſatz der Verfügung und des Geſetzes, oder des Verwaltungs- befehls und des Geſetzesbefehls ausgedrückt. Der Akt der Geſetzgebung (im materiellen Sinne) iſt kein Rechtsgeſchäft und begründet kein Rechtsverhältniß, ſondern ſanctionirt eine Rechts- regel; der Verwaltungsbefehl ſchafft keine Rechtsſätze, ſondern Rechtsverhältniſſe, er begründet ſubjective Pflichten und iſt Aus- übung ſubjectiver Rechtsbefugniſſe 1). Die Verfügung iſt ein Rechtsakt, ſie muß deshalb auch nach Inhalt und Form gewiſſen Erforderniſſen des Rechts entſprechen. a) Der Inhalt der Verfügung. Der in der Verfügung enthaltene Befehl muß rechtlich begründet ſein, d. h. die Befugniß des Staates, Jemandem etwas zu befehlen oder zu verbieten, von welcher die Verfügung Anwendung macht, muß durch einen Rechts- ſatz anerkannt ſein. Die dem Staatsbürger obliegende Gehorſams- pflicht iſt im modernen Staate keine ungemeſſene, deren Umfang durch das Belieben der Regierung beſtimmt werden könnte. Dies iſt nicht einmal für den Fall eines Nothſtandes zuzugeben; es be- ſteht im heutigen Recht kein ius eminens des Staates, welches für die Zeit der Noth aus dem Staatsbürger einen Staatsſclaven machen würde, ſondern zu jeder Zeit und unter allen Verhältniſſen ſind die Rechte der Staatsgewalt gegen den Einzelnen durch Rechts- ſätze anerkannt und deshalb beſchränkt. Jeder Verwaltungsbefehl muß daher auf einem Geſetze beruhen, welches die Regierung mit der Befugniß ausſtattet, eine derartige Leiſtung, Handlung oder Unterlaſſung von den Unterthanen zu verlangen. Es gilt dies ausnahmslos und findet nicht blos auf die Einforderung von finan- ziellen oder militäriſchen Leiſtungen, ſondern in demſelben Umfange auf alle polizeilichen Gebote und Verbote Anwendung. Die Frage, ob eine Verfügung einen Befehl enthält, zu deſſen Erlaß die Re- gierung befugt iſt oder nicht, iſt eine reine Rechtsfrage und 1) Deshalb gehören z. B. ſogenannte Polizei-Verordnungen, welche ge- wiſſe Handlungen allgemein mit Strafe bedrohen, nicht zu den Verwaltungs- acten ſondern zu den Geſetzgebungsacten, zu deren Vornahme die Polizei- Behörden kraft Delegation befugt ſind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/231
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/231>, abgerufen am 23.11.2024.