Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 67. Der Begriff der Verwaltung.
der Gesetzgebung gegenüber. Die letztere Auffassung ist die in der
staatsrechtlichen Literatur herrschende; auf ihr beruht die Einthei-
lung der Staatsgewalt in die Legislative und in die Executive
oder vollziehende Gewalt. Auch hier wird der Begriff der Ver-
waltung im Gegensatz zur Gesetzgebung genommen. Aber nicht in
dem aus der französischen Doctrin von der Theilung der Gewalten
in die Deutsche Literatur übergegangenen Sinne. Man darf aus
der Gesetzgebung und Verwaltung nicht zwei verschiedene, von ein-
ander getrennte Gewalten oder materiell abgegränzte Theile der
Staatsgewalt machen. Vielmehr kömmt sowohl in der Gesetz-
gebung des Staates wie in der Verwaltung desselben die einheit-
liche und ungetheilte Staatsgewalt zur Erscheinung. Und anderer-
seits ist der Inhalt der Verwaltung in der Ausführung der Ge-
setze nicht erschöpft; sondern sie empfängt ihren Inhalt, gerade
wie die Gesetzgebung selbst, unmittelbar aus dem Wesen und den
Aufgaben des Staates. Das Verhältniß zwischen Gesetzgebung
und Verwaltung bestimmt sich durch folgende Erwägung.

Der Staat ist als Person ein handlungsfähiges Wesen. Er
hat die durch seinen Zweck ihm gestellten Aufgaben durch freie
Thätigkeit zu erfüllen; er vermag dies nur durch Handlungen,
gerade wie der einzelne Mensch. Dieselben haben ihre Quelle in
seinem Willen; nicht in einer Rechtsregel. Die Freiheit des
Willens hat aber eine doppelte Schranke, eine natürliche in dem
Maaß der Kräfte, und eine rechtliche in den Rechtssätzen, welche
gewisse Handlungen verbieten, zu anderen nöthigen. Ganz so wie
der einzelne Mensch seine individuellen Lebensaufgaben erfüllt
durch seine Thätigkeit, welche ihren Ursprung in seinem Wollen
hat, die aber durch sein Können und Dürfen ihre Gränzen findet,
so auch der Staat. Durch die Aufstellung von Gesetzen werden
die dem Staate obliegenden Aufgaben nicht realisirt; Gesetze sind
nichts Anderes als Regeln; sie sind an und für sich wirkungslos.
Ein Staat, der weiter Nichts thäte, als Gesetze geben, müßte so-
gleich der Auflösung verfallen; der Staat kann seine Lebensauf-
gaben durch die Aufstellung von Rechtsregeln ebensowenig verwirk-
lichen, wie man durch die Formulirung von Regeln der Mechanik
eine Maschine herstellen und in Thätigkeit erhalten kann. Es gilt
dies zunächst für die eine große Hauptaufgabe jedes Staates, für
die Aufrechterhaltung der Rechts-Ordnung. Dieser Aufgabe wird

§. 67. Der Begriff der Verwaltung.
der Geſetzgebung gegenüber. Die letztere Auffaſſung iſt die in der
ſtaatsrechtlichen Literatur herrſchende; auf ihr beruht die Einthei-
lung der Staatsgewalt in die Legislative und in die Executive
oder vollziehende Gewalt. Auch hier wird der Begriff der Ver-
waltung im Gegenſatz zur Geſetzgebung genommen. Aber nicht in
dem aus der franzöſiſchen Doctrin von der Theilung der Gewalten
in die Deutſche Literatur übergegangenen Sinne. Man darf aus
der Geſetzgebung und Verwaltung nicht zwei verſchiedene, von ein-
ander getrennte Gewalten oder materiell abgegränzte Theile der
Staatsgewalt machen. Vielmehr kömmt ſowohl in der Geſetz-
gebung des Staates wie in der Verwaltung deſſelben die einheit-
liche und ungetheilte Staatsgewalt zur Erſcheinung. Und anderer-
ſeits iſt der Inhalt der Verwaltung in der Ausführung der Ge-
ſetze nicht erſchöpft; ſondern ſie empfängt ihren Inhalt, gerade
wie die Geſetzgebung ſelbſt, unmittelbar aus dem Weſen und den
Aufgaben des Staates. Das Verhältniß zwiſchen Geſetzgebung
und Verwaltung beſtimmt ſich durch folgende Erwägung.

