Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 62. Die Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen.

Auch Verordnungen des Bundesrathes für Elsaß-
Lothringen waren nach dem Gesetz v. 9. Juni 1871 nicht für zu-
lässig zu erachten, obgleich sie an und für sich ja möglich und durch
den Wortlaut jenes Gesetzes nicht ausdrücklich verboten waren.
Das Gesetz schloß sie aber mittelbar aus durch Anerkennung des
Grundsatzes, daß der Kaiser die Staatsgewalt ausübt, da der Er-
laß einer Verordnung eine Ausübung der Staatsgewalt ist. Das
Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen enthält auch in der That keine
Verordnungen des Bundesrathes aus der Zeit der Herrschaft des
Gesetzes vom 9. Juni 1871, abgesehen von der Abgrenzung der
Reichstags-Wahlbezirke und der Ergänzung des Wahlreglements
v. 1. Dez. 1873, wozu der Bundesrath durch das Ges. v. 25. Juni
1873 §. 6 ermächtigt worden war. Eine Ausnahme macht nur
das Bahnpolizei-Reglement, welches nach einer Bekannt-
machung des Reichskanzlers v. 29. Dez. 1871 "auf Beschluß des
Bundesrathes in Elsaß-Lothringen vom 1. Jan. 1872 an in Kraft
tritt" (G.-Bl. 1872 S. 92) 1). Soweit dasselbe lediglich die Ver-
waltung
der Reichs-Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen regelt, war
der Reichskanzler unzweifelhaft befugt, die Befolgung des Bundes-
raths-Beschlusses den ihm unterstellten Behörden anzubefehlen; so
weit dieses Reglement aber in den §§. 67--70 Bestimmungen aus
dem Bereich des Strafrechts und des Strafprocesses enthält, war
weder der Bundesrath für das Reich, noch der Reichskanzler für

derselbe konnte dieselbe daher nicht in der Art verwenden, daß er sich selbst
auf Grund derselben seine Gesetzgebungs-Befugniß verlängert. Mit Einf.
der R.-V. sollte die Theilnahme des Reichstages an der Gesetzgebung eintreten;
es konnte daher nicht während des Provisoriums angeordnet werden, daß die
Form der Gesetzgebung für gewisse Gegenstände ausgeschlossen bleiben solle.
Das Ges. v. 15. Okt. 1873 §. 2 wiederholt aber nur einen Satz, der für das
Reich bereits durch das Ges. v. 2. Juni 1869 §. 3 Anerkennung gefunden
hatte. -- Auch das Gesetz v. 13. Juli 1873 (G.-Bl. S. 165) führt an Stelle der
bis dahin erforderlichen Form des Gesetzes die Form der Kaiserl. Ver-
ordnung
ein für die Ermächtigung der Bezirke, Gemeinden und anderen
Korporationen zur Aufnahme von Anleihen und zur Erhebung von Steuerzu-
schlägen. Dieser Fall betrifft nicht die Normirung des Rechts, sondern die
staatliche Aufsicht über die Finanzwirthschaft der Bezirke, Gemeinden u. s. w.,
also die Verwaltung; ist aber immerhin bedenklich.
1) Dasselbe ist übrigens erst am 31. Januar 1872 verkündigt worden,
kann also vorher nicht rechtliche Gültigkeit erlangt haben.
§. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen.

Auch Verordnungen des Bundesrathes für Elſaß-
Lothringen waren nach dem Geſetz v. 9. Juni 1871 nicht für zu-
läſſig zu erachten, obgleich ſie an und für ſich ja möglich und durch
den Wortlaut jenes Geſetzes nicht ausdrücklich verboten waren.
