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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 65. Die staatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge.
findet beispielsweise Anwendung auf Staatsverträge, welche eine
Veränderung des Bundesgebietes (R.-V. Art. 1) zum Gegenstande
haben, ohne Unterschied, ob der Vertrag ein Friedensschluß ist
oder ob er ohne vorausgegangenen Krieg abgeschlossen worden ist 1).
Sollte ein Staatsvertrag einen mit der Verf. im Widerspruch
stehenden Inhalt haben, z. B. die Anordnungen derselben über
das Eisenbahnwesen oder über das Post- und Telegraphenwesen
modificiren oder die Fortdauer eines Landeskonsulates zugestehen
(Art. 56) oder die Grenzen des Bundesgebietes abändern u. dgl.,
so wäre es zwar correct und empfehlenswerth, durch ein besonde-
res Gesetz den Wortlaut der Verfassung entsprechend abzuändern;
für die Vollstreckbarkeit des Vertrages kann dies aber ebensowenig
als rechtliches Erforderniß aufgestellt werden, wie für die Gültig-
keit eines die Verfassung abändernden Gesetzes. Siehe oben
S. 37 ff.

b) Wenn die Vollziehung des Staatsvertrages in die Son-
derrechte
einzelner Bundesstaaten eingreift, so ist die besondere
Zustimmung der betheiligten Bundesstaaten erforderlich. Der in
Art. 78 Abs. 2 der R.-V. zugesicherte Schutz der Sonderrechte
wäre ein vollkommen illusorischer, wenn er sich nur auf den ge-
wöhnlichen Weg der Gesetzgebung und nicht auch auf den Fall
der Genehmigung eines internationalen Vertrages bezöge. Aus
dem oben Bd. I. §. 11 entwickelten Begriff dieser Rechte ergiebt
sich, daß dieselben materielle Schranken der dem Reiche zustehenden

1) Art. 11 Abs. 1 führt neben einander auf "Frieden, Bündnisse
und andere Verträge mit fremden Staaten"; Abs. 3 des Art. 11 spricht
dann von Verträgen mit fremden Staaten; es könnte daher die Meinung
entstehen, als beziehe sich der Abs. 3 nur auf solche Verträge, welche weder
Frieden noch Bündnisse sind. Allein eine solche Auslegung würde weder dem
Wortlaute noch dem Sinne entsprechen. Dem Wortlaute nicht, weil Abs. 3
aus der Gesammtmasse der Verträge diejenigen heraushebt, welche sich auf
Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, also ein ganz anderes funda-
mentum divisionis
wie die Aufzählung im Abs. 1 dess. Artikels zur Grund-
lage hat; dem Sinne nach nicht, weil Abs. 1 -- wie im Texte ausgeführt --
die völkerrechtliche Legitimation zum Abschlusse, Abs. 3 die staatsrechtlichen
Erfordernisse der Vollziehbarkeit betrifft. Für die Gleichstellung der Friedens-
verträge mit andern Staatsverträgen entscheiden sich Hiersemenzel S. 52.
Thudichum S. 93. Seydel S. 117. Westerkamp S. 43; die ent-
gegengesetzte Ansicht vertreten v. Rönne a. a. O. S. 63 und Meier
S. 306 fg.

§. 65. Die ſtaatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge.
findet beiſpielsweiſe Anwendung auf Staatsverträge, welche eine
Veränderung des Bundesgebietes (R.-V. Art. 1) zum Gegenſtande
haben, ohne Unterſchied, ob der Vertrag ein Friedensſchluß iſt
oder ob er ohne vorausgegangenen Krieg abgeſchloſſen worden iſt 1).
Sollte ein Staatsvertrag einen mit der Verf. im Widerſpruch
ſtehenden Inhalt haben, z. B. die Anordnungen derſelben über
das Eiſenbahnweſen oder über das Poſt- und Telegraphenweſen
modificiren oder die Fortdauer eines Landeskonſulates zugeſtehen
(Art. 56) oder die Grenzen des Bundesgebietes abändern u. dgl.,
ſo wäre es zwar correct und empfehlenswerth, durch ein beſonde-
res Geſetz den Wortlaut der Verfaſſung entſprechend abzuändern;
für die Vollſtreckbarkeit des Vertrages kann dies aber ebenſowenig
als rechtliches Erforderniß aufgeſtellt werden, wie für die Gültig-
keit eines die Verfaſſung abändernden Geſetzes. Siehe oben
S. 37 ff.

b) Wenn die Vollziehung des Staatsvertrages in die Son-
derrechte
einzelner Bundesſtaaten eingreift, ſo iſt die beſondere
Zuſtimmung der betheiligten Bundesſtaaten erforderlich. Der in
Art. 78 Abſ. 2 der R.-V. zugeſicherte Schutz der Sonderrechte
wäre ein vollkommen illuſoriſcher, wenn er ſich nur auf den ge-
wöhnlichen Weg der Geſetzgebung und nicht auch auf den Fall
der Genehmigung eines internationalen Vertrages bezöge. Aus
dem oben Bd. I. §. 11 entwickelten Begriff dieſer Rechte ergiebt
ſich, daß dieſelben materielle Schranken der dem Reiche zuſtehenden