Der Staat iſt als Perſon ein handlungsfähiges Weſen. Er
hat die durch ſeinen Zweck ihm geſtellten Aufgaben durch freie
Thätigkeit zu erfüllen; er vermag dies nur durch Handlungen,
gerade wie der einzelne Menſch. Dieſelben haben ihre Quelle in
ſeinem Willen; nicht in einer Rechtsregel. Die Freiheit des
Willens hat aber eine doppelte Schranke, eine natürliche in dem
Maaß der Kräfte, und eine rechtliche in den Rechtsſätzen, welche
gewiſſe Handlungen verbieten, zu anderen nöthigen. Ganz ſo wie
der einzelne Menſch ſeine individuellen Lebensaufgaben erfüllt
durch ſeine Thätigkeit, welche ihren Urſprung in ſeinem Wollen
hat, die aber durch ſein Können und Dürfen ihre Gränzen findet,
ſo auch der Staat. Durch die Aufſtellung von Geſetzen werden
die dem Staate obliegenden Aufgaben nicht realiſirt; Geſetze ſind
nichts Anderes als Regeln; ſie ſind an und für ſich wirkungslos.
Ein Staat, der weiter Nichts thäte, als Geſetze geben, müßte ſo-
gleich der Auflöſung verfallen; der Staat kann ſeine Lebensauf-
gaben durch die Aufſtellung von Rechtsregeln ebenſowenig verwirk-
lichen, wie man durch die Formulirung von Regeln der Mechanik
eine Maſchine herſtellen und in Thätigkeit erhalten kann. Es gilt
dies zunächſt für die eine große Hauptaufgabe jedes Staates, für
die Aufrechterhaltung der Rechts-Ordnung. Dieſer Aufgabe wird