Das Geſetz ſchloß ſie aber mittelbar aus durch Anerkennung des
Grundſatzes, daß der Kaiſer die Staatsgewalt ausübt, da der Er-
laß einer Verordnung eine Ausübung der Staatsgewalt iſt. Das
Geſetzblatt für Elſaß-Lothringen enthält auch in der That keine
Verordnungen des Bundesrathes aus der Zeit der Herrſchaft des
Geſetzes vom 9. Juni 1871, abgeſehen von der Abgrenzung der
Reichstags-Wahlbezirke und der Ergänzung des Wahlreglements
v. 1. Dez. 1873, wozu der Bundesrath durch das Geſ. v. 25. Juni
1873 §. 6 ermächtigt worden war. Eine Ausnahme macht nur
das Bahnpolizei-Reglement, welches nach einer Bekannt-
machung des Reichskanzlers v. 29. Dez. 1871 „auf Beſchluß des
Bundesrathes in Elſaß-Lothringen vom 1. Jan. 1872 an in Kraft
tritt“ (G.-Bl. 1872 S. 92) 1). Soweit daſſelbe lediglich die Ver-
waltung
der Reichs-Eiſenbahnen in Elſaß-Lothringen regelt, war
der Reichskanzler unzweifelhaft befugt, die Befolgung des Bundes-
raths-Beſchluſſes den ihm unterſtellten Behörden anzubefehlen; ſo
weit dieſes Reglement aber in den §§. 67—70 Beſtimmungen aus
dem Bereich des Strafrechts und des Strafproceſſes enthält, war
weder der Bundesrath für das Reich, noch der Reichskanzler für

derſelbe konnte dieſelbe daher nicht in der Art verwenden, daß er ſich ſelbſt
auf Grund derſelben ſeine Geſetzgebungs-Befugniß verlängert. Mit Einf.
der R.-V. ſollte die Theilnahme des Reichstages an der Geſetzgebung eintreten;
es konnte daher nicht während des Proviſoriums angeordnet werden, daß die
Form der Geſetzgebung für gewiſſe Gegenſtände ausgeſchloſſen bleiben ſolle.
Das Geſ. v. 15. Okt. 1873 §. 2 wiederholt aber nur einen Satz, der für das
Reich bereits durch das Geſ. v. 2. Juni 1869 §. 3 Anerkennung gefunden
hatte. — Auch das Geſetz v. 13. Juli 1873 (G.-Bl. S. 165) führt an Stelle der
bis dahin erforderlichen Form des Geſetzes die Form der Kaiſerl. Ver-
ordnung
ein für die Ermächtigung der Bezirke, Gemeinden und anderen
Korporationen zur Aufnahme von Anleihen und zur Erhebung von Steuerzu-
ſchlägen. Dieſer Fall betrifft nicht die Normirung des Rechts, ſondern die
ſtaatliche Aufſicht über die Finanzwirthſchaft der Bezirke, Gemeinden u. ſ. w.,
alſo die Verwaltung; iſt aber immerhin bedenklich.