1) Art. 11 Abſ. 1 führt neben einander auf „Frieden, Bündniſſe
und andere Verträge mit fremden Staaten“; Abſ. 3 des Art. 11 ſpricht
dann von Verträgen mit fremden Staaten; es könnte daher die Meinung
entſtehen, als beziehe ſich der Abſ. 3 nur auf ſolche Verträge, welche weder
Frieden noch Bündniſſe ſind. Allein eine ſolche Auslegung würde weder dem
Wortlaute noch dem Sinne entſprechen. Dem Wortlaute nicht, weil Abſ. 3
aus der Geſammtmaſſe der Verträge diejenigen heraushebt, welche ſich auf
Gegenſtände der Reichsgeſetzgebung beziehen, alſo ein ganz anderes funda-
mentum divisionis
wie die Aufzählung im Abſ. 1 deſſ. Artikels zur Grund-
lage hat; dem Sinne nach nicht, weil Abſ. 1 — wie im Texte ausgeführt —
die völkerrechtliche Legitimation zum Abſchluſſe, Abſ. 3 die ſtaatsrechtlichen
Erforderniſſe der Vollziehbarkeit betrifft. Für die Gleichſtellung der Friedens-
verträge mit andern Staatsverträgen entſcheiden ſich Hierſemenzel S. 52.
Thudichum S. 93. Seydel S. 117. Weſterkamp S. 43; die ent-
gegengeſetzte Anſicht vertreten v. Rönne a. a. O. S. 63 und Meier
S. 306 fg.
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[190/0204] §. 65. Die ſtaatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge. findet beiſpielsweiſe Anwendung auf Staatsverträge, welche eine Veränderung des Bundesgebietes (R.-V. Art. 1) zum Gegenſtande haben, ohne Unterſchied, ob der Vertrag ein Friedensſchluß iſt oder ob er ohne vorausgegangenen Krieg abgeſchloſſen worden iſt 1). Sollte ein Staatsvertrag einen mit der Verf. im Widerſpruch ſtehenden Inhalt haben, z. B. die Anordnungen derſelben über das Eiſenbahnweſen oder über das Poſt- und Telegraphenweſen modificiren oder die Fortdauer eines Landeskonſulates zugeſtehen (Art. 56) oder die Grenzen des Bundesgebietes abändern u. dgl., ſo wäre es zwar correct und empfehlenswerth, durch ein beſonde- res Geſetz den Wortlaut der Verfaſſung entſprechend abzuändern; für die Vollſtreckbarkeit des Vertrages kann dies aber ebenſowenig als rechtliches Erforderniß aufgeſtellt werden, wie für die Gültig- keit eines die Verfaſſung abändernden Geſetzes. Siehe oben S. 37 ff. b) Wenn die Vollziehung des Staatsvertrages in die Son- derrechte einzelner Bundesſtaaten eingreift, ſo iſt die beſondere Zuſtimmung der betheiligten Bundesſtaaten erforderlich. Der in Art. 78 Abſ. 2 der R.-V. zugeſicherte Schutz der Sonderrechte wäre ein vollkommen illuſoriſcher, wenn er ſich nur auf den ge- wöhnlichen Weg der Geſetzgebung und nicht auch auf den Fall der Genehmigung eines internationalen Vertrages bezöge. Aus dem oben Bd. I. §. 11 entwickelten Begriff dieſer Rechte ergiebt ſich, daß dieſelben materielle Schranken der dem Reiche zuſtehenden 1) Art. 11 Abſ. 1 führt neben einander auf „Frieden, Bündniſſe und andere Verträge mit fremden Staaten“; Abſ. 3 des Art. 11 ſpricht dann von Verträgen mit fremden Staaten; es könnte daher die Meinung entſtehen, als beziehe ſich der Abſ. 3 nur auf ſolche Verträge, welche weder Frieden noch Bündniſſe ſind. Allein eine ſolche Auslegung würde weder dem Wortlaute noch dem Sinne entſprechen. Dem Wortlaute nicht, weil Abſ. 3 aus der Geſammtmaſſe der Verträge diejenigen heraushebt, welche ſich auf Gegenſtände der Reichsgeſetzgebung beziehen, alſo ein ganz anderes funda- mentum divisionis wie die Aufzählung im Abſ. 1 deſſ. Artikels zur Grund- lage hat; dem Sinne nach nicht, weil Abſ. 1 — wie im Texte ausgeführt — die völkerrechtliche Legitimation zum Abſchluſſe, Abſ. 3 die ſtaatsrechtlichen Erforderniſſe der Vollziehbarkeit betrifft. Für die Gleichſtellung der Friedens- verträge mit andern Staatsverträgen entſcheiden ſich Hierſemenzel S. 52. Thudichum S. 93. Seydel S. 117. Weſterkamp S. 43; die ent- gegengeſetzte Anſicht vertreten v. Rönne a. a. O. S. 63 und Meier S. 306 fg.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/204>, abgerufen am 27.11.2024.