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0213" n="199"/><fw place="top" type="header">§. 67. Der Begriff der Verwaltung.</fw><lb/>
der Ge&#x017F;etzgebung gegenüber. Die letztere Auffa&#x017F;&#x017F;ung i&#x017F;t die in der<lb/>
&#x017F;taatsrechtlichen Literatur herr&#x017F;chende; auf ihr beruht die Einthei-<lb/>
lung der Staatsgewalt in die Legislative und in die Executive<lb/>
oder vollziehende Gewalt. Auch hier wird der Begriff der Ver-<lb/>
waltung im Gegen&#x017F;atz zur Ge&#x017F;etzgebung genommen. Aber nicht in<lb/>
dem aus der franzö&#x017F;i&#x017F;chen Doctrin von der Theilung der Gewalten<lb/>
in die Deut&#x017F;che Literatur übergegangenen Sinne. Man darf aus<lb/>
der Ge&#x017F;etzgebung und Verwaltung nicht zwei ver&#x017F;chiedene, von ein-<lb/>
ander getrennte Gewalten oder materiell abgegränzte Theile der<lb/>
Staatsgewalt machen. Vielmehr kömmt &#x017F;owohl in der Ge&#x017F;etz-<lb/>
gebung des Staates wie in der Verwaltung de&#x017F;&#x017F;elben die einheit-<lb/>
liche und ungetheilte Staatsgewalt zur Er&#x017F;cheinung. Und anderer-<lb/>
&#x017F;eits i&#x017F;t der Inhalt der Verwaltung in der Ausführung der Ge-<lb/>
&#x017F;etze nicht er&#x017F;chöpft; &#x017F;ondern &#x017F;ie empfängt ihren Inhalt, gerade<lb/>
wie die Ge&#x017F;etzgebung &#x017F;elb&#x017F;t, unmittelbar aus dem We&#x017F;en und den<lb/>
Aufgaben des Staates. Das Verhältniß zwi&#x017F;chen Ge&#x017F;etzgebung<lb/>
und Verwaltung be&#x017F;timmt &#x017F;ich durch folgende Erwägung.</p><lb/>
            <p>Der Staat i&#x017F;t als Per&#x017F;on ein handlungsfähiges We&#x017F;en. Er<lb/>
hat die durch &#x017F;einen Zweck ihm ge&#x017F;tellten Aufgaben durch freie<lb/>
Thätigkeit zu erfüllen; er vermag dies nur durch Handlungen,<lb/>
gerade wie der einzelne Men&#x017F;ch. Die&#x017F;elben haben ihre Quelle in<lb/>
&#x017F;einem Willen; nicht in einer Rechtsregel. Die Freiheit des<lb/>
Willens hat aber eine doppelte Schranke, eine natürliche in dem<lb/>
Maaß der Kräfte, und eine rechtliche in den Rechts&#x017F;ätzen, welche<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e Handlungen verbieten, zu anderen nöthigen. Ganz &#x017F;o wie<lb/>
der einzelne Men&#x017F;ch &#x017F;eine individuellen Lebensaufgaben erfüllt<lb/>
durch &#x017F;eine Thätigkeit, welche ihren Ur&#x017F;prung in &#x017F;einem Wollen<lb/>
hat, die aber durch &#x017F;ein Können und Dürfen ihre Gränzen findet,<lb/>
&#x017F;o auch der Staat. Durch die Auf&#x017F;tellung von Ge&#x017F;etzen werden<lb/>
die dem Staate obliegenden Aufgaben nicht reali&#x017F;irt; Ge&#x017F;etze &#x017F;ind<lb/>
nichts Anderes als Regeln; &#x017F;ie &#x017F;ind an und für &#x017F;ich wirkungslos.<lb/>
Ein Staat, der weiter Nichts thäte, als Ge&#x017F;etze geben, müßte &#x017F;o-<lb/>
gleich der Auflö&#x017F;ung verfallen; der Staat kann &#x017F;eine Lebensauf-<lb/>
gaben durch die Auf&#x017F;tellung von Rechtsregeln eben&#x017F;owenig verwirk-<lb/>
lichen, wie man durch die Formulirung von Regeln der Mechanik<lb/>
eine Ma&#x017F;chine her&#x017F;tellen und in Thätigkeit erhalten kann. Es gilt<lb/>
dies zunäch&#x017F;t für die eine große Hauptaufgabe jedes Staates, für<lb/>
die Aufrechterhaltung der Rechts-Ordnung. Die&#x017F;er Aufgabe wird<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0213] §. 67. Der Begriff der Verwaltung. der Geſetzgebung gegenüber. Die letztere Auffaſſung iſt die in der ſtaatsrechtlichen Literatur herrſchende; auf ihr beruht die Einthei- lung der Staatsgewalt in die Legislative und in die Executive oder vollziehende Gewalt. Auch hier wird der Begriff der Ver- waltung im Gegenſatz zur Geſetzgebung genommen. Aber nicht in dem aus der franzöſiſchen Doctrin von der Theilung der Gewalten in die Deutſche Literatur übergegangenen Sinne. Man darf aus der Geſetzgebung und Verwaltung nicht zwei verſchiedene, von ein- ander getrennte Gewalten oder materiell abgegränzte Theile der Staatsgewalt machen. Vielmehr kömmt ſowohl in der Geſetz- gebung des Staates wie in der Verwaltung deſſelben die einheit- liche und ungetheilte Staatsgewalt zur Erſcheinung. Und anderer- ſeits iſt der Inhalt der Verwaltung in der Ausführung der Ge- ſetze nicht erſchöpft; ſondern ſie empfängt ihren Inhalt, gerade wie die Geſetzgebung ſelbſt, unmittelbar aus dem Weſen und den Aufgaben des Staates. Das Verhältniß zwiſchen Geſetzgebung und Verwaltung beſtimmt ſich durch folgende Erwägung. Der Staat iſt als Perſon ein handlungsfähiges Weſen. Er hat die durch ſeinen Zweck ihm geſtellten Aufgaben durch freie Thätigkeit zu erfüllen; er vermag dies nur durch Handlungen, gerade wie der einzelne Menſch. Dieſelben haben ihre Quelle in ſeinem Willen; nicht in einer Rechtsregel. Die Freiheit des Willens hat aber eine doppelte Schranke, eine natürliche in dem Maaß der Kräfte, und eine rechtliche in den Rechtsſätzen, welche gewiſſe Handlungen verbieten, zu anderen nöthigen. Ganz ſo wie der einzelne Menſch ſeine individuellen Lebensaufgaben erfüllt durch ſeine Thätigkeit, welche ihren Urſprung in ſeinem Wollen hat, die aber durch ſein Können und Dürfen ihre Gränzen findet, ſo auch der Staat. Durch die Aufſtellung von Geſetzen werden die dem Staate obliegenden Aufgaben nicht realiſirt; Geſetze ſind nichts Anderes als Regeln; ſie ſind an und für ſich wirkungslos. Ein Staat, der weiter Nichts thäte, als Geſetze geben, müßte ſo- gleich der Auflöſung verfallen; der Staat kann ſeine Lebensauf- gaben durch die Aufſtellung von Rechtsregeln ebenſowenig verwirk- lichen, wie man durch die Formulirung von Regeln der Mechanik eine Maſchine herſtellen und in Thätigkeit erhalten kann. Es gilt dies zunächſt für die eine große Hauptaufgabe jedes Staates, für die Aufrechterhaltung der Rechts-Ordnung. Dieſer Aufgabe wird

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/213
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/213>, abgerufen am 27.11.2024.