1) Daſſelbe iſt übrigens erſt am 31. Januar 1872 verkündigt worden,
kann alſo vorher nicht rechtliche Gültigkeit erlangt haben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0146" n="132"/>
            <fw place="top" type="header">§. 62. Die Ge&#x017F;etzgebung für El&#x017F;aß-Lothringen.</fw><lb/>
            <p>Auch <hi rendition="#g">Verordnungen des Bundesrathes</hi> für El&#x017F;aß-<lb/>
Lothringen waren nach dem Ge&#x017F;etz v. 9. Juni 1871 nicht für zu-<lb/>&#x017F;&#x017F;ig zu erachten, obgleich &#x017F;ie an und für &#x017F;ich ja möglich und durch<lb/>
den Wortlaut jenes Ge&#x017F;etzes nicht ausdrücklich verboten waren.<lb/>
Das Ge&#x017F;etz &#x017F;chloß &#x017F;ie aber mittelbar aus durch Anerkennung des<lb/>
Grund&#x017F;atzes, daß der Kai&#x017F;er die Staatsgewalt ausübt, da der Er-<lb/>
laß einer Verordnung eine Ausübung der Staatsgewalt i&#x017F;t. Das<lb/>
Ge&#x017F;etzblatt für El&#x017F;aß-Lothringen enthält auch in der That keine<lb/>
Verordnungen des Bundesrathes aus der Zeit der Herr&#x017F;chaft des<lb/>
Ge&#x017F;etzes vom 9. Juni 1871, abge&#x017F;ehen von der Abgrenzung der<lb/>
Reichstags-Wahlbezirke und der Ergänzung des Wahlreglements<lb/>
v. 1. Dez. 1873, wozu der Bundesrath durch das Ge&#x017F;. v. 25. Juni<lb/>
1873 §. 6 ermächtigt worden war. Eine Ausnahme macht nur<lb/>
das <hi rendition="#g">Bahnpolizei-Reglement</hi>, welches nach einer Bekannt-<lb/>
machung des Reichskanzlers v. 29. Dez. 1871 &#x201E;auf Be&#x017F;chluß des<lb/>
Bundesrathes in El&#x017F;aß-Lothringen vom 1. Jan. 1872 an in Kraft<lb/>
tritt&#x201C; (G.-Bl. 1872 S. 92) <note place="foot" n="1)">Da&#x017F;&#x017F;elbe i&#x017F;t übrigens er&#x017F;t am 31. Januar 1872 verkündigt worden,<lb/>
kann al&#x017F;o vorher nicht rechtliche Gültigkeit erlangt haben.</note>. Soweit da&#x017F;&#x017F;elbe lediglich die <hi rendition="#g">Ver-<lb/>
waltung</hi> der Reichs-Ei&#x017F;enbahnen in El&#x017F;aß-Lothringen regelt, war<lb/>
der Reichskanzler unzweifelhaft befugt, die Befolgung des Bundes-<lb/>
raths-Be&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;es den ihm unter&#x017F;tellten Behörden anzubefehlen; &#x017F;o<lb/>
weit die&#x017F;es Reglement aber in den §§. 67&#x2014;70 Be&#x017F;timmungen aus<lb/>
dem Bereich des Strafrechts und des Strafproce&#x017F;&#x017F;es enthält, war<lb/>
weder der Bundesrath für das Reich, noch der Reichskanzler für<lb/><note xml:id="seg2pn_13_2" prev="#seg2pn_13_1" place="foot" n="2)">der&#x017F;elbe konnte die&#x017F;elbe daher nicht in der Art verwenden, daß er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
auf Grund der&#x017F;elben &#x017F;eine Ge&#x017F;etzgebungs-Befugniß <hi rendition="#g">verlängert</hi>. Mit Einf.<lb/>
der R.-V. &#x017F;ollte die Theilnahme des Reichstages an der Ge&#x017F;etzgebung eintreten;<lb/>
es konnte daher nicht während des Provi&#x017F;oriums angeordnet werden, daß die<lb/>
Form der Ge&#x017F;etzgebung für gewi&#x017F;&#x017F;e Gegen&#x017F;tände ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en bleiben &#x017F;olle.<lb/>
Das Ge&#x017F;. v. 15. Okt. 1873 §. 2 wiederholt aber nur einen Satz, der für das<lb/>
Reich bereits durch das Ge&#x017F;. v. 2. Juni 1869 §. 3 Anerkennung gefunden<lb/>
hatte. &#x2014; Auch das Ge&#x017F;etz v. 13. Juli 1873 (G.-Bl. S. 165) führt an Stelle der<lb/>
