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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 63. Begriff und juristische Natur der Staatsverträge.
zugsweise mit dem Abschlusse und nur nebenher und in flüchtiger
Kürze mit der Verkündigung der Staatsverträge zu beschäftigen,
da diese Verkündigung ihrem äußeren Bestande nach nichts weiter
enthält als den Wortlaut des Vertrages.

War diese Form schon vor der Einführung der constit. Verf.
eine incorrecte, so ist sie nach derselben eine durchaus verwerf-
liche
. Denn an dem Abschluß des Vertrages ist der Landtag
niemals betheiligt; dagegen kann der Befehl, den Vertrag zu be-
folgen, in allen Fällen, in denen der Vertrag in den Bereich der
Gesetzgebung eingreift, vom König nicht ohne Zustimmung des
Landtages erlassen werden. Die Mittheilung der Thatsache, daß
der König einen Staatsvertrag abgeschlossen hat, involvirt nicht
mehr die selbstverständliche Anordnung, diesen Vertrag zu befolgen;
denn diese Anordnung hat noch eine andere Voraussetzung als
den Willen des Königs, nämlich die Zustimmung des Landtages;
folglich sollte diese Anordnung nicht mehr stillschweigend er-
theilt werden, sondern unter Constatirung der vom Landtage er-
theilten Genehmigung.

Daß man die vor 1848 bestehende Form beibehalten hat, be-
ruhte Anfangs vielleicht auf einem Irrthum über die juristische
Bedeutung der Verkündigung; und -- wie unten näher ausgeführt
werden wird -- darauf, daß man eine doppelte Ausfertigung des
Vertrages unterließ; daß man sie später nicht änderte, auf der
Macht der Gewohnheit.

Im höchsten Grade zu bedauern ist es aber, daß die Preuß.
Art der Verkündigung im Nordd. Bunde und im Deutschen Reiche
beibehalten worden ist; denn hier ist der Kaiser nicht der Souve-
rain, hier kömmt nicht blos der Reichstag sondern auch der Bun-
desrath als ein eigenartiger Faktor in Betracht; hier wird das
Verhältniß der vom Reich ausgehenden Befehle zu den Befehlen
der Einzelstaaten, insbesondere also auch das Verhältniß der Staats-
verträge des Reiches zu den Landesgesetzen der Einzelstaaten von
Wichtigkeit; hier können die Sonderrechte der Einzelstaaten in Be-
tracht kommen u. s. w. Der bloße Abdruck des Vertrages in dem
Reichsgesetzblatt ohne jede Promulgationsformel trägt allen diesen
Fragen keine Rechnung; er läßt den staatsrechtlichen Vorgang,
welcher dem internationalen Rechtsgeschäft die Bedeutung rechts-
verbindlicher Normen verschafft, völlig im Dunkeln, und er ist

§. 63. Begriff und juriſtiſche Natur der Staatsverträge.
zugsweiſe mit dem Abſchluſſe und nur nebenher und in flüchtiger
Kürze mit der Verkündigung der Staatsverträge zu beſchäftigen,
da dieſe Verkündigung ihrem äußeren Beſtande nach nichts weiter
enthält als den Wortlaut des Vertrages.

War dieſe Form ſchon vor der Einführung der conſtit. Verf.
eine incorrecte, ſo iſt ſie nach derſelben eine durchaus verwerf-
liche
. Denn an dem Abſchluß des Vertrages iſt der Landtag
niemals betheiligt; dagegen kann der Befehl, den Vertrag zu be-
folgen, in allen Fällen, in denen der Vertrag in den Bereich der
Geſetzgebung eingreift, vom König nicht ohne Zuſtimmung des
Landtages erlaſſen werden. Die Mittheilung der Thatſache, daß
der König einen Staatsvertrag abgeſchloſſen hat, involvirt nicht
mehr die ſelbſtverſtändliche Anordnung, dieſen Vertrag zu befolgen;
denn dieſe Anordnung hat noch eine andere Vorausſetzung als
den Willen des Königs, nämlich die Zuſtimmung des Landtages;
folglich ſollte dieſe Anordnung nicht mehr ſtillſchweigend er-
theilt werden, ſondern unter Conſtatirung der vom Landtage er-
theilten Genehmigung.