bis dahin erforderlichen Form des <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etzes</hi> die Form der Kai&#x017F;erl. <hi rendition="#g">Ver-<lb/>
ordnung</hi> ein für die Ermächtigung der Bezirke, Gemeinden und anderen<lb/>
Korporationen zur Aufnahme von Anleihen und zur Erhebung von Steuerzu-<lb/>
&#x017F;chlägen. Die&#x017F;er Fall betrifft nicht die Normirung des Rechts, &#x017F;ondern die<lb/>
&#x017F;taatliche Auf&#x017F;icht über die Finanzwirth&#x017F;chaft der Bezirke, Gemeinden u. &#x017F;. w.,<lb/>
al&#x017F;o die <hi rendition="#g">Verwaltung</hi>; i&#x017F;t aber immerhin bedenklich.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0146] §. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen. Auch Verordnungen des Bundesrathes für Elſaß- Lothringen waren nach dem Geſetz v. 9. Juni 1871 nicht für zu- läſſig zu erachten, obgleich ſie an und für ſich ja möglich und durch den Wortlaut jenes Geſetzes nicht ausdrücklich verboten waren. Das Geſetz ſchloß ſie aber mittelbar aus durch Anerkennung des Grundſatzes, daß der Kaiſer die Staatsgewalt ausübt, da der Er- laß einer Verordnung eine Ausübung der Staatsgewalt iſt. Das Geſetzblatt für Elſaß-Lothringen enthält auch in der That keine Verordnungen des Bundesrathes aus der Zeit der Herrſchaft des Geſetzes vom 9. Juni 1871, abgeſehen von der Abgrenzung der Reichstags-Wahlbezirke und der Ergänzung des Wahlreglements v. 1. Dez. 1873, wozu der Bundesrath durch das Geſ. v. 25. Juni 1873 §. 6 ermächtigt worden war. Eine Ausnahme macht nur das Bahnpolizei-Reglement, welches nach einer Bekannt- machung des Reichskanzlers v. 29. Dez. 1871 „auf Beſchluß des Bundesrathes in Elſaß-Lothringen vom 1. Jan. 1872 an in Kraft tritt“ (G.-Bl. 1872 S. 92) 1). Soweit daſſelbe lediglich die Ver- waltung der Reichs-Eiſenbahnen in Elſaß-Lothringen regelt, war der Reichskanzler unzweifelhaft befugt, die Befolgung des Bundes- raths-Beſchluſſes den ihm unterſtellten Behörden anzubefehlen; ſo weit dieſes Reglement aber in den §§. 67—70 Beſtimmungen aus dem Bereich des Strafrechts und des Strafproceſſes enthält, war weder der Bundesrath für das Reich, noch der Reichskanzler für 2) 1) Daſſelbe iſt übrigens erſt am 31. Januar 1872 verkündigt worden, kann alſo vorher nicht rechtliche Gültigkeit erlangt haben. 2) derſelbe konnte dieſelbe daher nicht in der Art verwenden, daß er ſich ſelbſt auf Grund derſelben ſeine Geſetzgebungs-Befugniß verlängert. Mit Einf. der R.-V. ſollte die Theilnahme des Reichstages an der Geſetzgebung eintreten; es konnte daher nicht während des Proviſoriums angeordnet werden, daß die Form der Geſetzgebung für gewiſſe Gegenſtände ausgeſchloſſen bleiben ſolle. Das Geſ. v. 15. Okt. 1873 §. 2 wiederholt aber nur einen Satz, der für das Reich bereits durch das Geſ. v. 2. Juni 1869 §. 3 Anerkennung gefunden hatte. — Auch das Geſetz v. 13. Juli 1873 (G.-Bl. S. 165) führt an Stelle der bis dahin erforderlichen Form des Geſetzes die Form der Kaiſerl. Ver- ordnung ein für die Ermächtigung der Bezirke, Gemeinden und anderen Korporationen zur Aufnahme von Anleihen und zur Erhebung von Steuerzu- ſchlägen. Dieſer Fall betrifft nicht die Normirung des Rechts, ſondern die ſtaatliche Aufſicht über die Finanzwirthſchaft der Bezirke, Gemeinden u. ſ. w., alſo die Verwaltung; iſt aber immerhin bedenklich.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/146
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/146>, abgerufen am 24.11.2024.