Daß man die vor 1848 beſtehende Form beibehalten hat, be-
ruhte Anfangs vielleicht auf einem Irrthum über die juriſtiſche
Bedeutung der Verkündigung; und — wie unten näher ausgeführt
werden wird — darauf, daß man eine doppelte Ausfertigung des
Vertrages unterließ; daß man ſie ſpäter nicht änderte, auf der
Macht der Gewohnheit.

Im höchſten Grade zu bedauern iſt es aber, daß die Preuß.
Art der Verkündigung im Nordd. Bunde und im Deutſchen Reiche
beibehalten worden iſt; denn hier iſt der Kaiſer nicht der Souve-
rain, hier kömmt nicht blos der Reichstag ſondern auch der Bun-
desrath als ein eigenartiger Faktor in Betracht; hier wird das
Verhältniß der vom Reich ausgehenden Befehle zu den Befehlen
der Einzelſtaaten, insbeſondere alſo auch das Verhältniß der Staats-
verträge des Reiches zu den Landesgeſetzen der Einzelſtaaten von
Wichtigkeit; hier können die Sonderrechte der Einzelſtaaten in Be-
tracht kommen u. ſ. w. Der bloße Abdruck des Vertrages in dem
Reichsgeſetzblatt ohne jede Promulgationsformel trägt allen dieſen
Fragen keine Rechnung; er läßt den ſtaatsrechtlichen Vorgang,
welcher dem internationalen Rechtsgeſchäft die Bedeutung rechts-
verbindlicher Normen verſchafft, völlig im Dunkeln, und er iſt

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[159/0173] §. 63. Begriff und juriſtiſche Natur der Staatsverträge. zugsweiſe mit dem Abſchluſſe und nur nebenher und in flüchtiger Kürze mit der Verkündigung der Staatsverträge zu beſchäftigen, da dieſe Verkündigung ihrem äußeren Beſtande nach nichts weiter enthält als den Wortlaut des Vertrages. War dieſe Form ſchon vor der Einführung der conſtit. Verf. eine incorrecte, ſo iſt ſie nach derſelben eine durchaus verwerf- liche. Denn an dem Abſchluß des Vertrages iſt der Landtag niemals betheiligt; dagegen kann der Befehl, den Vertrag zu be- folgen, in allen Fällen, in denen der Vertrag in den Bereich der Geſetzgebung eingreift, vom König nicht ohne Zuſtimmung des Landtages erlaſſen werden. Die Mittheilung der Thatſache, daß der König einen Staatsvertrag abgeſchloſſen hat, involvirt nicht mehr die ſelbſtverſtändliche Anordnung, dieſen Vertrag zu befolgen; denn dieſe Anordnung hat noch eine andere Vorausſetzung als den Willen des Königs, nämlich die Zuſtimmung des Landtages; folglich ſollte dieſe Anordnung nicht mehr ſtillſchweigend er- theilt werden, ſondern unter Conſtatirung der vom Landtage er- theilten Genehmigung. Daß man die vor 1848 beſtehende Form beibehalten hat, be- ruhte Anfangs vielleicht auf einem Irrthum über die juriſtiſche Bedeutung der Verkündigung; und — wie unten näher ausgeführt werden wird — darauf, daß man eine doppelte Ausfertigung des Vertrages unterließ; daß man ſie ſpäter nicht änderte, auf der Macht der Gewohnheit. Im höchſten Grade zu bedauern iſt es aber, daß die Preuß. Art der Verkündigung im Nordd. Bunde und im Deutſchen Reiche beibehalten worden iſt; denn hier iſt der Kaiſer nicht der Souve- rain, hier kömmt nicht blos der Reichstag ſondern auch der Bun- desrath als ein eigenartiger Faktor in Betracht; hier wird das Verhältniß der vom Reich ausgehenden Befehle zu den Befehlen der Einzelſtaaten, insbeſondere alſo auch das Verhältniß der Staats- verträge des Reiches zu den Landesgeſetzen der Einzelſtaaten von Wichtigkeit; hier können die Sonderrechte der Einzelſtaaten in Be- tracht kommen u. ſ. w. Der bloße Abdruck des Vertrages in dem Reichsgeſetzblatt ohne jede Promulgationsformel trägt allen dieſen Fragen keine Rechnung; er läßt den ſtaatsrechtlichen Vorgang, welcher dem internationalen Rechtsgeſchäft die Bedeutung rechts- verbindlicher Normen verſchafft, völlig im Dunkeln, und er iſt

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/173>, abgerufen am 23.11.2024.